Dieser Text erschien in der CONTRASTE vom April 2015 im Schwerpunkt zur Demonetarisierung

Im Zentrum des heutigen Wirtschaftens steht die Geld- und Tauschlogik, das Streben nach Profit und Wachstum. Zur Lösung der Probleme, die das mit sich bringt, wird oft versucht, immer mehr Dinge in diesen Bereich hineinzuholen: immer mehr Reproduktionsarbeit zu Lohnarbeit zu machen und unbezahlte Tätigkeiten dem BIP zuzurechnen, Natur mit einem Preis zu versehen, um sie zu schützen. Die »Internalisierung von Externalitäten« soll Ungerechtigkeiten und ökologische Schäden verhindern. Manche aber wollen gar nicht hinein in dieses System.

In der Stadt Juchitan im Süden Mexikos bestimmten die Frauen das Wirtschaftsleben in einer modernen Form der Subsistenzwirtschaft, so beschrieb es Veronika Bennholdt-Thomsen 1997. Das bedeutete keineswegs ein karges Leben im ländlichen Raum. Juchitan war damals eine Stadt mit etwa 80.000 EinwohnerInnen und einem lebhaften Handel, der fast ausschließlich von Frauen betrieben wurde und ebenso nahezu ausschließlich der »Reproduktion«, also der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse, diente. Die Reproduktionstätigkeiten waren dort nicht in den Privathaushalt verbannt, sondern standen im Zentrum aller wirtschaftlichen Aktivitäten. Auf dem Markt waren die Dinge erhältlich, die die Menschen selbst für ihr eigenes alltägliches Leben brauchten. Sie wechselten ihr Besitzerinnen gegen Geld, im direkten Tausch oder auch als Geschenke, je nachdem wie die Situation und die Pflege der Beziehungsstrukturen es gerade erforderte. Es handelte sich um einen Markt, auf dem es zwar Geld gab, der aber nicht der in diesem Schwerpunkt beschriebenen Geldlogik gehorchte, sondern rund um die Bedürfnisse der Menschen aufgebaut war und mindestens ebenso sehr der Pflege und Gestaltung tragfähiger sozialer Beziehungen diente.

Das bedeutete keineswegs ein karges Leben, wie es mit dem Begriff »Subsistenz« häufig assoziiert wird. Da ging es auch darum, den Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen oder ein neues Haus zu bauen. Wer gerade kein Geld brauchte, produzierte und verkaufte auch nichts. Hatte eine Frau mehr Geld, als sie gerade brauchte, trug sie es in Form von Goldstücken als Schmuck bei den vielen Festen, die in dieser Subsistenzgesellschaft die Funktion sozialer Umverteilung erfüllten. Die Wohlhabenden waren besonders gefordert zur Ausrichtung dieser Feste beizutragen. Bis in die späten 1980er Jahre gab es in der Stadt keinen Supermarkt, schlicht deshalb, weil niemand dort eingekauft hätte. Den Menschen war sehr bewusst, dass das ihre Subsistenzkreisläufe und damit auch die Beziehungen zerstört hätte. Erst das Freihandelsabkommen NAFTA brachte in den 1990er Jahren das endgültige Aus für diese Art des Wirtschaftens.

Die Subsistentheoretikerinnen vertraten schon in den 1970er Jahren die Ansicht, das kapitalistische System folge einer grundsätzlich destruktiven Logik und darum sei es auch kontraproduktiv, immer mehr Bereiche in diese Logik hineinzuholen. Es werde auch nicht besser, wenn Frauen dabei auch noch mitmachen, schreibt Marianne Gronemeyer in ihrem letzten Buch. In den letzten Jahren folgten immer mehr Menschen dieser Argumentation. Die Logik der Commons, das Gute Leben oder – seit der »Care-Revolution« 2014 – die Care-Logik, sollten im Zentrum allen Wirtschaftens stehen. In der Commons-Diskussion sind das die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen und der verantwortungsvolle Umgang mit natürlichen Ressourcen. Die Sorge um sich selbst, um die anderen und um die nichtmenschliche Natur, formuliert es die Care-Logik. Das wesentliche Kriterium für alle wirtschaftlichen Aktivitäten sei, »dass das Leben weitergehen kann«, meint die Subsistenzperspektive. Das Leben, das Gute Leben oder – wie es in der andinen Tradition wirklich heißt – das »gute Zusammenleben«, müsse im Mittelpunkt stehen und alles andere könnte sich darum herum anordnen, solange es dieser grundsätzlichen Logik des Lebendigen nicht entgegenwirke. Ina Paetorius meint, wir befänden uns gerade in einer Phase eines solchen Paradigmenwechsels, der gekennzeichnet sei von einem »Durcheinander« an Begriffen, Ideen und Praktiken, aus denen das Neue sich erst entwickeln muss.

Literatur:
Bennholdt-Thomsen, Veronika (Hg) (1997): Juchitan – Stadt der Frauen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg
Gronemeyer, Marianne (2012): Wer arbeitet, sündigt … Ein Plädoyer für gute Arbeit. Primus Verlag, Darmstadt
Praetorius, Ina (2015): Wirtschaft ist Care oder: Die Wiederentdeckung des Selbstverständlichen. Heinrich Böll Stiftung, Berlin.