Einmal geht’s noch – manchmal sind aller guten Dinge auch vier!
Wenn es nun, nach den vergangenen Einträgen so ausschauen mag, als sei das Reich der commons eine Idylle, das Reich des uneingeschränkten guten Lebens für alle, dann sind das sicher zu hochgesteckte Erwartungen. Das ist auch der einzige Kritikpunkt an Linebaughs Buch. Den Kampf um die commons führt er uns vor Augen, das Leben innerhalb der commons stellt er als heile Welt vor, die durch den Kapitalismus zerstört wurde.abc def ghi Zweiteres dürfte wohl richtig sein, ersteres ist zu bezweifeln. Die heile Welt gibt es nicht auf dieser Erde. Seit Adam und Eva das Paradies verließen und commoner wurden – das heißt, begannen durch ihre Arbeit die Welt und damit sich selbst zu verändern – hat es immer Interessens- und Machtunterschiede auf dieser Welt gegeben.
Kurzer Einschub: Dass es vor allem Eva war, die mit der Welt so wie sie sie vorfand nicht mehr zufrieden war und nach Aneignung und Veränderung der Lebensbedingungen strebte, hat Feministinnen immer schon inspiriert. Etwas das in der Bibel System hat: obwohl sie zu einem guten Teil eine Geschichte von Männern ist (wie ja in der Geschichtsschreibung über Jahrtausende üblich), immer wenn es um sozialen Wandel geht, wenn es darum geht, eingefahrene Bahnen zu verlassen und etwas ganz Anderes zu versuchen, dann werden die Frauen vorgeschickt. Ein neues, hübsches Buch zu diesem Thema hat übrigens Gioconda Belli geschrieben.
Aus diesem Anlass ist noch die bedeutende Rolle der Frauen für commons zu erwähnen. Wir haben in den Diskussionen um die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen immer wieder drauf hingewiesen, dass Frauen am meisten davon betroffen sind, was natürlich stimmt, die Frauen aber in die Opferrolle drängt. Wenn Linebaugh beschreibt, wie die Einhegung von commons einherging mit der Abwertung und Unterdrückung von Frauen, so weist er damit auf die bedeutende Rolle der Frauen als commoner hin. Es waren und sind immer noch vor allem Frauen, die die commons pflegen und erhalten und damit das Überleben der Menschheit sichern. Da ist es nur einleuchtend, dass die Helfer in Haiti Hilfsgüter nur mehr an Frauen ausgeben, nur so können sie sicher sein, dass diese als commons behandelt werden und nicht als Privateigentum. Commons zielten von jeher auch und gerade auf die Unabhängigkeit und Würde von Frauen.
Aber, da wäre ich fast vom Thema abgekommen, es ging ja um die Interessensunterschiede und Machtfragen. Es gibt keine machtfreie Gesellschaft und das ist gut so. Bedeutet Macht doch, dass man Dinge verändern kann und nicht nehmen muss, wie sie sind. Es bedeutet aber auch, dass Menschen andere Menschen beeinflussen können, sie dazu bringen, sich anders zu verhalten, als sie es eigentlich gerne täten. Wenn nun viele Machtbeziehungen in eine strategische Richtung wirken, z.B. in Richtung Privatisierung von commons und Absicherung von Privateigentum, dann können feste Herrschaftsstrukturen entstehen, die anderes Handeln beinahe unmöglich machen. Und wenn wir auch keine machtfreie Gesellschaft erreichen können, so macht es doch Sinn, an einer Schwächung dieser Herrschaftsstrukturen zu arbeiten, uns wieder Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit zurückzuholen.
Commons bedeuten also nicht, dass ein für alle Mal jede Ungleichheit und Ungerechtigkeit beseitigt wäre, sie bedeuten nur gleichere Ausgangspositionen für die Kämpfe um die und innerhalb der commons und sie stellen eine Zusammenführung der sozialen und ökologischen Dimension und des Demokratieaspektes dar. Und damit wir dafür gerüstet sind, versorgt uns Linebaugh noch mit dem Anforderungsprofil für commoner:
„Reciprocity, sense of self, willingness to argue, long memory, collective celebration, and mutual aid are traits of the commoner“. Vermutlich geht es dabei aber nicht nur um ein Anforderungsprofil, sondern auch um die Eigenschaften und Fähigkeiten, die Menschen durch commoning erwerben und die einen anderen Menschetypus als den homo oeconomicus hervorbringen und auch nicht das „unternehmerische Selbst“, sondern einen ganzheitlichen Menschen, mit Bereitschaft zur Auseinandersetzung ebenso wie mit dem Wissen um die gegenseitige Abhängigkeit und die Notwendigkeit zur Kooperation, wenn das Überleben aller – auch der kommenden Generationen – gesichert werden soll.
Um sich mit solchen Fragen und Widersprüchen auseinander zu setzen gab es ein BUKO Seminar in der Villa Locomuna im tief verschneiten Kassel.
Menschen aus vielen verschiedene Organisationen und Projekten gaben ein buntes Bild der Vielfalt von Vorstellungen von und Erwartungen an Commons. Wir versuchten das commoning auch in die Praxis umzusetzen, wofür ein Wohnprojekt wie die Villa Locomuna einen optimalen Rahmen bildet. Nicht nur gemeinsames Arbeiten, sondern auch gemeinsames Kochen, Essen und Schlafen ermöglichten intensive Kontakte und forderten gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme. Für mich bot das Seminar auch die Möglichkeit, jene Menschen zu treffen, die ich bisher fast ausschließlich aus dem Internet gekannt hatte und Pläne für gemeinsame Aktivitäten zu schmieden.
Einige der diskutierten Punkte sollen hier noch Platz finden:
Wieder wurde die Schwierigkeit der Definition und Übersetzung des Begriffes klar. Mit dem Begriff „commons“ können Ressourcen, Produkte oder Prozesse gemeint werden, vor allem – und da gab es weitgehend Konsens – bezeichnen commons aber ein Paradigma, so etwas wie eine Weltsicht, die vieles von dem was wir gewohnt sind, auf den Kopf stellt. Mit dem Begriff Gemeingüter wird eher nur der Aspekt der Ressourcen und Produkte dargestellt, daher haben wir in Kassel eigentlich auch hauptsächlich den Begriff commons verwendet. Solidarische Ökonomie kann man – wie schon in einem früheren Beitrag erwähnt – als eine soziale Praxis unter diesem Pradigma verstehen, sozusagen als das „commoning“.
Die große Stärke des commons-Begriffes ist es, viele verschiedene Bewegungen zusammenzuführen – die Ökos mit den Technos wie es Silke ausdrückte. Die Erzählung von den commons handelt von Dingen, die jeder aus eigener Erfahrung kennt und ist darum für viele verschiedene Menschen nachvollziehbar, die sonst nur schwer mit politischen Themen erreicht werden könnten.
Aber das hat natürlich auch einen Nachteil, über den wir auch viel gesprochen haben, nämlich die Kompatibilität der commons mit dem kapitalistischen System. Die Frage, ist es möglich, dass beides – Markt und commons – nebeneinander bestehen, oder schluckt der Markt immer die commons, wurde sehr kontrovers diskutiert.
Ein weiterer Aspekt war die „moralische“ Komponente – Solidarität und Verantwortung wurden von vielen in diese Richtung gedeutet. Es ist dann irgendwie so, dass die Meinung besteht, Solidarität und Verantwortung müssten Verzicht und Einschränkung bedeuten. Die Frage wurde aufgeworfen, ob Solidarität nur „echt“ ist wenn sie „weh tut“. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass diese Elemente keine moralischen Forderungen sind, wie im kapitalistischen System, das strukturell genau das Gegenteil hervorruft – und deshalb eben auf moralische Appelle setzen muss. Solidarität und Verantwortung sind im commons-Ansatz strukturell angelegt. Wenn die Entwicklung einer Person von der Entwicklung der anderen abängt und umgekehrt, dann wird gegenseitige Verantwortung und Kooperation zur sinnvollen Verhaltensweise unabhängig davon, ob man sich „mag“ oder nicht.
Und wie immer nach solchen Events wurden die offenen Fragen nicht weniger sondern mehr. Trotzdem war es wichtig, die einzelnen Diskurslinien aufeinander abzustimmen, voneinander wichtige Impulse zu erhalten, auch unterschiedliche Sichtweisen wahrzunehmen und damit zu arbeiten.
Sonntag nach dem Mittagessen verabschiedete sich eine nach dem anderen, ich hatte kein günstiges Ticket für einen Nachtzug mehr erwischt und fuhr erst Montag früh, Bennis Zug ging erst abends, so blieben wir beide übrig. Ich wollte noch einmal in den Park Wilhelmshöhe und einige Fotos machen. Als ich das erste Mal dort war, war der Akku meines Fotoapparates leer. Benni schloss sich mir an.
Mittags schien die Sonne und es hatten offensichtlich viele Menschen das Wetter für einen Sonntagsausflug genutzt. Als wir gegen vier Uhr nachmittags hinkamen, strömten sie gerade zurück. Männer, Frauen, Kinder mit Schlitten, Snowbords und Schiern kamen uns entgegen, im Hintergrund das Schloss, darüber die monumentale Herkulesstatue. Machtsymbole, die heute keine Bedeutung mehr haben und nur mehr Objekte der Denkmalpflege sind, die das Fundament des Herkules für Reparaturarbeiten eingerüstet hat. Wann werden Wallstreet, die Londoner Börse oder Bulle und Bär in Frankfurt der Denkmalpflege überantwortet, als Erinnerung an „the age of stupid“?
Die bunte Menschenmenge in der Winterlandschaft erinnert mich an ein Breughel-Motiv. Ich muss noch ein Foto machen. Benni sinniert: wie lange hätte wohl Breughel gebraucht, um die vielen Menschen zu malen und du machst nur einmal Klick. Das geht mir nicht mehr aus dem Kopf, weil ich das Gefühl habe, es hat was mit dem Thema der letzten Tage zu tun, ich komme aber nicht drauf, was. Aber vielleicht habe ich ja nach diesen langen Diskussionen schon das Gefühl, dass alles mit allem zusammenhängt und vielleicht stimmt das ja sogar. Ich muss daran denken, was Stefan gestern erzählt hat über den Zusammenhang der Einführung des Geldes und dem Taktsystem in der Musik. Vielleicht ist unser Hirn bloß nicht in der Lage, diese Komplexität zu erfassen. Aber möglicherweise sind die commons ein Weg, zumindest eine etwas komplexere Sichtweise zu erschließen, als es das Marktparadigma tut.
Und jetzt geb ich erst mal Ruhe mit diesem Thema, aber: heute ist nicht alle Tage – die commons kommen wieder, keine Frage ;-).