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Befreiung der Unis

Selbstorganisiertes Lernen als Teil solidarischer Ökonomie – befreite Universitäten als Voraussetzung für soziale Innovation

Das ist der Titel eines Workshops, den ich am Freitag im „befreiten“ Hörsaal 06.02 der Uni Graz halten werde. Und weil jetzt eh schon so viele Leute mitreden, kommt er hier schon vorher rein und nicht wie beabsichtigt erst nachher, damit die Diskussion transparenter wird ;-).

Zum Einstieg werde ich das Thema aus der Diskussionen beim Elevate herleiten. Also die Rückführung aller aktuellen gesellschaftlichen Krisen auf das kapitalistische Wirtschaftssystem, die Notwendigkeit etwas „ganz Anderes“ zu entwickeln, etwas wofür wir noch keinen Namen haben, von dem wir noch nicht wissen, wie es ausschauen wird, für das wir auch noch neue Fähigkeiten und neues Wissen entwickeln müssen, was wir uns nur im Tun aneignen können. Und diese Systemveränderung kann nicht einem gemeinsamen Entwurf für alle folgen, weil das nur wieder neue Hierarchien hervorbringen würde, sondern diese Veränderung der Gesellschaft, diese wirkliche soziale Innovation, muss von vielen verschiedenen Gruppen von vielen verschiedenen Stellen aus passieren. Selbstorganisierte Bildung ist ein wichtiger Teil davon.

Warum? – Aus mindestens 3 Gründen:

1. Was Universitäten lehren, ist inhaltlich fragwürdig, zumindest zu eng um die Gesamtheit sozialer und ökologischer Prozesse adäquat zu erfassen. Ersichtlich z.B. daran, dass die bekanntesten Wissenschaftler am wenigsten in der Lage waren, die Finanz- und Wirtschaftskrise vorauszusehen und diejenigen, die seit Jahren davor warnten, in der Hierarchie der wissenschaftlichen Community ganz nach unten gedrängt wurden.

Universitäten sind nach Foucault die bedeutendsten Orte gesellschaftlicher Wahrheitsproduktion. Verantwortungsvolle Lehre sollte die Regeln dieser Produktion ebenso sichtbar machen wie die breite Wissenspalette die für die Produktion dieser hegemonialen Wahrheit nicht zugelassen und damit unsichtbar wird.

2. Die Struktur der Universitäten fördert genau jene Einstellungen und Werte, die die Krisen verursachen, nämlich Konkurrenzverhalten, Vereinzelung, Nutzenmaximierung, eben Anpassung an bestehende Normen und Werte. Weder die Inhalte noch die persönlichen Kompetenzen, die wir für eine Erneuerung der Gesellschaft brauchen, können also durch die Universitäten hervorgebracht werden.

Das wird deutlich an der herrschenden Auffassung, quer durch alle Parteien, dass Universitäten der Zweck dienen sollen, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Staaten zu erhöhen. Entweder durch Erhöhung des Humankapitals und durch Entwicklung neuer Technologien, die eine noch effizientere Kapitalverwertung ermöglichen. Bildung für den Wettbewerb impliziert aber Bildung für den Sieg über andere, d.h. sie dient auch der Produktion von Verlierern, was unvereinbar ist mit dem Ziel einer Bildung für eine friedlichere, gerechtere und demokratischere Gesellschaft.

3. Als wichtigster Vorteil des Kapitalismus wird im Allgemeinen sein Innovationspotential angesehen. Es stimmt zwar, dass vieles was uns das Leben angenehmer macht, durch ihn hervorgebracht wurde, wir wissen aber nicht, zu welchen Innovationen es in einer anders organisierten Gesellschaft gekommen wäre, die möglicherweise für Menschen und Umwelt weniger schädlich wären. Im Kapitalismus können sich nur jene Innovationen durchsetzen, die zu mehr Profit, zu besserer Kapitalverwertung führen, alle anderen, die zu mehr sozialer Qualität, zu weniger Ausbeutung von Menschen und Natur führen würden, sind von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Freie Software ist ein Paradebeispiel dafür, dass auch in nicht kapitalistischen Strukturen Innovationspotential liegt. Ein anderes sind die Beispiele für die Bewahrung von „Commons“ wie Bergweiden, Wasservorräten oder Fischgründen durch die Gruppen von NutzerInnen, die in der Lage sind, bei sich ändernden Umweltbedingungen innovative Methoden kollektiver Regelungen zu entwickeln, wie sie Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom in ihrem Buch „Governing the Commons“ beschreibt. Von diesen natürlichen Commons, die zum Teil schon seit hunderten von Jahren existieren, sind wir heute genauso abhängig wie damals. Allem Gerede von Kommunikations- oder Wissensgesellschaft zum Trotz können wir ohne die notwendigen natürlichen Ressourcen nicht überleben. Sie sind jedoch heute mehr denn je bedroht.

Die Fähigkeiten, die wir zu ihrem Erhalt brauchen, lassen sich nicht im universitären Alltag erlernen, sie wären dort vermutlich sogar hinderlich. Darin liegt eine, wenn nicht die größte Bedeutung dieser Studentenproteste: im Einüben der Selbstorganisation, der dazu notwendigen Fähigkeiten. In dem Wissen, das hier produziert und geteilt wurde und noch wird, das denen die dabei waren, niemand mehr nehmen kann. Die Erkenntnis, es geht! Menschen müssen sich nicht immer utilitaristisch verhalten, sie können kollektiv mehr bewirken als alleine und es schwächt sie nicht als Individuen, sondern stärkt sie noch. Die hier mitmachen werden nie mehr so studieren wie davor.

Und was hat das mit Solidarischer Ökonomie zu tun?

Nun, es gibt einige Leute, zu denen auch ich gehöre, die denken, dass dieser Begriff möglicherweise diese Lücke füllen könnte, einen Namen für diese noch unbekannte, bisher namenlose neue Art Gesellschaft und Wirtschaft zu organisieren darstellen könnte. Das ist einerseits notwendig, wenn wir Forschungs- oder Entwicklungsprojekte dazu einreichen wollen, weil wir ja auch Geld zum Leben brauchen, solange wir in diesem System leben.

Das ist andererseits für die Praxis möglicherweise nicht unbedingt nötig, daher für mich auch noch offen. Mein Ziel ist nicht, dass alle von euch oder sonst irgendjemand diesen Begriff übernehmen, ich bin mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt einen Namen braucht für diese Vision, weil jeder Name sie leichter vereinnahmbar macht. Den Begriff „Solidarische Ökonomie“ würden vermutlich auch viele Konservative, VertreterInnen ökosozialer Marktwirtschaft oder Anhänger der corporate social responsibility auf ihre Fahnen schreiben. Das ist eine der Fragen, die ich hier diskutieren möchte.

Für mich ist der Begriff deshalb sinnvoll, weil er eine Beschreibung der Vision zulässt, die nicht auf einen gemeinsamen Weltentwurf, sozusagen aus einem Guss, hinzielt, auch nicht auf eine Lebensform, der sich alle unterordnen müssen, sondern sich eher aus einer Abgrenzung zum bestehenden System ableitet und eine Art Wegweiser sein kann, für verschiedene Arten Neues zu probieren.

Ökonomie deshalb weil,

  • Ökonomie aus meiner Sicht nicht auf die Bereiche Markt, Produktion und Profit reduziert werden kann, sondern Ökonomie für mich alles umfasst, was für die Reproduktion von Gesellschaft notwendig ist, also auch Kunst, Kultur, Bildung, demokratische Mitbestimmung, gesellschaftliche Teilhabe, Pflege sozialer Beziehungen. Also diese Trennung aufhebt zwischen Produktion und Konsum, Wirtschaft und Politik, Theorie und Praxis.
  • daher also die Produktion von Gütern und von sozialen Lebensbedingungen und der Umgang mit natürlichen Ressourcen nicht voneinander getrennt betrachtet werden können, sondern eine Einheit darstellen,
  • der Begriff schließlich deutlich macht, dass es darum geht, die Dinge hervorzubringen, die wir zum Leben brauchen, es also nicht um ehrenamtliche, „karitative“ Tätigkeiten, die wir zusätzlich zur Erwerbsarbeit leisten sollen, sondern um einen Ersatz der entfremdeten Erwerbsarbeit durch gesellschaftliche sinnvolle Tätigkeiten, durch die wir auch unseren Lebensunterhalt sichern. Das muss derzeit zumindest teilweise durch Bezahlung erfolgen, das Ziel sind aber nicht-monetäre und nicht-marktvermittelte Formen des Wirtschaftens.
  • er darauf hinweist, dass es – bei „Solidarischer Ökonomie“ groß geschrieben – nicht nur darum geht einzelne Gruppen oder Unternehmen in dieser Art zu organisieren, sondern dass sich diese auch noch zu Netzwerken oder Produktionsketten zusammenschließen müssen, um wirklich dem Konzept der Ökonomie gerecht zu werden.

Solidarisch deshalb, weil

  • es eine Abgrenzung darstellt zu ethischem, individuellen Handeln (ethischer Konsum, ethische Unternehmensführung) ebenso wie zu Wohltätigkeit, zu karitativen Handlungen. Ich will diesen Handlungen nicht ihre Sinnhaftigkeit oder Wirksamkeit innerhalb des Systems absprechen, bezweifle aber, dass sie systemverändernd wirken können
  • solidarisches Handeln also per se kollektives Handeln ist, daher der Individualisierungstendenz, dem neoliberalen Zwang zu Autonomie und Eigenverantwortung entgegensteht, die kollektive Autonomie aber stärkt, was sich aus meiner Sicht in diesen Protesten an den Universitäten deutlich zeigt
  • und weil selbstorganisierte Produktion die wesentlichen kapitalistischen Beziehungen wie z.B. zwischen Produktion und Konsum, zwischen BesitzerInnen von Produktionsmitteln und VerkäuferInnen der Arbeitskraft, zwischen SchuldnerInnen und GläubigerInnen, zwischen HausbesitzerInnen und MieterInnen aufhebt. Alle sind ProduzentInnen und KonsumentInnen, BesitzerInnen und ArbeiterInnen oder BewohnerInnen gleichzeitig und bestimmen auch mit über die Art der Produktion, Nutzung und Verteilung.

Solidarische Ökonomie weist also auf eine explizit nicht-kapitalistische Form von gesellschaftlicher Reproduktion hin.

Nun die wichtigsten Merkmale und Ziele „Solidarische Ökonomie“

Hier folgt eine kurze Zusammenfassung der Präsentation von Andreas Exner vom Workshop beim Elevate, die ganze Präsentation findet sich hier:

solidarische-konomie-gemeinwirtschaft

Das Ziel Solidarischer Ökonomie ist, vom kapitalistischen Wirtschaftsystem wegzukommen, hin zu einer Wirtschaft die nach sozialen und ökologischen Kriterien organisiert ist und auf Selbstorganisation und Demokratie aufbaut.

Eine wichtige Voraussetzung für Solidarische Ökonomie sind Gemeingüter = Commons. Gemeingüter sind Ressourcen, die von einer Gruppe von Personen gemeinsam definiert und genutzt werden, nach Regeln, die diese Gruppe selbst entwickelt und überwacht und die die Gemeingüter vor Schädigung, Übernutzung und Privatisierung schützen. Solche Commons gibt es auf lokaler, regionaler und globaler Ebene, sie existieren allerdings nicht „von Natur aus“, sondern müssen von den Menschen die sie nutzen bewusst hergestellt und erhalten werden. Es handelt sich also weniger um „Dinge“ als um Beziehungen zwischen Menschen und zwischen Menschen und Dingen.

Gemeingüter können so verschiedene Dinge sein wie gemeinsame Bergweiden, Wälder, Wasservorkommen, Luft, Klima, Gene, aber auch kulturelle Güter wie Sprache, Musik, Wissen und natürlich auch Bildung und die Bildungseinrichtungen, wie die Universitäten. Alle an den Unis Beteiligten müssen dazu beitragen, dass sie als Orte der freien Bildung und Forschung erhalten werden können. Die Patentierung und damit Privatisierung von Wissen steht dem diametral entgegen und verhindert, dass Wissen wirklich von allen gleichermaßen genutzt werden kann. Als positives Beispiel stehen dem die Creative Commons gegenüber.

Die Funktion des Kapitalismus basiert ganz wesentlich auf der „Einhegung“, also der Privatisierung von Commons, was sie der kapitalistischen Logik unterwirft. Das begann mit der Privatisierung von öffentlichem Weideland, die den Menschen ihre Existenzgrundlage nahm und sie zwang ihre Arbeitskraft zu verkaufen und erfährt heute durch den Neoliberalismus einen neuen Höhepunkt. Aktuelle Einhegungen, d.h. Bereiche, die unter die Logik der Kapitalverwertung gestellt werden, sind nicht nur soziale Sicherungssysteme (Stichwort Privatpension), das Klima (Stichworte Emmissionszertifikate, Geo-Engineering) oder die Gene (Stichwort Patentierung von Leben) sondern auch unsere Emotionen, geistigen und kreativen Fähigkeiten (Stichwort Employability) und auch Wissen, Bildung und Bildungsinstitutionen.

Zusammenfassung der Eigenschaften:

  1. Solidarische Ökonomie ist mehr als eine Summe von solidarökonomischen „Betrieben“
  2. sie produziert v.a. Commons (Gemeingüter) je mehr Gemeingüter desto besser für Solidarische Ökonomie
  3. baut direkte Beziehungen anstelle von Markt/Staat-Beziehungen
  4. vereint „Produktion“ and „Re-Produktion“
  5. garantiert kulturellen Lebensstandard ohne Bedingungen
  6. kann ohne Krise „schrumpfen“, generiert dabei Zeitwohlstand

Solche Produktions- und Lebensformen gibt es auch heute schon, es geht darum, sie zu finden, zu stärken und auszubauen, dazu können und sollen auch Universitäten beitragen.

Freie Universitäten für eine solidarische Gesellschaft jenseits von Markt und Staat

Es wäre wünschenswert, wenn auch über die Zeit der Proteste hinaus selbstorganisierte Lernprojekte und -prozesse an der Uni bestehen könnten, z.B. nach dem Muster von „keine Uni“ in Wien. Dazu ist es natürlich notwendig, dass das Studium, die Curricula, die Uni-Strukturen, dafür Raum lassen, das sollte neben der ausreichenden Finanzierung eine Kernforderung sein, außerdem mehr Mitbestimmung für Lehrende und Lernende. Mit dem was wir in der offiziellen Uni lernen ist die Gesellschaft nicht überlebensfähig.

Selbsorganisierte Projekte in Graz an denen mensch sich beteiligen kann über den Bereich der Uni und Bildung hinaus:

  • Spektral
  • Projekt A-Z
  • AMSEL (Arbeitslosenselbstorganisation)
  • Fahrradküche
  • Volxküche
  • Kostnixladen
  • Foodkoop
  • Infoladen
  • Netzwerk „in Graz verstrickt“ (Veranstaltungsplattform)
  • Guerilla-Gardening

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