Das war die Frage, die sich das Forum Jägermayrhof in Linz vom 6. bis zum 8. September stellte. Und die OrganisatorInnen hatten die Idee, sich in diesem Zusammenhang mit den Commons zu beschäftigen. Also durfte ich dort einen Vortrag halten, was mich sehr gefreut hat, weil ich ja immer schon der Meinung war, dass man die Machtfrage und die Commons nicht trennen kann. Am ersten Tag ging es unter der Fragestellung „Wie wurden die mächtig?“ um eine Analyse des Neoliberalismus und vor allem der Krisenbewältigungsstrategien, die – wie hier ja schon des öfteren erwähnt – zu einer weiteren Machtkonzentration führten. Der zweite Tag stand dann unter dem oben erwähnten Motto. Klaus Dörre und Oliver Röpke hätten noch vor mir reden sollen, beide hatten abgesagt. Das war einerseits schade, ich hätte Klaus Dörre gerne gehört. Aber es war auch ein Vorteil für mich, denn so war mein Vortrag der einzige an diesem Tag, bevor es dann in Arbeitsgruppen ging. Ich hatte also mehr Zeit und ungeteilte Aufmerksamkeit und ich denke, ich habe sie gut genutzt. Ich habe außerdem einige neue „Commons-Begeisterte“ kennen gelernt:
Beat Ringger und Bernhard Walpen vom linken denknetz in der Schweiz, die gerade einen Infobrief zu dem Thema herausgegeben haben und Ferdinand Kaineder, Pfarrgemeinderatsobmann aus Kirchschlag in Oberösterreich. Diese Gemeinde hat keinen eigenen Pfarrer – was anscheinend auch manchmal ein Vorteil sein kann 😉 – der Pfarrgemeinderat beschloss trotzdem ein Pfarrzentrum zu bauen, was bei vielen auf Skepsis stieß. Und dieses Gemeindezentrum ist ein echtes Commons und wurde auch schon so gebaut. In gemeinsamer unbezahlter Arbeit erledigten viele Menschen die Abrissarbeiten des alten Hauses. Gemeinsam planten sie das neue und sage und schreibe 70 Personen bzw. Organisationen und Gruppen haben einen Schlüssel dazu und nutzen es gemeinsam. Das könne nicht gut gehen, meinten viele – bis jetzt geht es gut und Ferdinand ist überzeugt, dass das auch so bleibt. Ein Wermutstropfen war dabei: Beim Hausbau selbst konnten die vielen Freiwilligen nicht mitarbeiten, weil ansonsten die Handwerksunternehmen die Verantwortung nicht übernehmen können. Ein juristisches Problem, das wir auch schon beim Bausymposium besprochen hatten. Hier wird vom Gesetz gemeinschaftliches Bauen erschwert. Und nun zu meinem Vortrag:
Die Macht der Commoners
Ich begann natürlich mit einer Begriffsdefinition – Commons sind soziale Vereinbarungen darüber, wie wir lebensnotwendige Ressourcen nutzen wollen. Es sind also keine Dinge sondern eine soziale Beziehung. Dann kam Elinor Ostrom und die von ihr formulierten „Gelingensbedingungen“, damit Commons auf Dauer bestehen können. Da geht es z.B. darum, dass die Regeln für die Nutzung von den NutzerInnen selbst gemacht, und auch selbst kontrolliert werden müssen. Das ist schon ein Aspekt, der Menschen die Macht gibt, ihre Lebensbedingungen selbst zu gestalten. Damit wir aber dorthin kommen können, so meine ich, müssen wir nicht nur die Produktionsweise verändern, sondern auch die Machtverhältnisse verschieben und auch dafür haben Commons das Potential. Um das voll erfassen zu können, müssen wir uns die historische Rolle und die Entwicklung der Commons anschauen. Dafür eignet sich die englische Geschichte, mit der sich vor allem Peter Linebaugh in seinem Buch „The Magna Carta Manifesto. Liberty and Commons for All“ beschäftigt hat.
Die Zugangsrechte zu Commons wurden dort 1215 durch zwei Gesetzesakte abgesichert: die Magna Carta und die Charter of the Forests. Die erste ist uns noch bekannt, es geht dort vor allem um politische Freiheitsrechte und bis heute bauen fast alle Verfassungen der Welt auf dieser Grundlage auf. Linebaughs Verdienst ist, dass er gezeigt hat, dass es ein zweites Gesetz gab, das mit der Magna Carta in ursächlichem Zusammenhang stand, nämlich die Charter of the Forests, wo die Zugangsrechte zu Commons, für diejenigen, die kein eigenes Land besaßen, detailliert im Gesetz festgelegt wurden. Die „Commoners“ – wie Linebaugh die NutzerInnen der Commons nennt – konnten Holz zum Bauen und Heizen holen, sie konnten dort ihr Vieh weiden lassen, Lebensmittel anbauen, usw. Der Sinn war, dass auch Menschen, die keinen eigenen Besitz hatten, ihre politischen Freiheitsrechte in Anspruch nehmen konnten. Zugangsrechte zu Commons sicherten ihre relative Unabhängigkeit, soweit das eben unter feudalen Machtverhältnissen möglich war. Andererseits enthob es die Grundbesitzer auch der Verantwortung, für die Reproduktion der leibeigenen Bauern sorgen zu müssen. Es handelte sich also um eine Art vorkapitalistischen Klassenkompromiss, der immer ambivalent ist.
Denn das Recht auf Commons gab den Menschen auch politische Macht gegenüber den Herrschenden, wer sich selbst erhalten kann, muss sich nicht alles gefallen lassen. Das Commons war auch der Ort, wo Menschen sich getroffen haben, um ihre Rechte zu verteidigen, sich gegen die Willkür der Herrschenden zur Wehr zu setzen, wo Aufstände vorbereitet wurden. Darum waren die Mächtigen auch immer bestrebt, sie in Grenzen zu halten, es kam immer wieder zu Einhegungen, d.h. es wurden Zäune um die Commons gebaut, es gab Proteste dagegen, die Zäune wurden wieder niedergerissen, das ging bis zum Bürgerkrieg. Und die Einhegung der Commons war dann letztlich auch wichtig für die Durchsetzung des Kapitalismus, weil sie die Menschen zwang, Lohnarbeit anzunehmen. Das war dann auch der Grund dafür, dass die Charter of the Forests in der Versenkung verschwunden ist, in ihr war nämlich neben dem Recht auf die Nutzung von Commons auch das Recht, die Commons zu verteidigen, die Einhegungen zu verhindern, die Zäune niederzureißen, festgeschrieben.
Selbstorganisation in der ArbeiterInnenbewegung
In Krems in Niederösterreich fand heuer im August das erste europäische Nyeleni Forum statt, organisiert von der sozialen Bewegung für Ernährungssouveränität, unter anderem von Agrarattac und der österreichischen Sektion von Via Campesina. In einem Bericht las ich kürzlich ein Interview mit einer griechischen Aktivistin. Sie sagte: „Ernährungssouveränität ist eine Waffe“, und weiter, „Das ist ein starkes Wort, ich weiss. Aber ich brauche es bewusst. Wenn in Griechenland mehr Menschen wüssten, wie sie ihre eigene Nahrung anbauen können, müssten sie weniger Angst haben vor dem, was kommt.“
Das ist natürlich etwas vereinfacht, aber es trifft genau den Kern der Sache. Für die eigene Subsistenz selbst sorgen zu können, gibt uns Macht und gibt uns Raum, Alternativen zu entwickeln. Solche Formen der Selbstorganisation waren auch die Stärke der frühen Arbeiterbewegung, die Möglichkeit, die eigene Reproduktion auch ohne die Lohnarbeit abzusichern, stärkte ihre Verhandlungsposition. So schreibt etwa Francois Ewald, dass die Kämpfe der Arbeiterbewegung gegen das Verbot ihrer Selbstorganisationsformen viel häufiger waren, als Kämpe um die Arbeitszeitverkürzung. Es ging also weniger um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sondern um den Erhalt eines gewissen Grades an Unabhängigkeit von der Lohnarbeit. Genau deshalb waren den Regierungen und Unternehmern diese Formen der Selbstorganisation ein Dorn im Auge – die gesetzliche Sozialversicherung wurde ja in Österreich und in Deutschland von konservativen Regierungen eingeführt, um sie den ArbeiterInnen aus der Hand zu nehmen und ihre politische Kraft zu schwächen. In Deutschland wurde mit dem „Sozialistengesetz“ die sozialistische Partei sogar zum selben Zeitpunkt verboten.
Eine ähnliche Rolle spielten die Arbeiterräte nach dem 1. Weltkrieg. Sie sicherten sich die Unterstützung der Massen dadurch, dass sie das Lebensnotwendige herbeischafften, dass sie für die Verteilung von Lebensmitteln, Heizmaterial, usw. sorgten. Weil auf jeden Fall die Entstehung einer Räterepublik verhindert werden sollte, wurden durch den Druck der Arbeiterbewegung enorme Verbesserungen bei der Sozialgesetzgebung am Beginn der 1920er Jahre erzwungen und das, obwohl die finanzielle Situation der jungen österreichischen Republik keineswegs rosig war. Der Konsum als Einkaufsgenossenschaft war ein Überrest dieser Tradition, der bis weit nach dem 2. Weltkrieg bestand.
Absicherung durch Lohnarbeit und Staat
Mit dem Sozialstaat und dem Fordistischen Wirtschaftsmodell setzte sich dann auch bei der Linken und in den Gewerkschaften, die Meinung durch, Lohnarbeit sei die „bessere“, die wichtigere, die modernere Form der Arbeit. Man dachte, sie würde soziale Ungleichheiten beseitigen und die Emanzipation der Arbeiterklasse bringen. Für die Zeit des Aufbaus nach dem Krieg war es durch den fordistischen Klassenkompromiss, der die ArbeiterInnen am Profit durch das Wirtschaftswachstum beteiligte und gleichzeitig den Absatz der erzeugten Waren sicherstellte, mit Hilfe einer historische einmaligen Form der „Sozialpartnerschaft“ möglich, die einander entgegenstehenden Interessen von Arbeit und Kapital vorübergehend zu versöhnen. Das ging so lange gut, solange es genug zum Umverteilen gab und solange die Frauen die unbezahlte Reproduktionsarbeit zur Verfügung stellten. In dieser Phase hatte die Lohnarbeit durchaus emanzipatorisches Potenzial, vor allem für Frauen, die deshalb zunehmend danach strebten auch in Lohnarbeit zu kommen. Es war der Versuch, patriarchale Herrschaftsverhältnisse durch Lohnarbeit – ein anderes Abhängigkeitsverhältnis – zu überwinden. Dieses emanzipatorische Potential hatte sie aber vor allem deswegen, weil die soziale Absicherung in der in Österreich und Deutschland vorherrschenden Form des Sozialstaates an Lohnarbeit gekoppelt war. Das erweist sich nun, da dieser Klassenkompromiss nicht mehr funktioniert, als Falle.
Seit damals jedenfalls geht auch das Bestreben der Linken und der Gewerkschaft dahin, soviele Menschen wie möglich in Lohnarbeitsverhältnisse zu bringen. Sie erledigte damit aber die Geschäfte des Kapitals, denn je mehr Arbeiten als Lohnarbeit verrichtet werden, desto mehr Dinge werden zu Waren, die wir nur mit Geld erwerben können und desto abhängiger werden wir von diesem System. Und genau das war ja immer schon das Ziel des Kapitals gewesen. Unsere Interessen als ArbeitsnehmerInnen sind heute so mit den Interessen des Kapitals verstrickt, dass das die Verhandlungsmacht der Linken entscheidend schwächt und paradoxerweise auch Gewerkschaften Kapitalinteressen vertreten müssen, indem sie in erster Linie Wachstum und Jobs fordern, während sie in der Lohnpolitik und bei Kündigungen immer am kürzeren Ast sitzen.
Darum ist es notwendig, bestimmte Bereiche nicht dem Markt zu überlassen, um unabhängiger davon zu bleiben. Genau das war ja ursprünglich auch ein Ziel des Sozialstaates. Die Idee sozialer Rechte, die Thomas Marshall Anfang der 50er Jahre eingeführt hatte, hatte den gleichen Zweck wie die Commons in der Feudalzeit: Menschen sollten nicht für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse von anderen abhängig werden, damit sie ihre bürgerlichen und politischen Rechte unabhängig ausüben können. Das Problem dabei war, dass die Sorge für diese soziale Grundsicherung dem Staat übergeben wurde. Auch das galt als moderner als die Selbstverwaltung und es war natürlich auch sicherer durch die gesetzliche Regelung. Wir haben sozusagen den Staat zum Treuhänder gemacht, der aber hat diese Aufgabe schlecht erfüllt. Der Staat ist eben keine neutraler Akteur, der immer für den Ausgleich gesellschaftlicher Interessen sorgt, sondern eine Verdichtung gesellschaftlicher Machtverhältnisse und der neoliberale Staat hat nun mal die Aufgabe, die Privatwirtschaft und die Märkte zu schützen, nicht unsere öffentlichen Dienstleistungen.
Commons als Alternative
Die Idee der Commons kann uns neuen Spielraum geben, wie wir Dinge organisieren können, die wir aus dem Markt herausnehmen aber sie nicht gleich wieder dem Staat anvertrauen wollen, der sie ja gerade zur Privatisierung freigibt. Weil es für Commons viele verschiedene Organisationsmodelle geben kann, eröffnen sich viele Möglichkeiten, welche Rolle der Staat jeweils spielen kann. Und wir können die Gelingensbedingungen der Commons zum Maßstab nehmen, wenn wir überlegen, wer die Kontrolle drüber haben soll und wie wir ihre Einhegung verhindern können. Und auch das Recht, die Commons zu verteidigen müssen wir dafür einfordern.
Die selbstverwaltete Pensions- und Krankenversicherung wäre z.B. ein ausgezeichnetes Beispiel für ein Commons, wenn wirklich alle Menschen, die sie nutzen auch die Möglichkeit hätten, darüber mitzubestimmen, das haben wir aber versäumt. Und gerade da kann man die schleichende Entmachtung und Vermarktlichung gut beobachten, mit der uns die Verfügungsmacht immer mehr entzogen wurde: wenn da plötzlich eine kapitalmarktfinanzierte Pensionssäule dazukommt, oder die Gesundheits- und Pharmaindustrie gute Geschäfte mit unserer Krankenversicheurng macht, usw. Das Fazit: Einhegungen gehen immer mit Machtverlust der Commoners und mit Machtgewinn von Kapital und Staat einher, die Schaffung von Commons dagegen verteilt Macht von oben nach unten.
Das doppelte Potential der Commons
Wenn wir für die eigene Reproduktion unabhängig sind von den Herrschenden (egal ob von den feudalen Grundbesitzern oder vom kapitalistischen Marktsystem) dann entstehen Freiräume, in denen wir Alternativen entwickeln können. Wir hätten die Macht, uns der Lohnarbeit und Marktlogik zu entziehen, was einerseits die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften stärken würde, und andererseits uns die Kontrolle über unsere Lebensbedingungen zurückgeben würde, wir könnten aufhören den Kapitalismus zu reproduzieren und anfangen was Neues zu bauen.
Dabei geht es keineswegs immer nur um Nahrung, sondern wir müssen definieren, was wir heute als Commons behandeln wollen und uns dafür engagieren. In einer Wissensgesellschaft kann es eben auch um Wissen gehen, oder um Mobilität oder was immer wir für wichtig halten, um unsere Autonomie zu verteidigen. Wir müssen überlegen, welche Rolle etwa die neuen Medien für ihre Verwaltung und Verteidigung spielen können. Wir können heute technische Produktion in einer Weise dezentralisieren, wie es im Zeitalter der Massenproduktion nicht möglich gewesen wäre, auch erneuerbare Energieformen können dezentral erzeugt und verteilt werden.
Klar ist: jede Form sozialökomischer Absicherung ist ebenso wie jede Widerstandsform nur in einer bestimmten historischen Situation sinnvoll und muss sich mit den Verhältnissen ändern. Der Sozialstaat hat die Besonderheit, dass er – durch die Bindung an Lohnarbeit und Staat – in der Logik des Kapitalismus stand, ja sozusagen ein Teil von ihm war. Commons dagegen sind eine Form der Vergesellschaftung, die der kapitalistischen Logik diametral gegenüber steht, sie stellen darum gleichzeitig auch ein Modell für eine andere, nicht-hierarchische und solidarische Organisation von Gesellschaft dar.
[…] Das ist eine wichtige Unterscheidung! Traditionell-links wird die Machtfrage als Frage der »Macht über« gestellt. Die Commons hingegen stellen die Machtfrage als Frage der »Macht zu«. Das arbeitet die Commons-Aktivistin Brigitte Kratzwald in dem ausgezeichneten Text heraus und setzt sich dabei insbesondere mit der Macht-über-Frage, wie sie traditionell die Arbeiter*innenbewegung stellte, auseinander. Leseempfehlung: »Wie werden wir mächtig?« […]