In Zeiten wie diesen ist das AMS um jeden „Kunden“ froh, der aus der Statistik rausfällt. Daher ist es offensichtlich ziemlich leicht, die BeraterInnen zu überzeugen, dass frau ihr Leben als neue Selbständige zu fristen in der Lage ist und sie also Aufnahme finden kann ins Unternehmensgründungsprogramm, kurz UGP, das ihr einige Monate ohne besondere Auflagen finanzielle Absicherung garantiert. Dort gibt es „Workshops“ für angehende UnternehmerInnen – Kurse klingt offensichtlich nicht sexy genug für die unternehmerischen Subjekte. Es gibt solche, in denen es um rechtliche Dinge, Buchhaltung, usw. geht und die schon recht hilfreich sind, wenn man in solchen Dingen eher behindert ist. Und es gibt einen Workshop mit dem vielversprechenden Titel „Zielgerade zum Erfolg“, als Einstiegshilfe in den neuen Lebensabschnitt. Aus der Beschreibung ging schon hervor, dass es sich vermutlich um eine Art Gehirnwäsche handelt, die Menschen davon überzeugen soll, dass sie auf jeden Fall zu strahlenden Siegern werden, wenn sie es nur richtig angehen und positiv denken. Ich hatte eigentlich nicht vor, diesen Workshop zu besuchen, er wurde mir aber von mehreren Menschen aufs Wärmste empfohlen, weil er so ganz besonders toll sei. Irgendwann stach mich der Hafer oder es siegte die Neugierde und aus – natürlich rein wissenschaftlichem 😉 – Interesse beschloss ich, mir das einmal anzuschauen.

Gleich vorweg – es war nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt hatte, die Leute waren sehr nett, wir haben viel gelacht, ich habe einen Banker kennen gelernt, der Attac kannte und es im Grunde gut fand, was wir machen. Aber, im Verhältnis zu den Kreisen, in denen ich mich sonst bewege, war es doch eine Art Parallelwelt. Und mir wurde wieder einmal klar, welch verkehrte Welt hier vermittelt wird und wohl von vielen Menschen als unhinterfragbar oder eine Art Naturgesetz akzeptiert wird. Seltsam war es schon, genau jene Dinge als Non-plus-ultra vorgesetzt zu bekommen, die ich in meinen Vorträgen immer versuche als Irrtümer und Mythen zu entlarven. Im Großen und Ganzen hab ich den Mund gehalten und es hat mir einige Genugtuung verschafft, dass auch andere diese hohlen Phrasen zumindest doch hin und wieder durchschaut haben.

Die Trainerin war auch wirklich sehr ok – auch hier gilt wohl, die angehenden UnternehmerInnen, die man man ja nicht zwingen kann, dort mitzumachen, kann man nicht mit irgendwelchen Schmalspurangeboten abspeisen. Sie war sehr authentisch, vermittelte uns glaubwürdig, mit vielen eigenen Erfahrungen, wie wunderschön es ist und welche Erfolgserlebnisse es bringt, als Verkäuferin zu arbeiten. Irgendwie eine seltsame Mischung aus Marktgläubigkeit und Esoterik. Hat auch bei Firmen gekündigt, wenn sie nicht mehr mit voller Überzeugung zu ihrem Produkt stehen konnte, weil – etwa durch Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer – die Qualität nicht mehr entsprach. Das nennt man wohl soziale Verantwortung. Die dahinter stehenden Konzepte macht es nicht richtiger.

Eines der Highlights war folgende Situation: wir hatten gerade gelernt, wie wichtig es ist, klare, messbare und realistische Ziele zu haben, diese mit fixen Terminen zu versehen und vor allem auch aufzuschreiben. Als Beweis für die Richigkeit dieses Vorgehens erzählte unsere Trainerin von einer wissenschaftlichen Untersuchung (das Wort wissenschaftlich wurde mehrmals betont, dass man „wissenschaftlich“ so ziemlich alles beweisen kann und auch das Gegenteil davon wurde von niemandem angesprochen) der Universität Harvard an ihren Absolventen. Kurz vor Studienabschluss wurden diese gefragt, ob sie schon konkrete berufliche Ziele hätten. Ein großer Teil antwortete, sie wollten erst einmal die Dinge auf sich zu kommen lassen, ein kleinerer, ja, sie hätten schon konkrete Ziele und einige wenige hatten nicht nur Ziele, sondern diese auch aufgeschrieben. 10 Jahre später hätte eine weitere Umfrage ergeben, dass diejenigen, die sich Ziele gesetzt hatten, 5x soviel verdienten, wie diejenigen, die die Dinge an sich herankommen ließen, während diejenigen, die sich ihre Ziele aufgeschrieben hatten, 10x soviel verdienten. Für mich eher ein Grund, meine Ziele nicht aufzuschreiben, aber da besteht eh keine Gefahr ;-). Ich konnte mich dann doch nicht zurückhalten und meinte, dass aber vielleicht das Leben der Mehrheit spannender gewesen sein könnte, und dass das ja auch ein erstrebenswertes Ziel sein könnte. Und plötzlich gab es von vielen der TeilnehmerInnen ziemlich massive Proteste dagegen, seine Ziele nur auf den Aspekt des möglichst viel Verdienens reduziert zu sehen. Ich glaube, ich hatte das Glück, in dieser Beziehung wirklich eine ziemlich untypische Gruppe erwischt zu haben und die Trainerin hat sich dann auch sehr bemüht wieder zurück zu rudern und den Frieden wieder herzustellen.

Interessant für mich war die Behandlung der Begriffe „Bedürfnisse“ und „Bedarf“. Für uns ist es ja immer wichtig klar zu machen, dass Bedarf eben heißt, wieviel Geld eine Gesellschaft willens und in der Lage ist, für die Befriedigung eines bestimmten Bedürfnisses auszugeben und dass wir daher auf einer Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen und nicht am marktvermittelten Bedarf bestehen müssen. Dieser Unterschied zwischen Bedürfnis und Bedarf wurde uns hier schon auch vermittelt, allerdings mit einer anderen Schlussfolgerung: Als UnternehmerIn wäre es eben notwendig, Menschen so zu beinflussen, durch gute Werbung oder indem man sie zum richtigen Zeitpunkt erwischt, dass ihre Bedürfnisse zu Bedarfen werden, dass sie also bereit sind, Geld auszugeben zu deren Befriedigung, ev. sogar viel Geld auszugeben. Dass es eine große Gruppe von Menschen gibt, denen es aus Geldmangel gar nicht möglich ist, ihre Bedürfnisse in Bedarf zu verwandeln, auf die Idee kam niemand. Auch nicht auf die, dass man eventuell Bedürfnisse anders als mit Hilfe von Geld befriedigen könnte.

Und dann kam noch die Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow zum Einsatz und hier hatte ich dann ein Aha-Erlebnis. Aber von Anfang an:

Also, ganz unten sind die körperlichen Bedürfnisse (Essen, Trinken, Schlafen), dann kommt Sicherheit, dann das Bedürfnis nach sozialer Einbindung, dann kamen Luxus und Prestige und ganz oben Selbstverwirklichung. Genutzt wurde dieses Modell so, dass wir angeleitet wurden, zu überlegen, welche dieser Bedürfnisse wir denn mit unseren Produkten befriedigen konnten und an welchen Bedürfnissen anzusetzen in Österreich besonders profitträchtig ist: nämlich an den Bedürfnissen nach Sicherheit, Gesundheit und verfügbarer Zeit. Das hatte ich bisher immer als Abkehr von materiellen Bedüfnissen interpretiert. Hier war das anders: dafür wären Menschen bereit, viel Geld auszugeben. Absurder geht’s wohl nicht, keines von den dreien kann man mit Geld befriedigen. Und es war auch ganz klar, dass, je höher oben auf der Pyramide, umso mehr Geld notwendig war, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Also Sicherheit gibt’s erst zu kaufen, wenn du satt bist, dann erst hat man Zeit für soziale Beziehungen (dass diese kaufbar seien, wurde nicht erwähnt) und wenn du die hast, kannst du dir die Yacht und den Pelzmantel leisten und wer ganz reich ist, kann sich selbst verwirklichen. Und jemand hatte dann die originelle Idee zu sagen, wenn man es mit der Selbstverwirklichung zu weit treibe, dann könne man wieder ganz unten landen. Und weil es ja grad so lustig war, zeichnete die Trainerin einen roten Pfeil von ganz oben unter die Basis der Pyramide und schrieb „Sandler“ dazu.

Mehrere Dinge gingen mir durch den Kopf, als ich diesen Ausführungen folgte. Erstens dieser Zugang, die Bedüfnisse aufsteigend an zunehmenden Geldbedarf zu koppeln, auf diese Idee war ich bisher noch nicht gekommen, was sollte z.B. Selbstverwirklichung mit Geld zu tun haben, oder Sicherheit, oder auch Prestige. Das ist wohl Ausdruck davon, dass heute alles zur Ware gemacht wird, für jedes Bedürfnis am Markt Befriedigung versprochen wird.

Zweitens – ich hatte mit dieser Bedürfnispyramide schon in der Altenpflegeausbildung zu tun und ich hatte das deutliche Gefühl, dass die damals anders ausgesehen hatte. Ich habe nachgeschaut und fand Folgendes: Ganz unten auch hier die physischen Bedürfnisse und das Bedürfnis nach Sicherheit. Dann kamen das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Liebe und darüber das nach Wertschätzung – das klingt ja doch etwas anders als Luxus und Prestige, ist halt nich so leicht für Profitzwecke zu nutzen. Naja. An fünfter Stelle kam auch hier die Selbstverwirklichung. Aber, und das war es, was ich in Erinnerung hatte, es ging noch weiter. Es kamen noch ästhetische Bedürfnisse (Wissen und Verstehen, Harmonie und Schönheit) und schließlich das Bedürfnis nach religiöser oder ethischer Sinnfindung.

Da sind schon einige bezeichnende Dinge passiert. Vor allem sind die letzten beiden irgendwie verloren gegangen, übrigens auch im Wikipedia-Modell. Nach der Selbstverwirklichung kommt heute anscheindend gar nichts mehr, die ist das höchste aller Ziele und noch dazu an viel Geld gekoppelt.

Und genau das war das Dritte, das mir so plötzlich klar wurde, als dieser Pfeil von der Selbstverwirklichung zum Sandler kam: wie nahe diese beiden Dinge beisammen liegen, wenn man von der Hierarchie ausgeht. Ich merkte auf einmal, schon diese Idee der hierarchischen Anordnung, die ja doch – auch unabhängig davon, ob man das an Geld koppelt oder nicht – aussagt, dass man eben erst satt uns sicher sein muss, bevor man an soziale Beziehungen denken kann, dass man sich erst selbst verwirklichen oder spirituellen Dingen zuwenden kann, wenn alles andere erfüllt ist, ist absolut absurd und verkehrt. Und natürlich war es wieder dieser Blickwinkel der commons, der sich da durchsetzte und alles auf den Kopf stellte: Keines dieser Bedürfnisse, außer vielleicht Schlafen, aber auch das kann man vermutlich nicht gut, wenn man Hunger hat oder sich nicht sicher fühlt, kann man alleine befriedigen, für alle sind die sozialen Beziehugen die Voraussetzung. Das beginnt mit der Geburt aber es dauert eigentlich über das ganze Leben, weil wir ja – wenn man von Ausnahmen wie Robinson Crusoe absieht – unser Leben immer in einem gewissen Ausmaß arbeitsteilig organisieren, also weder zu essen noch zu trinken bekommen, ohne das soziale Netz in das wir eingebunden sind.

Also, grundlegend ist das Soziale, das befähigt uns zur Befriedigung unserer Grundbedürfnisse, die soziale Eingebundenheit gibt uns Sicherheit, dort und nur dort können wir Wertschätzung erfahren und dadurch Prestige erwerben und im besten Fall ermöglicht uns die gemeinsame Auseinandersetzung mit unserer Umwelt auch Selbstverwirklichung, so wie im Social Quality Approach definiert: „Soziale Qualität ist das Ausmaß, in dem Menschen am sozialen, ökonomischen und kulturellen Leben und der Entwicklung ihrer Gemeinschaft unter Bedingungen teilhaben können, die ihr persönliches Wohlbefinden und die Entwicklung ihres individuellen Potentials fördern.“

Tut mir leid, Herr Maslow, ich glaube, sie haben sich geirrt! Um der Wahrheit die Ehre zu geben, diese Kritik findet sich auch schon im Wikipedia, aber ich schwöre, ich hab’s vorher nicht gelesen und die Erfahrung ist intensiver, wenn man selber so drauf gestoßen wird. Statt der Pyramide würde ich einen Kreis machen, der das Soziale darstellt und hinein andere Kreise für körperliche Bedürfnisse, Sicherheit, Anerkennung, Selbstverwirklichung, Sinnfindung. Aber keine konzentrischen Kreise, sonst wird es erst wieder hierarchisch, sondern alle irgendwie gleichrangig. Naja, vielleicht muss ich da ja noch ein bissl arbeiten dran, bevor ich berühmt werde ;-).

2 Gedanke zu “Von Bedürfnissen und Zielen – oder Abenteuer auf einem anderen Stern”
  1. Hallo Brigitte,

    vielen Dank für den Bericht.

    Es ist echt ein starkes Stück, dass eine öffentliche Institution wie der AMS mit der Verbreitung solcher Theorien (á la „Jeder ist seines Glückes Schmied…“) auch dazu beiträgt, gemeinsinniges oder soziales Denken, also einen m.E. basalen Bestandteil der Öffentlichkeit abzuschaffen. Die Widersprüche in die man sich da selber bringt, werden offenbar überhaupt nicht reflektiert. Wenn z.B. alle wie Arbeitskraftunternehmer funktionieren, worauf ja solche „Trainings“ m.E. hinauslaufen, gibt es m.E. keinen Staat im heutigen Sinne mehr, schon weil keiner mehr Zeit und Muße hat, sich um öffentliche Angelegenheiten zu kümmern.

  2. Nur ein Irrtum: Das AMS = Arbeitsmarktservice ist keine öffentliche Institution, wurde ausgelagert, wie auch denke ich, das deutsche Pendant, die Arbeitsagentur? Wird mit den Beiträgen aus der Arbeitslosenversicherung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert und – zumindest in Zeiten wie diesen – natürlich auch aus Steuermitteln. Aber dass diese Selbstvermarktung vermitteln, ist ja eh ein alter Hut, finde ich zumindest bei Leuten, die sich selbständig machen wollen, noch verständlicher als bei solchen, die kaum Chancen auf einen Job haben und immer noch Bewerbungstrainings machen müssen.

Kommentare sind geschlossen.