Vor einiger Zeit hat mir jemand, der sich normalerweise vehement der Ansicht widersetzt, die Probleme unseres Wirtschaftssystems könnten durch moralische Appelle gelöst werden, geschrieben: „if you see that rights conflict with justice, then fight for justice“. Gut, er hat das nicht selber gesagt, sondern es war das Motto von jemandem, der ihn sehr beeindruckt hat, aber er hat es doch für wichtig genug gehalten, um es weiter zu geben.
Der Stoff aus dem die Helden sind
Ich hab damals zurückgeschrieben, dass das sicher ein lobenswertes Verhalten in einer solchen Situation sei, aber doch wohl nicht als universelle Leitlinie gelten könne. Menschen, die das machen, haben mit Konsequenzen zu rechnen, je nachdem, wo sie gerade sind, leben sie entweder nicht mehr lange oder im Gefängnis, werden in lange, teure Gerichtsverhandlungen verwickelt, man entzieht ihnen die finanzielle Ressourcen und was es halt sonst noch an Möglichkeiten gibt, ihnen das Leben schwer zu machen. Der Durchsetzung der gerechten Sache können sie damit nur wenig nützen, allerdings – mit etwas Glück – erreichen sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Das ist der Stoff, aus dem Helden gemacht werden.
Berthold Brecht hat dazu etwas Anderes gesagt (genau genommen hat er es Galileo Galilei sagen lassen), nämlich: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“. Warum? Na klar, weil in einem solchen Land es offensichtlich häufig zu Konflikten kommt zwischen Recht und Gerechtigkeit. Normalerweise enden solche Heldenschicksale tragisch, denn jede Entscheidung kann nur die falsche sein. Entscheidet man sich für Gerechtigkeit, dann siehe oben, entscheidet man sich für rechtskonformes Handeln ist man mit den negativen Auswirkungen für andere konfrontiert und muss mit den eigenen Schuldgefühlen fertig werden. Das Ziel muss daher sein, sich nicht auf Helden zu verlassen, sondern sich dafür einzusetzen, dass das Recht auch für Gerechtigkeit sorgt, Recht ist ja von Menschen gemacht und daher veränderbar, aber das wäre natürlich nicht so sehr geeignet zur Mythenbildung.
„Morality ranking“
Es scheint, dass wir, vor allem die männliche Hälfte der Bevölkerung, immer die Sehnsucht nach dem tapferen Ritter in uns haben, der für Gerechtigkeit kämpft und dass wir dann versuchen, Kriterien zu entwickeln, nach denen der tapfere Ritter seine Entscheidungen treffen soll und wie wir dann wieder entscheiden können, wer denn jetzt tapferer war. So wie es z.B. der Entwicklungspsychologe Lawrence Kohlberg gemacht hat. Um den Stand der moralischen Entwicklung zu testen, werden Fragen wie diese gestellt:
Eine Frau, die an einer besonderen Krebsart erkrankt war, lag im Sterben. Es gab eine Medizin, von der die Ärzte glaubten, sie könne die Frau retten. Es handelte sich um eine besondere Form von Radium, die ein Apotheker in der gleichen Stadt erst kürzlich entdeckt hatte. Die Herstellung war teuer, doch der Apotheker verlangte zehnmal mehr dafür, als ihn die Produktion gekostet hatte. Er hatte 2000 Dollar für das Radium bezahlt und verlangte 20000 Dollar für eine kleine Dosis des Medikaments.
Heinz, der Ehemann der kranken Frau, suchte alle seine Bekannten auf, um sich das Geld auszuleihen, und er bemühte sich auch um eine Unterstützung durch die Behörden. Doch er bekam nur 10000 Dollar zusammen, also die Hälfte des verlangten Preises. Er erzählte dem Apotheker, daß seine Frau im Sterben lag, und bat, ihm die Medizin billiger zu verkaufen bzw. ihn den Rest später bezahlen zu lassen. Doch der Apotheker sagte: „Nein, ich habe das Mittel entdeckt, und ich will damit viel Geld verdienen.“
Heinz hat nun alle legalen Möglichkeiten erschöpft; er ist ganz verzweifelt und überlegt, ob er in die Apotheke einbrechen und das Medikament für seine Frau stehlen soll.
Sollte Heinz das Medikament stehlen oder nicht?
Das ist ja genau wieder dieses Problem mit dem Widerspruch zwischen Recht (auf Eigentum) und Gerechtigkeit (wer krank ist, sollte die Medizin bekommen, die ihn retten kann). Es ist mir bisher nicht gelungen herauszufinden, was die „richtige“ Antwort eines „moralisch voll entwickelten“ Menschen wäre, ich weiß nur, dass Frauen andere Antworten geben als Männer, und Kohlberg daraus schloß, dass Frauen nicht den gleichen hohen Stand moralischer Entwicklung erreichen können wie Männer. Nun, das ist inzwischen widerlegt, aber an dieser Frage sieht man deutlich, dass es keine „richtige“ Antwort geben kann, das heißt, das Problem des Helden, aus dem schließlich sein Heldentum entsteht, ist gerade die Unlösbarkeit.
Muss „richtiges“ Handeln weh tun?
Ich werde immer furchtbar zornig, wenn jemand solche fiktiven Problemstellungen entwickelt und dann gut begründete Antworten haben will, wo doch eindeutig die Fragestellung falsch ist. Für mich war schon als ich das zum ersten Mal hörte klar: Die wirkliche Zumutung ist, Menschen vor eine solche Situation zu stellen. Die richtige Frage wäre, welche Lösungen kann man für solche Situationen finden, die sich nicht auf eine entweder-oder Entscheidung zwischen zwei falschen Antworten beschränken. Zum Beispiel, welche Gesetze braucht ein Land, damit solche Dinge nicht passieren können. Und dann ginge es darum, sich für solche Gesetze einzusetzen, anstatt philosophische Abhandlungen zu schreiben, ob es moralisch hochwertiger ist einzubrechen oder jemanden sterben zu lassen.
Denn es kann ja wohl nicht sinnvoll sein, von den individuellen, heldenhaften Entscheidungen Einzelner das Funktionieren einer Gesellschaft abhängen zu lassen. Ich hab vor kurzem ein Buch gelesen darüber wie im 19. Jahrhundert die Ideen für den Sozialstaat entstanden sind und da gab es durchaus ähnliche Diskussionen. Eines der wichtigsten Argumente gegen staatliche Programme zur Armutsvermeidung war folgendes: Verterter der liberalen Gesellschaftstheorie meinten, dass der Staat nichts gegen die Armut unternehmen dürfe, weil die Reichen sonst nicht ihre Wohltätigkeit unter Beweis stellen könnten. Francois Ewald hat dort geschrieben, dass eben die Existenz Armer als Voraussetzung dafür galt, dass sich bürgerliche „Tugenden“ entwickeln können, „… derjenige, der in der Lage ist, Mittellosen zu helfen, übt ein ‚Recht’ aus, das ihm der Staat nicht rauben darf, indem er die Fürsorge zu einer Funktion seiner Verwaltung macht“. Irgendwie ist das immer dieselbe schräge Logik – Menschen müssen vor solche Situationen gestellt werden, damit sie sich zu besseren Menschen entwickeln können, damit sie sich als „Helden“ fühlen können, auch wenn man dabei das Risiko eingeht, dass andere dabei zu Schaden kommen, z.B. wenn die Reichen nicht genug Wohltätigkeit entwickeln. Und noch etwas kommt dazu: „gut“ zu sein, „richtig“ zu handeln, muss immer auch zumindest ein bisschen weh tun, sonst zählt es nicht – Helden müssen leiden. Und wenn wir keine Helden haben, müssen die anderen leiden, weil sie nicht gerettet werden – kollektiver Masochismus?
Wirtschaft und Moral
Dann kamen Sozial- und Rechtsstaaten, Menschenrechte usw., und wenn es auch in der Realität natürlich nicht immer so funktioniert hat, in der Theorie hat sich doch weitgehend die Meinung durchgesetzt, dass solche Dinge gesellschaftlich und politisch geregelt werden sollten und man sich nicht auf die Moral Einzelner verlassen sollte.
Aber irgendwie scheint das heute wieder wichtiger zu werden, wenn z.B. von den Bankern und Unternehmern moralisches Verhalten, weniger „Gier“, mehr „soziale Verantwortung“ eingefordert wird, um aus den vielen Krisen herauszukommen, anstatt entsprechende Regelungen durchzusetzen. Dabei ist das nicht so einfach. Denn auch da haben wir wieder diese Situation, auch wenn es nicht um Leben oder Tod geht: Die Anforderungen die an einen Unternehmer oder Finanzmanager gestellt werden, verlangen genau das Gegenteil. Sein Auftrag ist, für seine Kunden soviel Profit wie möglich zu machen, man hat ja die Anleger dadurch gewonnen, dass man ihnen hohe Gewinne versprach. Nun setzen die Fonds ihre Angestellten, die Aktionäre die Manager unter Druck, diese auch zu erreichen. Dazu müssen Geschäfte getätigt werden, die dann zu solche Katastrophen führen, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben. Die Leute wissen meist auch welche Auswirkungen ihr Handeln hat. Aber sie stehen genau vor dem Dilemma: der Auftrag, den sie zu erfüllen haben widerspricht dem, was ihr Gewissen ihnen sagt – wie immer sie sich auch entscheiden, es ist falsch. Das wirklich Unverantwortliche ist, Menschen täglich solchen Situationen auszusetzen. Kein Wunder, dass Burnout, Depressionen, Suchtverhalten und psychosomatische Erkrankungen zunehmen, dass jeder einen Berater, Coach oder Therapeuten braucht.
Denn im Grunde betrifft dieses Problem tagtäglich viele Menschen, auch wenn es nicht um Millionen dabei geht. Aber fast jede und jeder einzelne von uns kennt, denke ich, die Situation im Job: wir wissen, dass es nicht richtig ist, was wir tun, wir wüssten eine bessere Lösung, können es aber nicht tun, weil es die Dienstvorschriften, der Projektantrag so und nicht anders verlangen.
Menschen müssen sich also entscheiden, ob sie sich selber schaden wollen oder anderen. Also wieder, irgendjemand muss leiden. Erst daraus kann ja wieder der Heldenmythos entstehen und wenn es dann Unternehmer gibt die es – oft auch nur scheinbar – geschafft haben, dann werden die vor den Vorhang geholt, als Musterbeispiele hochgelobt und zu Medienstars gemacht. Ohne deren Leistung schmälern zu wollen – das ist, wie ich am Anfang geschrieben habe, als individuelles Verhalten lobenswert, aber es kann doch nicht zum Funktionsprinzip unserer Gesellschaft gemacht werden.
Bei Vorträgen über Commons betonen wir darum immer, dass das ein ganz wichtiger Aspekt von Commons ist, dass die Regeln so sind, dass die Interessen der Menschen positiv aufeinander bezogen sind. Das heißt, wenn die Menschen den Regeln folgen, dann nützt das ihnen und den anderen, dadurch werden Menschen nicht vor solche Entscheidungen gestellt, für die es keine richtigen Lösungen gibt. Die Untersuchungen, die Elinor Ostrom an vielen Commons gemacht hat, haben ergeben, dass das eine Voraussetzung dafür ist, dass Commons überleben können. Das heißt, es braucht keine besonders „guten“ oder „moralischen“ oder „verantwortungsbewussten“ Menschen, damit Commons funktionieren. Die braucht nur der Kapitalismus, weil da nämlich die Regeln falsch sind. Was noch dazu kommt: wenn Menschen nämlich in solchen Beziehungen leben, wo „sozial verantwortliches“ Handeln auch ihnen selbst nützt, wo also der Nutzen der einzelnen Menschen nicht gegeneinander ausgespielt wird, dann entwickeln die Menschen auch diese „guten“, „sozialen“ Eigenschaften, die von ihnen verlangt werden und müssen sich diese nicht in unlösbaren Problemsituationen mühsam erkämpfen. Die „Helden“ der Commons sind nicht diejenigen, die einsame Entscheidungen treffen, sondern es sind alle Commoners, die es schaffen ihre Commons zu erhalten.
Als ich im Herbst einen Vortrag auf der Theologischen Fakultät in Wien gehalten hab, hab ich das natürlich besonders betont, weil die ja immer so moralisch argumentieren. Nachher hat mich dann die Leiterin dieser Abteilung, für Moraltheologie oder so ähnlich, angesprochen und gemeint, so könne das aber auch nicht sein, weil wir dürfen doch Menschen nicht die Möglichkeit nehmen, sich in solchen Entscheidungen bewähren zu können, wir dürfen ihnen also nicht die Chance nehmen, auch gegen ihr eigenes Interesse „richtig“ zu entscheiden. Irgendwie hat sie so argumentiert, wenn sie es auch nicht wörtlich gesagt hat, wenn die Regeln so wären, dass keine solchen unlösbaren Situationen herauskommen könnten, dann könne es ja keine Märtyrer mehr geben. Sorgen haben die Leut! Aber ja, das ist halt die katholische Version der Sehnsucht nach Helden und im Grunde das gleiche Argument wie im 19. Jahrhundert gegen den Sozialstaat – es lebe der Fortschritt!
Was ist Gerechtigkeit – und wer bestimmt es?
Aber diese Entscheidung zwischen Recht und Gerechtigkeit, die hat noch einen zweiten Haken, der das Dilemma noch vergrößert, nämlich die Frage, was Gerechtigkeit denn eigentlich ist. Gerechtigkeit heißt, bestimmte Dinge, zwischen bestimmten Menschen nach einem bestimmten Schlüssel zu verteilen. Aber welche Dinge nach welchen Kriterien zwischen welchen Menschen verteilt werden sollen, darüber streiten die Philosophen seit mehreren tausend Jahren und es wurden zahllose Bücher darüber geschrieben.
Ein Ökonom, der sich schon lange Gedanken über Gerechtigkeit macht, ist Amartya Sen. Von ihm ist kürzlich ein neues Buch erschienen – oder zumindest die deutsche Übersetzung davon – und jetzt trudeln die Rezensionen ein und da wird eine Geschichte erzählt, die schon alt ist, die aber immer wieder als Beispiel für die Schwierigkeiten des Konzepts der Gerechtigkeit verwendet wird und gleichzeitg ein Beispiel ist, für den reduzierte Blickwinkel, mit dem da künstliche Probleme aufgebaut werden, für die es nur falsche Lösungen gibt:
Es ist die Geschichte von drei Kindern und einer Flöte. Alle drei Kinder erheben Anspruch auf die Flöte, und alle drei können das auch begründen: nur ein Kind kann auf dieser Flöte auch spielen, ein anderes hat sie geschnitzt und das dritte hat als einziges sonst gar kein eigenes Spielzeug. Die Frage ist nun, wem von den drei Kindern sollte gerechterweise die Flöte gehören?
Es gibt also drei verschiedene Auffassungen von Gerechtigkeit: entweder Dinge sollen so verteilt werden, dass sie den größten gesellschaftlichen Nutzen bringen, oder dass diejenigen, die am wenigsten haben davon am meisten profitieren, oder alles steht dem zu, der es gemacht hat. Jedes Recht kann immer nur einer von ihnen folgen. Alle Menschen, deren Gerechtigkeitssinn ein anderer ist, stehen dann in der Situation, dass sich aus ihrer Sicht Recht und Gerechtigkeit widersprechen, also viele Chancen für Heldentum. Und es ist klar, dass sich in einer Gesellschaft die Gerechtigkeitsauffassung durchsetzt, die der Mehrheit am gelegensten kommt und das ist in unserer heutigen Gesellschaft die Privilegierung des Privateigentums gegenüber Verteilungsgerechtigkeit und Gemeinwohl.
Und obwohl ich diese Geschichte schon früher gelesen hab – erst jetzt, nachdem ich mich mit den Commons beschäftigt habe, hab ich bemerkt wie reduziert diese Fragestellung ist. Es gäbe sicher zahllose Möglichkeiten dieses Problem zu lösen, ohne dass man die Flöte einem Kind als Privateigentum zuteilen müsste und gleichzeitig sie allen andern für immer wegnehmen. Wenn man in einem Kindergarten oder einer Volksschulklasse die Geschichte erzählen würde, ich bin sicher, die Kinder brächten jede Menge Vorschläge – nur Philosophen und Ökonomen kommen über ihre reduzierten Denkmodelle nicht hinaus und versuchen dementsprechend erfolglos Lösungen für die Probleme dieser Welt zu finden – und stellen die Probleme doch dadurch erst her, dass sie uns mit ihren verkürzten Theorien den Blick auf die Alternativen verstellen.
Die Scheuklappen der liberalen Philosophie …
Diese – scheinbare – Ausweglosigkeit kommt daher, weil bei allen solchen Entscheidungen von bestimmten Voraussetzungen ausgangen wird, die für unabänderlich gelten und die doch nur eine sehr reduzierten Vorstellung vom Menschen und seiner Umwelt enthalten.
- Zum Beispiel, dass die Interessen von Menschen immer im Konflikt miteinander stehen, dass wenn etwas zu meinem Vorteil ist, das immer für jemand anderen einen Nachteil bringen muss, dass Gerechtigkeit also ein Nullsummenspiel ist, was heißen würde, dass es Gerechtigkeit nie für alle geben kann.
- Dann wird von einer grundsätzlichen Knappheit an Gütern ausgegangen – es gibt immer zu wenig von allem, darum müssen wir uns ja überhaupt über die richtige Verteilung Gedanken machen
- Privateigentum wird nicht nur als die beste, sondern als die einzig mögliche Lösung gesehen um Bedürfnisse zu befriedigen. Also jedes Ding kann immer nur genau einer Person gehören, ist damit für alle andern unwiederbringlich verloren. Auch wenn es um Konzepte wie Chancengleichheit geht, heißt das letztlich, dass die Chancen vergeben werden, später Privateeigentum erwerben zu können.
- Man tut so, als würden diese Entscheidungen in einer Art „luftleeren“ Raum stattfinden, man überlegt überhaupt nicht, ob man nicht die Rahmenbedingungen ändern könnte.
- Es muss eine allgemeingültige Lösung geben, wie man Güter zu verteilen habe, die auf alle Situationen anwendbar ist, anstatt dass man den Leuten, die es betrifft, zutraut auch selbst Lösungen finden zu können. Es wird davon ausgegangen, dass die Leute, die vor solchen Problemen stehen, nicht miteinander reden, sondern dass sie Philosophen, Ökonomen oder Juristen brauchen, die ihre Probleme lösen.
Alle diese Annahmen sind notwendig, damit solche Entscheidungen auch auf einer allgemeinen Ebene behandelt werden können, und dann für Ökonomen auch berechenbar werden. Aber dann vergessen die großen Denker gerne, dass es nur Denkmodelle waren, von denen sie ausgegangen sind, dass sie da von einer fiktiven Welt reden, die überhaupt nicht der Realität entspricht und daraus entsteht dann oft erst das Dilemma, das ihre Ausgangssituation war.
… und der Blick darüber hinaus
Menschen, die real vor solchen Situationen stehen, sind oft durchaus in der Lage, Alternativen zu finden, bei denen nicht immer einer verlieren muss – außer es gibt Gesetze, die sie daran hindern. Das soll jetzt nicht heißen, dass wir keine Gesetze haben sollen oder dass, wenn man Menschen ihre Dinge alleine regeln ließe, keine Ungerechtigkeiten auftreten können, im Gegenteil. Das Bedürfnis nach Gesetzen kommt ja genau daher, weil eben Menschen unterschiedliche Machtpositionen haben und sich daher manche besser durchsetzen können als andere. Aber wenn wir jetzt Gesetze machen, die auf diesen reduzierten Annahmen beruhen und dann auch nur einer dieser Gerechigkeitsauffassungen folgen, dann führt das erst wieder zu Ungerechtigkeiten. Deshalb sollten Gesetze nicht schon die Lösungen festlegen und damit die gleichen Lösungen für alle Fragen, sondern eher die Art regeln, wie Lösungen zustande kommen, sicher stellen, dass sich alle gleichermaßen einbringen können, usw. So etwas nennen die CommonsforscherInnen „customary legal systems“, also sowas wie Gesetzgebung von unten und das ermöglicht einfach viel mehr Alternativen, weil es die konkreten Lebenssitutationen der Betroffenen mit einbezieht, als immer nur dieses Entweder-Oder, das alle Alternativen ausblendet.
Beiden Fragestellungen, der des moralischen Verhaltens und der verschiedenen Gerechtigkeitskonzepte gemeisam ist ihr individualisierender Zugang. Sie sind immer auf einzelne Personen bezogen. Die Möglichkeit der moralischen Handlung einzelner wird so wichtig eingeschätzt, dass man dafür negative Auswirkungen für andere oder die Umwelt in Kauf nimmt. Dinge müssen immer Einzelnen zugeteilt werden, um das Gefühl für Gerechtigkeit herzustellen, es gibt keine verschiedenen Eigentumsformen.
Beides baut auf dem gleichen Menschenbild auf und darum funktioniert es so gut, dass heute plötzlich moralisches Verhalten auch von Ökonomen gefordert wird, weil sich offensichtlich wieder die Ansicht durchsetzt, dass die Wirtschaft sonst nicht funktioniert. Und weil uns ja die Idee des Helden so gefällt, brauchen wir an den Gesetzen nichts zu ändern oder gar nach wirtschaftlichen Alternativen suchen – wär ja auch blöd, wenn wir plötzlich draufkommen würden, dass es gar nicht weh tun muss, so zu handeln, dass es für uns alle gut ist. Da ist mir Brecht doch sympathischer und nebenbei, ich bin sicher, es bleiben auch bei „richtigen“ Regeln, bei denen Recht und Gerechtigkeit nicht in Konflikt miteinander stehen, bei denen die Interessen einzelner Menschen nicht immer gegeneinander ausgespielt werden, noch ausreichend Möglichkeiten in unserem Leben, in denen wir „moralische“ Entscheidungen treffen müssen, so dass unsere menschliche Entwicklung nicht auf dem Spiel steht.
Eine weitere Möglichkeit Gerechtigkeit zu denken könnte z.B. auch die Erde miteinbeziehen, Gerechtigkeit würde dann heißen, nicht mehr nehmen zu dürfen, als wieder nachwachsen kann, das würde auch die späteren Generationen miteinbeziehen. Oder es wäre möglich, Gerechtigkeit durch Nutzungsrechte herzustellen und das Verbot des Ausschlusses von der Nutzung lebenswichtiger Ressourcen. Also es wär hoch an der Zeit, wieder Alternativen denken zu lernen. Darum an dieser Stelle ein Aufruf: ich würd mich freuen hier eure Lösungsvorschläge für das Problem mit den Kindern und der Flöte zu lesen, viele verschiedene Lösungsvorschläge, die die reale Umwelt miteinbeziehen und die Menschen auch miteinander reden lassen. Auf geht’s – und dann gibt’s ein Alternativen-Ranking :-)!
Fortsetzung der Flötengeschichte: Mir würde gefallen, wenn das Kind das musizieren kann den anderen beiden das Musizieren beibringt. Das Kind das schnitzen kann sollte den anderen beiden das Schnitzen beibringen (aber nur falls es auch genug Holz für nachfolgende Generationen gibt ;). Und das Kind das kein Spielzeug hat soll den anderen beiden Spiele zeigen die ohne Spielzeug Spaß machen.
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ich finde, wir sollten das als „Aufgabe“ in die erste Commons-Sommerschule geben und alle Lösungen und Reflektionen dazu gut dokumentieren.
Das Motte: Gemeingüter – Wohlstand durch Teilen kommt ja der „Lösung“ schon recht nahe.
PS: Ich vergaß: Vielen Dank für den Hinweis auf Kohlberg. Kannte ich nicht.