Hier nun noch einige Blitzlichter aus den diversen Commons-Veranstaltungen:
Commons und Sozialsstaat
Ziemlich spontan entstand bei der ICC in Berlin ein Workshop zum Thema Commons und Sozialstaat (die offizielle Dokumentation gibt’s hier). Das ist ein Thema, das mich natürlich lange schon beschäftigt, ich hatte aber bisher außer mir noch niemanden gefunden, der oder die sich damit beschäftigt hätte, drum hab ich mich darüber gefreut hier kompetente und interessierte GesprächspartnerInnen zu finden.
Bei uns ist ja der Sozialstaat für die „Linken“ irgendwie „tabu“. Wenn er ohnehin schon immer mehr reduziert und ausgehöhlt wird, dann muss man in beschützen und dann darf man nix dagegen sagen, schließlich haben unsere Eltern und Großeltern ihn erkämpft und drum müssen wir ihn bis in alle Ewigkeit lobpreisen und ehren (ja, das ist jetzt böse).
Vielleicht ist es aber auch umgekehrt: gerade weil unsere Eltern und Großeltern ihn erkämpft haben, war er eben zu ihrer Zeit ein geeignetes Mittel um soziale Gerechtigkeit und Lebenschancen für alle herzustellen, muss es aber nicht unbedingt auch heute noch sein und wir müssen uns jetzt drum kümmern, wie wir ihn verändern können. Wir können uns halt nicht auf dem ausruhen, was unsere Vorfahren erkämpft haben, sondern müssen wieder unsere eigenen Kämpfe führen, um für die heutige Zeit adäquaten Formen zu finden. Das heißt nicht, dass wir die Leistungen der Vorfahren nicht schätzen, im Gegenteil, es kam bei dem Workshop klar zum Ausdruck: der Sozialstaat hat es ermöglicht, dass wir heute dort sind, wo wir sind und dass wir uns organisieren und unsere Autonomie einforden können. Aber, wenn das so bleiben soll, dann muss sich etwas ändern, denn unter den heutigen Bedingungen hat der Sozialstaat keine integrative und ermächtigende Funktion mehr, sondern wird immer repressiver und ausschließender.
Zuerst haben wir die wesentlichen Kritikpunkte gesammelt, dann haben wir überlegt, was die Commonsperspektive zu einer Transformation der Sozialstaaten beitragen könnte.
Die „Überalterung“ der Gesellschaft
Das Hauptdilemma des Sozialstaates kommt in der Diskussion um die sogenannte „Überalterung“ der Gesellschaft exemplarisch zum Ausdruck, ein Begriff, den ich ja per se schon für fragwürdig halte, weil er implizit so viel Widersprüchliches mit transportiert. (Genau genommen hab ich das bei einer anderen Gelegenheit gesagt, aber es gehört auch zu dem Thema). Da wird einerseits unglaublich viel Geld in die medizinische Forschung gesteckt, damit die Menschen länger leben. Wenn das aber gelingt, jammern wir dass es zu viele alte Menschen gibt und dass wir uns das nicht mehr leisten können. Weil jeder Mensch über 50 oder spätestens über 60 nur mehr als Kostenfaktor wahrgenommen wird. Dabei übersehen wir aber total, was die Menschen in dieser Altersgruppe, an unbezahlter Arbeit für die Gesellschaft leisten. Die Betreuungsarbeit in den Familien sowieso, aber auch alles was auf ehrenamtlicher Tätigkeit aufbaut wäre ohne diese Menschen gar nicht möglich, weil ja diejenigen, die Arbeit haben, so überlastet sind, dass sie gar nicht mehr dazu kommen ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen. Zusätzlich besitzen diese alten Menschen ja auch ein enormes Reservoir an Wissen.
Und da wurde kürzlich von einem Politologen den Vorschlag gemacht, man sollte Menschen 10 Jahre nach ihrer Pensionierung das Wahlrecht entziehen, weil sonst die Diktatur der Pensionisten drohe und die Demokratie gefährdet sei. Dem gegenüber steht wieder die Hoffnung, dass viele Jobs im Gesundheits- oder Pflegebereich geschaffen werden sollen.
Ja, was denn nun, ist es jetzt gut oder schlecht, wenn wir immer älter werden? Das muss wohl jede und jeder für sich selbst entscheiden, auf gesellschaftlicher Ebene wird die Frage jedenfalls falsch gestellt, sie wird auf eine Kostenfrage reduziert, und die Menschen gehen dabei verloren. Und das ist genau das Hauptübel in der Sozialstaatsdiskussion.
Woran der Sozialstaat krankt
Alles was der Sozialstaat leisten soll, kostet auch was und das muss jemand verdienen. Das ist kein Problem, solange die Wirtschaft wächst. Das wird zum Problem in Krisenzeiten, weil genau wenn mehr Sozialleistungen gebraucht würden, die Einnahmen des Staates zurückgehen. Wenn wir nun wollen, dass aus ökologischen Gründen die Wirtschaft gar nicht mehr wachsen soll, womöglich sogar schrumpfen soll, dann müssen wir uns was anderes überlegen.
Zweites Problem: Heute kam die Jubelmeldung über die Medien: in Österreich hatten noch nie so viele Menschen einen Job. Auch wenn man davon ausgeht, dass da viel Statistik-Kosmetik dabei ist, die Ansicht, wir müssten eben so viele Jobs wie möglich schaffen scheint Konsens zu sein. Jahrelang haben wir uns gegen die „Vermarktlichung“ aller Lebensbereiche gewehrt, dass immer mehr Bereiche des Lebens der Marktlogik unterworfen werden. Wenn wir nun immer neue Jobs in immer neuen Bereichen schaffen, bedeutet das aber genau, dass alle diese neuen Bereiche der Marktlogik unterworfen werden. Alle diese neuen Jobs erzeugen neue Produkte und Dienstleistungen, die ihre AbnehmerInnen finden müssen. Also egal ob durch den Staat oder durch Privatunternehmen – irgendwo her muss das Geld kommen, damit diese neuen Produkte auch gekauft werden und die Jobs auf Dauer bestehen können. Alle Lösungen die auf Jobs bauen, sind also ebenso auf die Wachstumsmaschine angewiesen. Und der Staat sieht ja seine Aufgabe derzeit hauptsächlich darin, Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen, koste es was es wolle.
Drittes Problem: Es ist unbestritten, dass jedes Kind die bestmögliche Bildung bekommen soll, dass das möglichst früh beginnen muss, dass der Staat dafür zu sorgen hat, dass allen Kindern die gleichen Chancen zu teil werden (was nicht heißen muss, dass er alles selbst tun muss). Aber, ist es noch im Interesse der Kinder und der Eltern, wenn Kinderbetreuungseinrichtungen von 6 Uhr früh bis 8 Uhr abends offen haben müssen, oder ist es eher im Interesse der Industrie und der Unternehmen und wäre es nicht eher die Aufgabe des Staates, die Menschen vor solchen Zumutungen zu schützen? Ähnlich könnte man auch im Pflege- und Gesundheitswesen argumentieren. Vieles geschieht, weil es Arbeitsplätze und Profitchancen schafft und nicht weil es zum Wohl der Betroffenen ist, aber es muss ja doch bezahlt werden. Also: wenn wir diese Dinge alleine dem Staat überlassen, können wir keineswegs sicher sein, dass dieser auch in unserem Interesse handelt. Und die Zunahme der Kosten des Sozialstaates ist eben zu einem guten Teil auch der aktuellen Vergesellschaftungsform geschuldet, der Individualisierung, den hohen Leistungsanforderungen, den immer prekärer werdenden Arbeitsbedingungen, der zunehmenden sozialen Ungleichheit, usw. Und der Staat unterstützt mit vielen Maßnahmen, mit den Repressionen gegen Arbeitslose, mit der Unterdrückung und Kriminalisierung von sozialen Reproduktionsformen jenseits der Marktlogik, dass sich diese Spirale immer weiter dreht.
Und zuletzt: wenn wir immer nur vom Staat verlangen, dass er unsere Probleme lösen soll, dann müssen wir halt auch damit einverstanden sein, dass der Staat bestimmt, was die beste Lösung für unsere Probleme ist. Wir geben also auch ein gutes Stück unsere Autonomie auf. Es muss also was geschehen – aber was?
Und was dann?
In den englischsprachigen Ländern gab es ja immer schon eine Tradition der Selbstorganisation daher passiert es hier auch schneller, dass die Menschen die Dinge selber in die Hand nehmen, wenn sie mit den staatlichen Leistungen nicht mehr zufrieden sind. Bei uns fordert man dann immer noch, der Staat müsse für uns sorgen und beschwert sich, wenn er das nicht so macht, wie wir das gerne hätten.
Wenn wir nun versuchen, unter der Perspektive der Commons den Sozialstaat neu zu denken, ist es wichtig, dass wir einige Dinge von vornherein klar stellen:
- Es geht uns nicht um „Einsparungen“ in dem Sinn, wie sie derzeit durch die Sparmaßnahmen gefordert werden, nicht darum, den Anspruch der Umverteilung aufzugeben. Der Beitrag der Reichen muss nach wie vor eingefordert werden, nur was damit geschehen soll, das sollten wir nicht länger „dem Staat“ – der derzeit ja hauptsächlich die Interessen des Kapitals vertritt – überlassen.
- Es kann auch nicht darum gehen, Dinge wie Erziehung und Pflege wieder in den Bereich des Privaten, der Familie und damit an die Frauen zurück zu geben.
- Es geht darum, eine Form der Vergesellschaftung zu entwickeln, die die soziale Absicherung und ein möglichst hohes Ausmaß an Autonomie für alle ermöglicht, Menschen die Möglichkeit gibt, an der Gestaltung ihrer Umwelt aktiv teilzunehmen, sie nicht auf die KundInnenrolle reduziert und auch in einer Wirtschaft ohne Wachstum funktioniert.
Es war überraschend, dass die TeilnehmerInnen am Workshop, aus so unterschiedlichen Kontexten sie auch kamen, sich über einige zentrale Dinge absolut einig waren:
- Wir sollten die „Essenz“ des Sozialstaates verteidigen, aber nicht seine Form.
- Commons sollen den Sozialstaat nicht ersetzen, sondern ihn stärken.
- Wir müssen auf jeden Fall Umverteilung und eine angemessene Verwaltung öffentlicher Ressourcen einfordern, weil derzeit – vor allem in UK, aber auch schon in anderen Ländern – die Regierungen unter dem Schlagwort „big society“ versuchen, ihre Verantwortung auf die BürgerInnen abzuwälzen, ohne die nötigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.
- Durch die Idee der Commons könnte „das Öffentliche“ wieder näher an die Menschen kommen, sie können es zu ihrer Sache machen und aktiv mitgestalten. Es könnte also aus dem Öffentlichen ein Commons werden und es kommt dabei nicht auf rechtliche Eigentumsverhältnisse an, sondern auf die Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten der NutzerInnen.
- Dazu braucht es andere Governance-Strukturen, andere Wissensformen, auch ein anderes Menschenbild, das Menschen als ExpertInnen für ihr Leben sieht.
- Der Staat wird dabei nicht unnötig, aber er übernimmt andere Aufgaben und tritt den BürgerInnen auf Augenhöhe gegenüber, wir sprechen in dem Zusammenhang vom „Partner Staat.“
Konkrete Beispiele gibt es aus dem Telekom- und Energiebereich, wo der Staat die Ressourcen und die notwendigen Informationen und technische Unterstützung bereit stellt, die BürgerInnen entscheiden in demokratischen Gremien über die Prinzipien der Produktion und Verteilung.
Unsere abschließende Erkenntnis:
Ein nachhaltiges Wirtschaftssystem ist nur möglich, wenn der Staat Ressourcen für Commons bereitstellt. Wenn das keine salomonische Lösung ist :-).
Commons und Antirassismus
Die antirassistische Organisation Enara hat es sich zum Ziel gesetzt, sich mit den unterschiedlichen Diskurssträngen zu gesellschaftlichen Alternativen, die derzeit verhandelt werden, auseinanderzusetzen, sie zu vergleichen, auch zu überprüfen, inwieweit sie antirassistischen Kriterien entsprechen oder inwieweit sie rassistische Diskurse reproduzieren. Aus meiner Sicht eine wichtige und interessante Sache. Am 22. November war das Thema „Commons“ dran und ich war zu einem Workshop eingeladen. Ich war schon recht neugierig, wie hier diese Diskussion aufgenommen wird und auch was die Einwände sein würden. Aber grundsätzlich war mir schon vorher klar und ich habe das auch gleich selbst vorgebracht: Die Commonsdiskussion ist – hauptsächlich durch die Bedingung der genau definierten NutzerInnengruppe – an nationalistische, ethnisierende und diskriminierende Diskurse anschlussfähig. Das wurde auch von den Anwesenden bestätigt und man befand, dass Teile dieses Diskurses durchaus als rassistisch angesehen werden können. Es wurde die Forderung gestellt, es müsse bereits vor der Schaffung von Commons etwas geben, eine Art von gesellschaftlichem Grundkonsens, der solche Ausschlussregelungen verbietet.
Ich halte diese Einwände und Bedenken für gerechtfertigt. Gerade unter der Annahme, dass Ausschließbarkeit ein soziales Kriterium und von Geld, Macht und Technologien abhängig ist, wie hier ausgeführt, ist es notwendig, sich diese von Ostrom formulierte Bedingung noch einmal genauer anzuschauen. Denn die von ihr aus dem empirischen Material herausgearbeitete Bedingung der definierten NutzerInnengruppe sagt natürlich nichts über die Kämpfe aus, die dieser Definition möglicherweise vorausgegangen sind. Wir wissen aus der Geschichte, dass Commons immer umkämpft waren. Diejenigen, die auf Dauer bestehen konnten, hatten eine funktionsfähige Organisationsform gefunden, es wurde aber nicht untersucht, wodurch diese Funktionsfähigkeit erreicht wurde; möglicherweise eben durchaus auch durch Ausschlussmechanismen diskrimierender Art.
Wenn wir von begrenzten natürlichen Ressourcen sprechen, dann macht auf den ersten Blick eine Begrenzung der NutzerInnengruppe durchaus Sinn. Moralisch vertretbar ist sie allerdings nur dann, wenn es noch genügend Ressourcen gibt, dass diejenigen, die nicht mehr zugelassen werden, außerhalb des jeweiligen Commons noch ausreichend von dieser Ressourcen vorfinden, um ihre Bedürfnisse befriedigen zu können. Ist das nicht mehr der Fall – und vor dieser Situation stehen wir heute global – geht es eher darum, neue Produktionsweisen, Nutzungsregeln und Sozialformen zu entwickeln, damit mit den vorhandenen Ressourcen alle Menschen auskommen.
Vor diesem Hintergrund könnte aber das Argument der „klar definierten“ NutzerInnengruppe seine Bedeutung wechseln, denn klar definiert muss nicht zwangsläufig begrenzt heißen. Es wirkt dann nicht mehr ausschließend sondern inklusiv, wenn ganz klar die ganze Menschheit als NutzerInnengruppe definiert wird, z.B. bei Dingen wie Atmosphäre, Biodiversität, Wasser, usw. Dann stärkt diese klare Definition gerade die Schwächsten, weil sie inkludiert, dass auch sie gleichberechtigt mitreden und kontrollieren können. Nur müssen dann logischerweise andere Regeln entwickelt werden, wie in lokalen Commons, die nicht nur eine definierte, sondern auch begrenzbare NutzerInnengruppe haben.
Auf jeden Fall, das Ergebnis des Workshops war: die Antirassismus-Bewegung muss sich den Commons-Diskurs aneignen und an ihre Bedürfnisse adaptieren und schauen, was sie für sich daraus nutzen kann. Genau das ist es! Es kann der Commons-Diskussion gar nichts Besseres passieren, als dass sie sich viele verschiedene Bewegungen und Gruppen „von unten“ aneignen und für die Durchsetzung ihrer Rechte einsetzen. Damit kann am besten verhindert werden, dass die Mächtigen sie zur Erreichung ihrer Ziele instrumentalisieren.
Liebe Brigitte, ganz kurz, da in Eile:
„Es wurde die Forderung gestellt, es müsse bereits vor der Schaffung von Commons etwas geben, eine Art von gesellschaftlichem Grundkonsens, der solche Ausschlussregelungen verbietet.“
Ja, natürlich und ich denke, das gibt es schon. Die Charta der Menschenrechte. Dahinter kann kein Commonsdiskurs zurück fallen. Diese grundlegenden ‚Werte‘ sind sozusagen den Commons vorgelagert und nicht in sie eingeschrieben, was heißt: Man muss beides zugleich verteidigen.
Zweiter Punkt: „klar definierte Nutzergruppe heißt nicht zwangsläufig begrenzt“. – Ja, stimmt. Im Wasserbereich gibt es da viele Beispiele: z.B. dass communities ALLE trinken lassen aber nur die Nutzer des gemeinschaftlichen Gutes ihre Felder bewässern dürfen. In fast allen Kulturen sind solche Differenzierungen Usus.
Und auch in die Politik haben sie Eingang gefunden. Beispiel Südafrika: Bis zu einer gewissen Literanzahl (für den Grundbedarf) muss niemand Trinkwasser bezahlen.
Ich denke auch, dass Commons und Menschenrechte sich gegenseitig verstärken könnten. Wenn es z.B. ein Menschenrecht auf Nahrung oder Gesundheit gibt, dann hilft das alleine noch nicht, wie wir wissen. Es braucht auch noch die Möglichkeit Zugang zu Nahrung oder Gesundheitsversorgung zu haben, und diese Möglichkeit könnte durch Commons hergestellt werden und zwar auf demokratische Weise.
Es gibt doch diesen Ausspruch, man solle Menschen, die hungern, keine Fische geben, sondern sie fischen lehren. Auch das hilft aber nicht, wenn sie keinen Zugang zu Fischgründen haben, bzw. diese von den fahrenden Fischfabriken leergefischt werden. Und hier könnten die Commons ansetzen, beim Recht auf Zugang zu Fischgründen und deren Erhaltung – und dementsprechend natürlich auf andere Dinge umgelegt.