Spätestens seit im Golf von Mexiko unvorstellbare Mengen an Rohöl ungehindert ins Meer fließen und immer deutlicher wird, dass durch den Zwang, Investionen endlich in Profite zu verwandeln, jegliche Sicherheitsbedenken – im wahrsten Sinne des Wortes – über Bord geworfen wurden, wird die Notwendigkeit eines „Systemwandels“ über die Kreise „linkslinker Gutmenschen“ hinaus salonfähig. Denn dass wir nicht erst die Wirtschaftskrise bekämpfen können und uns dann ums Klima kümmern oder umgekehrt, sondern dass diese Krisen und Probleme alle zusammenhängen, wird inzwischen vielen klar. Wie aber dieser Systemwechsel ausschauen kann und was die Wege dorthin sind, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Systemveränderung – das bedeutet immer, Grenzen zu überschreiten, sich ins Niemandsland vorzuwagen, Sicherheiten aufzugeben. Ein guter Kompass ist dazu unverzichtbar, mit dem wir immer wieder feststellen können, auf welcher Seite der Grenze wir uns befinden. Auch der beste Kompass wird nicht verhindern können, dass einige Wege sich als Irrwege herausstellen. Trotzdem ist es wichtig, dass es viele verschiedene Versuche alternativer Lebensformen gibt. Dabei dürfen wir allerdings zwei Dinge nicht vergessen:
Erstens: Systemveränderung kann nicht heißen, dass wir ein neues System wollen, das die dominierende Rolle des alten übernehmen soll, sondern Systemveränderung bedeutet vor allem, Bedingungen zu schaffen unter denen verschiedene Versuche, die Reproduktion unserer Lebensbedingungen anders zu organisieren, sich entfalten und gedeihen können.
Zweitens: es muss uns klar sein, dass die zerstörerische Kraft der kapitalistischen Produktionsweise nicht an den Eigenschaften von Personen hängt, sondern der Art sozialer Interaktionen, die bei der Reproduktion unserer Lebensbedingungen stattfinden, immanent ist. Es reicht also nicht, sich auf die Veränderung in den Köpfen zu verlassen, auf moralische Appelle, auf Einsicht in Vernunft oder Notwendigkeit.
Buko-Kongress, ASF, Open-Space-Symposium des 7 Generationen-Netzwerkes, Vortrag im depot in Wien – viele Gelegenheiten hatte ich in den letzten Wochen, mit den verschiedensten Menschen über solche Dinge zu diskutieren. Viele neue interessante Projekte habe ich kennen gelernt, es gab inspirierende Begegnungen und es entstand wohl auch die eine oder andere neue Freundschaft. Es gab aber auch immer wieder Momente, in denen ich Skepsis, manchmal sogar Ablehnung, spürte.
Letztere vor allem dann, wenn die – für eine sozial und ökologisch nachhaltige Lebensweise sicher förderliche – Spiritualität in eine abgehobene Esoterik umschlug. Was dann etwa so klingt, dass wir nur positive Energien um uns verbreiten müssen und die guten Schwingungen gewähren lassen, damit sich die Welt von selbst verändert. Wenn wir uns nur gut fühlen, bei dem was wir tun, dann werden uns die anderen von selbst folgen. Der unsichtbaren Hand des Marktes soll die „unsichtbare Hand der Liebe“ entgegengesetzt werden, sie soll die Menschen quasi von selbst auf dem richtigen Weg zusammenführen. Die Reflexion der Machtverhältnisse, der alltäglichen Zwänge, die die Menschen daran hindern, diesen Schritt zu tun, auch wenn er noch so verlockend wäre, die Konflikte, die in Prozessen sozialer Veränderung auftreten, werden dabei ausgeblendet.
Eine Spiritualität, wie sie von Frauen und indigenen Völkern gelebt wird, wie sie sich etwa in dem Konzept der „Mutter Erde“ ausdrückt, das bei der Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel und die Rechte von Mutter Erde in Cochabamba zum zentralen Thema wurde, gründet im praktischen Erfahren und Tun der Menschen und wirkt auch wieder auf dieses zurück. Die Idee der „Mutter Erde“ umfasst das Wissen um die Verbundenheit und Abhängigkeit der Menschen mit und von ihrer natürlichen Umwelt und verweist auf die Notwendigkeit, sein Tun an diesem Wissen auszurichten. Sie enthält aber auch das Wissen um die Bedrohung der „Rechte der Mutter Erde“, um vergange Kämpfe um diese Rechte und daher die Bereitschaft, sich für deren Erhalt aktiv einzusetzen. Dieses Wissen, nicht nur um die Verbundenheit mit der Erde, sondern auch um die Abhängigkeit voneinander, ist in unserer „aufgeklärten“, an instrumenteller Rationalität ausgerichteten, Gesellschaft häufig verloren gegangen. Wir haben es daher versäumt unsere „Commons“ zu verteidigen, haben sie eingetauscht gegen die trügerische Sicherheit des privaten Eigentums.
Als Ersatz dafür tauchen an abstrakten Werten und Ideen orientierte, von der täglichen Erfahrung entkoppelte und nicht an entsprechende Handlungen rückgebundene, oft genug diese ersetzende, Rituale auf, von denen man sich irgendwelche „Wunder“ erhofft. Hier, wie in manchen anderen Dingen, von denen noch zu reden sein wird, können wir einiges von den Menschen in den Ländern lernen, die wir häufig als „Entwicklungsländer“ bezeichnen.
Oder wenn die Tendenz bestand, neuen „Gurus“ zu huldigen, die uns die richtigen Lösungen bringen. Als ob wir nicht schon zu oft von solchen enttäuscht worden wären. Keine positiven Energien und keine noch so charismatischen Führerfiguren können uns der Notwendigkeit selbst zu handeln und selbst zu denken entheben, der Notwendigkeit, „sich in einer Lebensform zu engagieren, in der du dein Leben, deine Subsistenz, in die eigenen Hände genommen hast“ (Louis E. Wolcher in einem Vortrag über das „Law of the Commons“, Übersetzung Silke Helfrich im commonsblog).
Und es gibt schon zahlreiche postive Beispiele dafür. Gruppen von Menschen, die versuchen, die Logik von Markt, Profit und Wettbewerb zu überwinden und „anders“ zu leben, zu produzieren, ihre Lebensbedingungen zu reproduzieren.
Erst hatte ich ein Aha-Erlebnis bei einem Workshop, in dem es um die Frage ging, ob und wann es sinnvoll ist, alte Häuser zu renovieren, oder ob es besser ist, gleich neue Häuser zu bauen, die nur wenig Energie brauchen. Dass ja in jedem bestehenden Haus bereits Energie enthalten ist, aus den Baustoffen, den Baumaschinen, die für den Bau benötigt wurden usw., dass diese Energie verschwendet wird, wenn das Haus abgerissen und die Überreste auf dem Schuttplatz entsorgt werden, das war für mich die entscheidende Erkenntnis. Wenn ein neues Passivhaus gebaut wird hingegen, dann braucht das zwar kaum Energie für Heizung, aber die Bauteile brauchen viel Energie – und auch Erdöl – bei der Produktion, sie müssen von weither angeliefert werden, und nach 50 Jahren sind sie Sondermüll, weil z.B. große Mengen Styropor und andere Kunststoffe nicht abbaubar sind. Wenn man also die Energiebilanz über den ganzen Lebenszyklus eines Hauses betrachtet und nicht nur die Heizenergie, dann ist es oft besser, ein altes Haus mit Baustoffen, die lokal verfügbar sind (Lehm, Stroh, Kalk, Holz) zu renovieren und vernünftig zu beheizen (es muss nicht in allen Räumen den ganzen Tag 20 Grad und mehr haben). Auch hier wie überall: lokale Ressourcen und alte Techniken sind häufig den modernen überlegen, weniger arbeisaufwändig, man kann vieles selbst oder in der Nachbarschaft machen und daher auch noch billiger – und reduzieren die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, aber auch von den globalen Märkten und kaptitalistischen Produktionszyklen im Allgemeinen.
Da gibt es etwa das Projekt des „Gartens der Generationen“, das alle diese Aspekte berücksichtigt. Der Grund wird durch einen Fonds gekauft, der der Eigentümer ist und dieses Eigentum den Nutzern überlässt. Geplant sind ein Gemeinschaftshaus und Wohnhäuser für mehrere Familien, diese sollen in Lehm-Stroh-Bauweise mit lokal verfügbaren Baustoffen gebaut werden. Es gibt schon ein gemeinsames Kartoffelfeld und einen „Selbsterntegarten“. Hier ist die Möglichkeit der Nutzung vom Eigentum getrennt, es besteht ein ganzheitlicher Ansatz, der die sozialen Beziehungen rund um die Produktion dessen was zum Leben gebraucht wird organisiert und auf Energieeffizienz ebenso achtet, wie darauf, dass niemand ausgeschlossen wird, weil er oder sie kein Geld in den Fonds einbringen kann.
Es gibt auch andere Projekte, in denen viele sinnvolle Dinge passieren, in denen Menschen sich engagieren, kollektive Lebensformen entwickeln, z.B. die Ökodörfer. Anders als in Deutschland ist in Österreich die Trennung von Eigentum und Nutzung, wie im „Garten der Generationen“ geplant, noch kaum üblich. Meist müssen die Menschen, die in den Ökodörfern wohnen genug Geld haben, um sich das leisten zu können. Entweder müssen Grund oder Haus gekauft werden, oder es muss eine relativ hohe Miete bezahlt werden, um die Mehrkosten des nachhaltigen Lebensstils abzudecken. Manche bieten – gegen gute Bezahlung – Workshops, Seminare, Schnupperwochenenden für Menschen an, die selbst solche Projekte gründen wollen und finanzieren damit einen Teil ihrer Kosten.
Da ist die Gaja-University. Eine interdisziplinäre und internationale Universität, die akkreditiert ist und an der man auch einen Bachelor- oder oder Mastertitel erwerben kann. Wo Praxiswissen mit wissenschaftlichem Wissen zusammengeführt wird in der Methode des „Action learning“ und die sich auf die Förderung sozialer Veränderung richtet. Eigentlich alles, was wir uns für eine „kritische Uni“ wünschen würden – zum stolzen Preis von 6000 Euro pro Semester.
Wenn alternative Lebensformen nur für die zugänglich sind, die vorher genug Geld innerhalb des Marktsystems verdient haben und sich „einkaufen“ können und es sich auch leisten können, für das Know-how zu zahlen, dann können wir noch nicht von einem Systemwandel sprechen. Dann werden diese Lebensformen im Gegenteil immer vom Marktsystem und seinem Erfolg abhängig bleiben. Und es besteht die Gefahr, dass das zu weiteren Spaltungen der Gesellschaft führt. Da bleibt die Gruppe der Reichen, die weiterhin nach Profit strebt und dabei auch Erfolg hat, bestehen, dazu kommen diejenigen, die sich den Ausstieg leisten konnten und es sich in ihrer Parallelwelt eingerichtet haben, und der Rest, die Masse der Reservearmee, das neue Lumpenproletariat.
Es ist eine Gratwanderung in mehrfacher Hinsicht.
Einerseits muss das alternative Leben für alle zugänglich sein, unabhängig davon ob sie Geld haben oder nicht. Es darf sich aber nicht um ein karitatives Programm „für die Armen“ handeln. Vielmehr muss uns klar werden, dass die Kategorien „arm“ und „reich“ einem falschen – nämlich nach unserem neuen Denksystem, das wir anstreben falschen – Messsystem entstammen. „Arm“ ist ja entweder, wer arm gemacht wird oder wer sich bewusst nicht in dieses System einordnen will und daher genau genommen schon eine alternative Lebensform praktiziert. Es geht um ein Programm nicht „für“ irgendjemanden, sondern „mit“ und „durch“ alle Menschen, die aktiv nach Alternativen suchen, die Frage ob jemand Geld hat oder nicht, ist dafür nicht relevant. Relevant ist, ob es sich um eine „Lebensform [handelt], in der Autonomie und die Fähigkeit die eigenen Grundbedürfnisse zu befriedigen in direkter Reichweite der Commoners (das sind die daran beteiligten Menschen) liegen, und nichts sind, was ihnen von oben gewährt werden muss“ (Wolcher, s. oben). Armut als Mangel an Befriedigung der Grundbedürfnisse kann dann gar nicht entstehen, denn diese erfolgt unabhängig von Geld oder Job.
Andererseits muss diese Befriedigung der Grundbedürfnisse über das „nackte Überleben“ hinausgehen, also ein „Gutes Leben“ ermöglichen. Wir dürfen also – auch wenn wir nicht nach Eigentum oder Profit streben – die Umverteilungsdebatte nicht außen vor lassen. Wir wollen am Wohlstand dieser Welt teilhaben und wir wollen, dass das alle können. Sehr schön drückt das Christian Siefkes aus mit „selbstorganisierter Fülle“.
Die Umverteilungsfrage bedeutet auch die Auseinandersetzung mit Geld, denn dieses ist notwendig, um alternative Lebensformen innerhalb des bestehenden Systems zu ermöglichen. Wenn wir davon ausgehen, dass „Commons“ – oder wie immer man diese alternativen Lebensformen nennen will – neben Markt und Staat bestehen sollen, aber unabhängig von beiden funktionieren sollen, dann ist die Kernfrage, wie diese Schnittstellen gestaltet werden sollen, wie die Grenzen durchlässig sein können, aber trotzdem vor Vereinnahmung schützen. Also: woher kommt das Geld für die Schaffung der Commons, welche Rolle übernehmen öffentliche Institutionen dabei? Um die oben angesprochen Gefahr der Ausgrenzung großer Teile der Menschheit zu umgehen ist es meiner Meinung nach unumgänglich, Strukturen zu schaffen, die zwischen juristischem Eigentum und Nutzung, inklusive Mitbestimmung, trennen und auf längere Sicht auch eine gesetzliche Absicherung solcher neuen Eigentumsstrukturen anzustreben.
Die diversen bereits praktizierten Methoden durch Stiftungen, Fonds oder Direktkredite Häuser oder Grundstücke dem Markt zu entziehen und für die Nutzung für alternative Projekte zur Verfügung zu stellen scheint mir die bisher beste Möglichkeit zu sein, diese Bedingungen zu erfüllen. Da gilt es aber in Österreich noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten.
Bei uns gibt es meist den Reflex, Geld, wenn es nicht einer Bank anvertraut werden soll, den „Armen“, meist denen in den „Entwicklungsländern“ zu geben. Das kann auch durchaus sinnvoll und notwendig sein, wenn es darum geht, Menschen in diesen Ländern in ihren Bestrebungen gegen die Eingliederung ins Marktsystem zu unterstützen, wie in solchen Fällen kommunaler Wasserversorgungssysteme in Bolivien. In der Mehrzahl der Fälle dienen Entwicklungshilfeprojekte aber dazu, Menschen in Entwicklungsländern die Eingliederung ins Marktsystem zu erleichtern. Und immer häufiger hört man aus diesen Ländern die Meinung „Wenn ihr uns helfen wollt, dann geht wieder nach Hause, wir wissen selbst, wie es geht. Bringt erst einmal eure Gesellschaft in Ordnung, dann geht es auch uns besser. Wenn ihr aber glaubt, dass unser Kampf auch euer Kampf ist, dann könnt ihr gerne bleiben und von uns lernen“. Ein Mann von der MST in Brasilien sagte beim BUKO-Kongress, was er hier wahrnimmt, wie wir uns dem Thema „Commons“ annähern und versuchen es in politische und praktische Programme zu übersetzen, das erinnere in sehr daran, wie sie vor 20 Jahren begonnen haben. Von wegen Entwicklungsland …
Dieses „die eigenen Gesellschaft in Ordnung bringen“, d.h. die Unterstützung von Projekten alternativer Lebensformen in Österreich durch entsprechende Geldanlage – nicht als karitative Gabe für die Armen, die es anders nicht schaffen, sondern als Zukunftsperspektive für die Menschheit – das ist eine Methode der Umverteilung, die wir selbst organisieren können, ohne auf die Einführung irgendwelcher neuer Steuern zu warten, deren Verwendung wir erst wieder nicht beeinflussen können. Also: nicht Eingliederung von Menschen ins Marktsystem im Süden, sondern Ausweitung der Bereiche, die nicht dem Marktsystem unterworfen sind, bei uns. Das bedeutet, Umverteilung zu nutzen, um Commons zu schaffen.
Der Verkauf von Produkten oder Wissen aus solchen Commons-Projekten hingegen, widerspricht auf jeden Fall dem Grundsatz der Commons, dass die dort produzierten Dinge – auch Wissen – genutzt, werden dürfen, aber nicht in Privateigentum übergehen können, daher nicht verkauft werden können. Gerade beim Wissen, das in solchen Lebensformen entsteht, wäre es notwendig, es mit so vielen Menschen wie möglich zu teilen, anstatt es zur Ware zu machen.
Eine weitere Gratwanderung schließlich besteht genau in den Methoden der Vermittlung dieses Wissens, des Empowerments, der Ermächtigung der Menschen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wir haben in unserer Gesellschaft die sozialen Kompetenzen in selbstorganisierten Gruppen zu arbeiten, die Methoden der Entscheidungsfindung und Regelung der Nutzungsformen weitgehend verlernt. Viele Projekte scheitern daran, dass die Mitglieder sich in Endlosdiskussionen aufreiben oder sich schließlich doch wieder Machtstrukturen entwickeln. Zweifellos ist es also hilfreich, Trainings für Gruppen anzubieten, wie sie im Transition Movement entwickelt wurden, Transition Workshops, Dragondreaming, usw. Solche Trainings sind z.B. im Rahmen der Alternativenforen (Webseite sollte bald befüllt werden 😉 ) geplant. Aber auch hier spüre ich einige Skepsis in Bezug auf die Methoden und Instrumente, wenn ich mir anschaue, welche Denkweisen manchmal dahinter stehen, dass es oft wieder darum geht, dass jemand damit Geld verdienen kann, welche Begriffe dabei verwendet werden.
Wenn wir Methoden und Werkzeuge aus dem Projektmanagement oder der Organisationsentwicklung verwenden, wie z.B. hier, müssen wir sehr vorsichtig sein, damit wir nicht die darin enthaltenen Werte und Kriterien der Effizienz, der Zielorientierung, der Plan- und Messbarkeit mit übernehmen. Ich bin der Meinung, dass wir Begriffe wie „Projektmanagement“ aus unserem Sprachschatz streichen sollten. Sie stammen aus der Logik der Humankapitaltheorie, nach der wir uns selbst als Waren und unser Leben als Projekt gestalten sollen, wo wir uns nicht mit der Arbeit indentifizieren sollen, weil wir ja flexibel genug sein müssen uns an eine jeweils neue anzupassen. Wenn wir alternative Lebensformen entwickeln wollen, dann ist das nichts außerhalb von uns, ist keine „Projekt“, das wir irgendwie „managen“ können. Vielmehr geht es darum, anders zu leben, uns als ganze Personen, mit „Hirn, Herz und Hand“ zu involvieren, das verändert schließlich unsere Beziehungen, unsere Emotionen, unsere Werte und unsere Identität. Wir dürfen nicht den Fehler begehen, Ziele und Meilensteine festzulegen und uns an Leistungskriterien zu orientieren. Wir müssen uns auf diese Veränderungsprozesse einlassen und solche Veränderungsprozesse konstruktiv zu begleiten scheint mir eine wichtige Aufgabe, die nur schwer mit Managementinstrumenten zu lösen sein dürfte. Wieder aus den Ländern, die wir gerne „Entwicklungsländer“ nennen, können wir Demokratieformen und Arten miteinander und mit der Umwelt umzugehen lernen, die möglicherweise dafür besser geeignet sind. Auch Begriffe wie „Fundraising“ machen mich skeptisch, weil das ja den Eindruck erweckt, Reiche geben etwas für Projekte, die sie unterstützenswert finden und nicht vermittelt, dass auch die Reichen, die das Geld geben, Teil des Systems sind, das verändert werden soll.
Die Unterscheidung zwischen Partizipationsprozessen von oben, bei denen es darum geht, möglichst viele Menschen in Aktivitäten zu involvieren, die letztlich das System stützen sollen, und Empowermentprozessen, die eine wirkliche Veränderung von unten ermöglichen, ist oft schwierig, die Übergänge sind vermutlich fließend, die Vereinnahmungsgefahren groß. Umso wichtiger ist es, immer wieder den Kompass zur Hand zu nehmen, zu reflektieren, wem es nützt, was wir tun. Können wir Ressourcen aus dem System verwenden um die Alternativen zu stärken? Oder übernehmen wir letztlich wieder nur die sozialen und Umweltaufgaben und helfen damit dem kapitalistischen Produktionssystem seine Kosten zu externalisieren? Unterstützen wir es damit, dass wir die Reproduktion von Arbeitskraft billiger machen oder können wir wirklich die soziale Reproduktion unsere Lebensbedingungen jenseits des Marktes ermöglichen?
Und auch wenn wir das erreichen, haben wir noch nicht gewonnen, denn die Mächtigen werden die Macht nicht freiwillig aufgeben. Wir müssen also zusätzlich überlegen, wie wir mit den daraus entstehenden sozialen Konflikten umgehen können. Wir brauchen neben Alternativen auch weiterhin kreative Methoden des Widerstandes und subversive Formen der Aneignung mit denen wir uns den Vereinnahmungsversuchen widersetzen können, ohne dass die sozialen Spannungen in Barbarei münden. Nur dann entstehen Bedingungen, die Freiräume eröffnen für die Entwicklung und Entfaltung neuer Wege, deren Ziel noch nicht feststeht, denn: Wege entstehen im Gehen.