8. Dezember, „Einkaufsfeiertag“ in Österreich – das bedeutet, dass die Handelsangestellten arbeiten müssen, damit die kaufkräftige Kundschaft am Feiertag nicht ins benachbarte Ausland abwandert, sondern ihr Geld zu Hause zur Ankurbelung der Wirtschaft ausgibt. 8. Dezember 2009 bedeutet aber auch „Weihnachtsputztag“ an der befreiten Vorklinik. Die befreite Vorklinik, wie alle anderen Gemeingüter oder Commons auch, braucht die Community, jene Menschen, die sie durch ihr Tun am Leben halten und dazu gehört auch, die Räume hin und wieder einer Generalreinigung zu unterziehen.

Gemeingüter – Commons – sind keine neue Erfindung, sondern standen eigentlich am Beginn allen menschlichen Wirtschaftens. Der Begriff stammt aus England und bezeichnete ursprünglich gemeinsam bewirtschaftetes Land, in Deutschland Allmende genannt, das denen gehörte, die es nutzten und das auch der König anerkennen musste, damit er seinerseits anerkannt wurde. Der Siegeszug des Kapitalismus beruht zu einem guten Teil auf der Einhegung = Privatisierung dieser Commons. Das Weideland wurde eingezäunt, die Menschen verloren ihre Existenzgrundlage und waren gezwungen, sich als Arbeiskräfte in den damals gerade entstehenden Fabriken zu verdingen. Ein altes Gedicht erzählt von dieser Zeit:

The law locks up the man or woman
Who steals the goose from off the common
But leaves the greater villain loose
Who steals the common from the goose.

Gemeingüter sind nicht nur Wiesen oder Wälder. Auch Wasservorräte oder Fischgründe können als Gemeingüter genutzt werden, oder öffentliche Dienstleistungen wie Bildungsystem oder Gesundheitssystem. Das moderne Musterbeispiel für ein Common ist freie Software. Wissen, Saatgut, das menschliche Genom oder eine saubere Umwelt können ebenso als Gemeingüter angesehen werden, wie abstrakte Dinge wie Demokratie oder soziale Sicherheit. Oder eben eine Universität – diese sogar in zweierlei Hinsicht. Erstens natürlich – wie oben angedeutet – die Räumlichkeiten, die Gebäude, die von denen, die sie nutzen, entweder als Gemeingut behandelt werden können, wie in der befreiten Vorklinik, daher von allen gemeinsam gepflegt werden, oder – wie im realen Universitätsleben – als von einem Arbeitgeber, bzw. von der Universität als Dienstleister, den MitarbeiterInnen und Studierenden zur Verfügung gestellte Infrastruktur. Zur Leistung gehört dann auch, dass bezahltes Reinigungspersonal für Sauberkeit sorgt. Wichtiger ist natürlich, die Universität als Raum des Lernens, Lehrens und Forschens als Gemeingut zu sehen, das von denen die dort arbeiten erst hervorgebracht wird, aber auch erhalten werden muss und über das auch diese entscheiden können sollten, eben die Regeln für seine Nutzung selbst festlegen.

Die Einhegung der Gemeingüter jedenfalls war mit der Privatisierung von Weideland nicht abgeschlossen. Auch heute noch entwickelt sich das Kapital indem es immer neue Gesellschaftsbereiche seiner Logik unterwirft. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Bereich der Gemeingüter für kurze Zeit wieder ausgeweitet – eben durch leicht zugängliche öffentliche Dienstleistungen, ein umlagenfinanziertes Pensionssystem, ein selbstverwaltetes Sozialversiche- rungssystem. In den letzten 20 Jahren erlebten wir jedoch einen enormen Einhegungsprozess. Der Status des „öffentlichen Eigentums“, der ja im Grunde Staats- oder Gemeindeeigentum meint, erwies sich nicht als ausreichender Schutz davor. Der Staat, so haben wir gelernt, ist ein Regierungsinstrument im Dienst der Mächtigen. Es hängt also von den gesellschaftlichen Machtverhältnissen ab, in wessen Interesse er tätig ist. Der Wohlfahrtsstaat war von ausgeglicheneren Kräfteverhältnissen gekennzeichnet, hier konnte der Staat für Interessensausgleich durch Umverteilung sorgen. Gerade in der Krise wurde sichtbar, dass wir auf den Staat nicht mehr zählen können, was die beinahe in Vergessenheit geratenen Gemeingüter wieder in den Mittelpunkt des Interesses rückt.

Nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche sind heute der Marktlogik unterworfen, nur mehr als Waren gegen Geld zu erwerben. Krankenhäuser wurden ebenso privatisiert wie Wasserversorgungsanlagen oder öffentliche Verkehrsmittel. Was nicht verkauft wurde, wird zumindest so organisiert, als ob es ein Unternehmen wäre und alle gesellschaftlichen Systeme werden daran gemessen, ob sie Profit bringen und die Wettbewerbsfähigkeit des Staates verbessern. Einhegung von Gemeingütern bedeutet, dass alles zur Ware wird und nur mehr gegen Geld zu bekommen ist. Das trifft mittlerweile auch schon für die Freizeit zu, es gibt kaum noch gesellschaftliche Bereiche, in denen Geld nicht Voraussetzung für Teilhabe ist.

Es gibt also immer weniger Dinge, die als Gemeingüter organisiert sind und wenn Menschen versuchen, Gemeingüter aufzubauen, sind sie deshalb mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. Selbstorganisation braucht Zeit, die in unserer Gesellschaft, wo alle sich im Wettbewerb um die Verbesserung ihres Humankapitals aufreiben, kaum mehr zur Verfügung steht. Und sie braucht Raum – Raum, der ohne Geld zu benutzen ist, steht uns aber auch kaum noch zur Verfügung. Schließlich ist unser Recht einseitig auf den Schutz des Privateigentums ausgelegt und legt einer Selbstorganisation viele Hürden in en Weg. Eine Lösung für dieses Problem zeigt uns die letzte Strophe des Gedichtes:

The law locks up the man or woman
Who steals the goose from off the common
And geese will still a common lack
Till they go and steal it back.

Vor diesem Hintergrund sind verschiedene Aneignungsversuche der letzten Jahre, auch der der Univeristäten zu sehen. Die Gänse holen sich ihre Weide zurück, um wieder selbst darüber bestimmen zu können. Und wie früher fordern sie auch heute die Garantie des Staates dafür ein. Dieser wäre gut beraten, sie zu gewähren, denn ohne Gemeingüter kann eine Gesellschaft nicht überleben. Auch nicht eine kapitalistische, was wir heute durch Krisen an allen Ecken und Enden bemerken. Gemeingüter wären aber mehr noch die Voraussetzung für ein anderes, solidarisches Wirtschaftssystem. Die Wiedereroberung von Gemeingütern könnte ein erster Schritt sein, hin zu einer demokratischen, solidarischen Gesellschaft.

Auch für den Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen könnte die Organisation als Gemeingüter Lösungen bieten, die sowohl allen Menschen ausreichend Zugang garantieren als auch einen Erhalt der Ressourcen. Heute herrscht die Meinung vor, Markt und Wettbewerb seien die besten Methoden im Umgang mit knappen Ressourcen. Es zeigt sich allerdings, dass sie weder zu einer gerechten Verteilung führen, noch den Bestand der Ressourcen sichern. Knappheit, sagt Massimo de Angelis, ist zudem nichts Naturgegebenes, sie ist sozial hergestellt. Die Herstellung von Knappheit ist eine Möglichkeit, mit begrenzten Ressourcen umzugehen, aber nicht die einzige. Daran sollten wir denken, wenn wir wieder einmal glauben, um unser Stück vom Kuchen kämpfen zu müssen. Es ist genug für alle da, wenn man es nur richtig organisiert.

Das wichtigste Merkmal von Gemeingütern ist, dass sie gemeinsames Eigentum derer sind, die sie nutzen, dass sie aber niemand in dem Sinn besitzt, dass er darüber frei verfügen, sie also auch verkaufen oder zerstören könnte. Die NutzerInnen nutzen die Gemeingüter nach von ihnen selbst entwickelten Regeln, diese müssen allerdings von der Regierung respektiert werden und ins Rechtssystem Eingang finden, wie eben die Allmende. Elinor Ostrom beschreibt in ihrem Buch „Governing the Commons“, wie Menschen solche Regeln entwickeln und auch wenn nötig verändern und sie betont auch, dass einerseits „von oben“ verordnete Regelungen wenig Chancen haben, zu funktionieren, dass aber andererseits es notwendig ist, dass die von den NutzerInnen entwickelten Regeln auch Rechtsstatus bekommen. Gemeingüter müssen als eigene Rechtsform etabliert werden, gleichberechtigt mit Privatbesitz und öffentlichem Eigentum. Ob ein Gut ein Gemeingut ist, hängt nicht von irgendwelchen Eigenschaften des Gutes ab, sondern – wie oben am Beispiel der Univeristät gezeigt – davon, dass es als Gemeingut erzeugt und genutzt wird. Gemeingüter sind also weniger Dinge als Beziehungen zwischen Menschen und Dingen.

Denn Gemeingüter brauchen, wie schon oben ausgeführt, beides: die Garantie der Regierenden und die Community, die sie erhält. Die befreite Vorklinik ebenso wie Demokratie oder eine freies Bildungssystem gehen verloren, wenn sie nicht entsprechend genutzt werden. Für die Vorklinik – oder für eine, wie auch immer geartete, „freie Universität“ heißt das nicht nur, dass sie hin und wieder einer Generalreinigung unterzogen wird. Es muss auch Studierende geben, die Lust und Interesse daran haben, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die im normalen Studienalltag unter den Tisch fallen. Die sich die Zeit nehmen, das was sie lernen auch kritisch zu hinterfragen. Es muss Lehrende geben, die dabei aktive und passive Unterstützung leisten. Es muss Lehrende und Studierende geben, die bereit sind, die „Beforschten“ nicht als Forschungs- objekte zu sehen, sondern als Subjekte mit Praxiswissen. Durch die Integration von wissenschaftlichem Wissen und Praxiswissen kann dann mit den Betroffenen gemeinsam eine Gesellschaftsveränderung erreicht werden. Das hat sich z.B. die „Kritische & Solidarische Universität“ zum Ziel gesetzt.

Um dieses Ziel erreichen zu können, muss sie aber auch von der Regierung, von der Gesellschaft, von den verantwortlichen Institutionen anerkannt werden. Das bedeutet, dass Räume und finanzielle Mittel zur Verfügung stehen und dass das dort erworbenen Wissen als studienrelevant anerkannt wird. Das sind die Dinge, die wir heute für unsere befreiten Universitäten einfordern sollten.

Und zum Schluss noch einmal zurück in die Idylle der befreiten Vorklinik: Fleißige Hände waschen Tische, saugen Staub, wischen den Boden und sortieren Müll. Einige Leute kommen und bringen zwei Einkaufswagen voll mit Lebensmitteln und ein paar Krampussackerln. Bald durchzieht Essensduft die Räume, das Kochteam zaubert in kurzer Zeit ein Mittagessen für die fleißigen ArbeiterInnen. Wir sitzen im Kreis, essen, unterhalten uns, dann wird gespielt, gelesen. Tannenzweige mit kleinen Glöckchen dran hängen über feministischen Plakaten und neben kämpferischen Parolen. Eine neue Europakarte zeigt an, wo überall Universitäten besetzt sind oder waren. Musik klingt durchs Haus. Ich will was Weihnachtliches, meint ein Mädchen. Kurz darauf Kurt Sowinetz „Alle Menschn san ma zwida“. Auf dem Tisch brennen Kerzen. Die junge Protestbewegung arbeitet sich am tradtionellen Weihnachtsfest ab. BefreierInnen-Wichteln stand vorige Woche auf dem Programm. Und wir arbeiten daran, dass sich nicht erfüllt, worauf viele vermutlich insgeheim hoffen: dass diese Bewegung über die Weihnachtsferien von selbst verebbt. Auf jeden Fall gibt es seit gestern auf der befreiten Uni eine Freie Bibliothek, die schon recht gut sortiert ist – von Asterix bis Max Weber, von Maria Mies bis Karl Popper, von Psychoanalyse bis Globalisierung, damit auch über die Weihnachtsfeiertage die Zeit nicht lang wird und das Common seine Community nicht verliert.

3 Gedanke zu “Gemeingut Universität”
  1. Fantastisch guter Artikel. Hat mir etwas klar gemacht was mir schon lange nur schemenhaft war. Erinnert sei an den Kampf zwischen Adel und Bauern ums Wildern (u.a. in „Die Judenbuche“ von Annette von Droste-Hülshoff)

    Aber auch folgendes:
    1. in den 1960er Jahren war es noch möglich in Manhattan von drei Tagen Arbeit in der Woche ein knappes Existenzminimum aufrecht zu erhalten. Auch dadurch wurden z.B. die Tanzexperimente der Judson Church Gruppe erst ökonomisch möglich: heute gebrauchen alle alltägliche Bewegungen oder Multi-media Performances.
    Heute ist das vollkommen unmöglich.

    2. In den Niederlanden ist am 15. Oktober 2009 vom Parlament ein Gesetz angenommen worden welches das alte Recht nach dem das besetzen von Häusern nach min. 1 Jahr leerstehend legalisiert war, wieder unter Strafe stellt und zwar dieses Mal verschärft: bis zu 2 Jahre Gefängnis können riskiert werden.
    (Geert Wilders machts möglich)
    Leerstehende Güter sollen zukünftig von den Gemeinden verwaltet werden, was aber nicht zwingend ist.
    Die ndl. Gemeinden ihrerseits haben weder Gelder noch Personal, geschweige denn Interesse derartige neue Bürokratie zu bilden.

    Der springende Punkt: nur die wenigsten machen sich klar dass damit auch einem grossen Teil der ndl Kulturszene der Boden unter den Füssen entzogen wird, da viele von dem alten Gesetz entweder direkt oder indirekt Gebrauch gemacht haben, und sich damit eine Existenzgrundlage erhalten konnten mit der sie ein Einkommen unter dem Minimum bei Ausübung ihrer Arbeit verwirklichten.

    Glücklicherweise muss das neue Gesetz noch vom Senat gutgeheissen werden und es regt sich mittlerweile Widerstand (siehe auch auf Facebook)

    neue Kunst- neue Denker – neue Wege > mehr Überlebenschancen angesichts der von unseren Vorfahren angerichteten Lage…

    Viel gutes Gelingen, denken Sie weiter, vergessen Sie bitte niemals was Sie dieser Tage erleben dürfen.

    „soviel weiss ich: es gibt Zeitenlöcher wie dieses. Wir dürfen es nicht ungenutzt verstreichen lassen“ (aus Christa Wolf: Kassandra, 1983)

  2. Nachtrag zu Punkt 1.
    Was ich meinte war: versuchen Sie mal heute irgendwo, und sowieso in New York, von drei Tagen Arbeit eine ökonomisch haltbare Existenz zu verwirklichen.

    Allgemein: wann wird klar werden dass wir letztendlich alle im selben Boot sitzen und wenn einige Löcher in die Wand bohren, oder meinen nicht mitrudern zu müssen oder drauflosschaukeln zu können, wir alle daran ersaufen…
    dass also auch Macht etwas ist was geteilt wird um haltbar zu sein und zeitweise strukturelle Sicherheit geben kann?

  3. Danke! Genau das ist es, was ich meine, ich hatte zwar die Theorie, aber nicht die praktischen Beispiele dazu. Wir ergänzen uns gut :-).
    Und es ist nicht nur die Kulturszene, die darunter leidet, sondern es sind eben viele für die Gesellschaft notwendige und enorm bereichernde Dinge, die verloren gehen, weil die Bedingungen ihrer Herstellung reduziert oder gar nicht mehr vorhanden sind. Dinge, die man irgendwie unter „soziales Kapital“ oder „soziale Qualität“ zusammenfassen könnte.

    Und wenn alle die drunter leiden, das Boot in die gleiche Richtung steuern würden, anstatt draufloszuschaukeln, das könnte uns tatsächlich ein gutes Stück weiterbringen.

    Allerdings, von 3 Tagen Arbeit zu leben – oder besser gesagt, von 20 – 25 Stunden in der Woche, das mache ich schon lange. Ich geb aber zu, dass das ein Privileg der „akademischen Elite ist“ – wenn sie denn für ihre Arbeit bezahlt wird. Und sobald ich Zeit habe (vermutlich wenn ich in Pension bin …) werde ich die Judenbuche lesen.

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