Christian Siefkes und Michael Albert diskutieren online über Peer Produktion und Participatory Economy, kurz Parecon, ihre Konzepte für die Produktionsweise von morgen. Für die Contraste habe ich die Diskussion übersetzt und gekürzt. Der vierte Teil erschien in Heft 348 vom September 2013. Die ganze Diskussion auf Englisch ist hier nachzulesen. Dank an Christian für die Überarbeitung der Übersetzung!
Hier finden sich Teil 1, Teil 2 und Teil 3.
Peercommony ist kein Gratis-Supermarkt
Michael Alberts Zweifel an Peercommony
Christian Siefkes‘ Darstellung der Peercommony hat viele Ähnlichkeiten mit meinen eigenen Vorstellungen und Wünschen, aber es gibt auch etliche Gegensätze. Ich denke, dass seine Vorschläge manche Aspekte der Wirtschaft ausblenden. Er benennt zwei Bedingungen für Peercommony: erstens, menschliche Arbeit verschwindet durch Automatisierung aus dem Produktionsprozess und zweitens, alle haben Zugang zu Ressourcen und Produktionsmitteln.
Was Punkt eins betrifft, ist es natürlich wünschenswert, das die entfremdete Arbeit verschwindet. Es ist durchaus möglich, eine Teil davon durch Maschinen zu ersetzen, aber das würde sicher nicht bedeuten, dass alle Arbeiten, die nicht aus sich selbst befriedigend sind, verschwinden. Was die Produktionsmittel betrifft, ist es einfach nicht möglich, dass alle Menschen auf alle Produktionsmittel Zugriff haben und jeder sich mit allem selbst versorgen kann. Für beide Punkte gilt schließlich, dass diese Ergebnisse nicht von selbst entstehen werden, sondern wir beschreiben sollten, wie wir dorthin kommen.
Wie wissen wir, was und wieviel wir arbeiten müssen?
Siefkes betont, dass viele Tätigkeiten aus sich selbst heraus befriedigend sind, das ist richtig, heißt aber noch nicht, dass das was getan werden muss, wirklich getan wird und das was nicht getan werden sollte, auch wirklich nicht geschieht. Er sagt auch, dass Menschen oft deshalb arbeiten, weil andere sich über ihre Produkte freuen. Auch das stimmt, aber es erklärt noch nicht, wie und woher alle wissen sollten, was die anderen brauchen, um zu wissen, was sie produzieren sollen.
Siefkes meint, weil alle freiwillig teilnehmen, kann niemand andere herumkommandieren. Aber stellen wir uns einen Arbeitsplatz vor: Die Arbeiter stellen als selbstverwaltetes Kollektiv einen Arbeitsplan auf und entscheiden, dass jeder fünf Stunden arbeiten soll. Hans sagt, ich will aber sieben Stunden arbeiten (oder drei Stunden) und außerdem will ich lieber in der Nacht arbeiten. Ihr müsst das Licht anlassen, obwohl außer mir niemand da ist und tagsüber müsst ihr ohne mich auskommen. Heißt ein „Peer“ zu sein, auch dass niemand sagen kann, Hans, hier zu arbeiten verlangt gewisse Verpflichtungen, wenn du sie nicht einhalten wilst, arbeitest du besser woanders?
Ich bezweifle, dass sich die Tätigkeiten aller sinnvoll miteinander verbinden lassen, wenn jeder nur tut, was er will. Christian beschreibt hauptsächlich Beispiele aus der digitalen Sphäre, aber gerade in diesem Bereich arbeiten einige der ausbeuterischsten Unternehmen der Welt, Google, Facebook, Apple, Microsoft usw. Und keinesfalls kann man von Programmierern, die ein Einkommen aus anderen Quellen haben, darauf schließen, dass man grundsätzlich Produktion und Konsum entkoppeln könne. Auch wenn manches auf diese Art und Weise funktioniert, können wir doch nicht davon ausgehen, dass es für eine gerechte Allokation reicht, dass jeder tut was er will und nimmt was ihm gefällt.
Auch ich halte die „jeder-gewinnt“ Formel für erstrebenswert, aber dafür braucht es entsprechende Institutionen und Methoden der Interaktion. Also, woher weiß ich, was andere brauchen, und woher wissen andere, was ich brauche? Siefkes sagt, die Peerproduzenten hinterlassen Hinweise, aus denen sich andere aussuchen können, was sie tun wollen. Das funktioniert vielleicht für manche relativ unwichtigen Dinge, wo es egal ist, wann sie getan werden. Aber um Getreide zu ernten? Um Stahl zu schmelzen oder Flugzeuge zu fliegen? Und das alles gut aufeinander abgestimmt?
Wie wissen wir, was und wieviel wir konsumieren dürfen?
Peercommony basiert hauptsächlich auf Gütern, die von einer Gruppe gemeinsam entwickelt und erhalten werden und entsprechend der von der Gruppe selbst definierten Regeln genutzt werden, so dass alle einen angemessenen Teil entnehmen. Aber welche Regeln sind das und wie werden sie gemacht? Was ist ein angemessener Teil? Kann ich sechs Häuser haben und das ganze Jahr herumreisen? Und wenn nicht, warum nicht? Was hält mich davon ab? Wenn es mein Verantwortungsbewusstsein ist, woher weiß ich, was verantwortungsbewusst ist? Das Verantwortungsbewusstsein wird durch die sozialen Normen und Strukturen der Peercommony nicht angesprochen. Stattdessen sagen diese Strukturen den Menschen, sie können nehmen, was sie wollen und tun, wonach ihnen der Sinn steht – ungefähr so, wie sie es jetzt den sehr Reichen sagen, nehme ich an. Bitte sag mir, warum dann nicht jeder alles nehmen würde, was ihm gefällt, unabhängig davon, wieviel das ist.
Es ist eine Tatsache, dass wir nicht alles haben oder tun können. Ressourcen, Arbeit und sogar Jobs sind begrenzt. Siefkes sagt, es gehe in der Peer-Produktion darum, Lösungen zu finden, die für alle funktionieren. Ich denke, dass Parecon genau die institutionellen Rahmenbedingungen herstellen könnte, in denen Lösungen enstehen können, die für alle funktionieren. Parecon ist aus meiner Sicht die Umsetzung von Peercommony in die Realität.
Christian Siefkes Antwort:
Wer macht die Regeln und woher kommen die Informationen?
Du fragst, wie ein Arbeitsplatz funktionieren soll, wenn jeder tut was er will. Zu deinem Beispiel: warum sollte es die anderen stören, wenn jemand länger oder kürzer arbeitet? Aber natürlich würden Peerproduzenten manches Verhalten nicht tolerieren. Würde Hans etwas nur ein oder zwei Stunden täglich kommen und nur mit den Geräten herumspielen, würden sie vielleicht sagen, „Lass das! Entweder du hilfst uns hier, oder du verbringst deine Zeit anderswo.“ Oder wenn er jeden Tag zwölf Stunden da wäre, würden sie ihm empfehlen, sich auch mal auszuruhen. Aber solange er einen sinnvollen Beitrag leistet, ist es kein Problem, wenn er früher geht oder länger bleibt.
Für manche Zwecke ist es sinnvoll, sich genauer abzustimmen, deshalb machen die Menschen an einem Arbeitsplatz ihre Regeln selbst und jeder, der mitmachen will, muss diese Regeln akzeptieren. Gerade weil sie Peers sind, können sie sich selbst Regeln geben, an die sie sich dann auch alle halten müssen, wenn sie weiter mitmachen wollen. Wären sie keine Peers, dann gäbe es Chefs, die die Regeln machen und kontrollieren würden.
Nur wer wenig mit Computern zu tun hat, kann Linux als „relativ unwichtig“ bezeichnen. Auch Freie-Software-Projekte wie Debian oder Linux müssen strikte Zeitvorgaben einhalten und Sicherheitsprobleme schnell beheben. Sie schaffen das sehr gut. Viele Menschen verwenden Freie Software, weil sie sie für sicherer und verlässlicher halten als proprietäre, was von diversen Studien bestätigt wird.
Peer Produktion macht es möglich, den eigenen Interessen zu folgen und sich in unterschiedlichen Projekten zu engagieren. Das heißt aber nicht, dass man dabei keine sozialen Verpflichtungen eingeht und nur dem „Spaß-Prinzip“ folgt. Auch Peerproduktion umfasst soziale Koordination und Organisation; eines der wichtigsten Prinzipien ist zum Beispiel, einen kompetenten Nachfolger zu finden, bevor man aus einem Projekt aussteigt.
Beim Ressourcenverbrauch und der fairen Verteilung von Ressourcen liegen die Dinge anders, weil die Ressourcen begrenzt sind. Der Verbrauch kann mithilfe des ökologischen Fußabdrucks gemessen werden und der ist in den Industrieländern viel zu hoch. Menschen in diesen Ländern müssen ihren Fußabdruck und damit ihren Ressourcenverbrauch reduzieren, aber warum sollte man den Verbrauch daran binden, wieviel jemand arbeitet? Warum soll jemand, der 50% länger arbeitet als der Durchschnitt, einen 50% größeren Fußabdruck haben dürfen? Vielleicht brauchen wir Zuteilungsverfahren, die sicher stellen, dass der Fußabdruck einer Person innerhalb des fairen Limits bleibt, etwa gemessen am Ressourcenaufwand der genutzten Produkte. Aber Geld und Arbeit sind nicht für diese Berechnung geeignet.
Peercommony ist kein Supermarkt
Das bringt mich zu deiner Frage, was Menschen in der Peercommony daran hindern sollte, mehr zu nehmen als sie brauchen. Es scheint, dass du dir eine Welt ohne Geld als riesigen „0-Euro-Laden“ vorstellst, in dem alle Waren kostenlos abgegeben werden. Würde sich, wer einen solchen Gratisladen findet, nicht Unmengen der ausliegenden Waren greifen – egal, ob man sie konkret gebrauchen kann? Gut möglich – allein schon aus Angst, dass diese wunderbare Situation unmöglich anhalten kann, dass schon morgen alles wieder Geld kosten wird. Wer darauf vertrauen könnte, es nicht nur mit einer vorübergehenden Ausnahmesituation zu tun zu haben, würde sich anders verhalten. Warum sollte ich mich mit Gütern eindecken, die ich derzeit nicht brauche, wenn ich weiß, dass sie im Gratisladen auf mich warten? Ich könnte den Laden einfach als ausgelagerten Abstellraum behandeln.
Aber hätten wir nicht trotzdem alle gern eine große Villa, direkt am Meer gelegen, mit den Alpen dahinter und einem schicken Stadtzentrum gleich um die Ecke? Würden wir nicht alle gerne fette Autos fahren? Wie lange würden die begrenzten Ressourcen der Erde das mitmachen?
Die Gratisladen-Idee ist jedoch irreführend, da es dabei nur um Dinge geht, nicht um Menschen und ihre Bedürfnisse. Ich brauche Wohnraum, der im Winter warm genug und im Sommer nicht zu heiß ist; Nahrung, wenn ich hungrig bin; neue Kleidung, wenn die alte nicht mehr gut oder passend ist. Ich brauche Kommunikationsmöglichkeiten und Mobilität, um mit anderen in Kontakt zu bleiben und die Orte zu erreichen, die mich interessieren. Ich brauche Gesundheitsvorsorge, Unterhaltung und kulturelle Aktivitäten. Ich brauche Freund_innen, Liebe und soziale Verbindungen. Und so weiter.
Anders als im Kapitalismus (wo der Profit im Vordergrund steht) wird in der Peercommony produziert, weil jemand ein Bedürfnis hat. Wir können uns solch eine Gesellschaft als gemeinsames Mesh-Netzwerk für bedürfnisorientierte Produktion vorstellen. Ein „Mesh“ (dezentrales Netz), weil es keine Zentralstellen gibt, die alles koordinieren oder regulieren, sondern eine Vielzahl von Peer-Projekten, die sich miteinander abstimmen. Gemeinsam, weil die beteiligten Projekte Commons (Gemeingüter) sind, die allen offenstehen, sofern sie in der Nähe wohnen, geeignete Beiträge leisten können und wollen und bereit sind, die Spielregeln zu akzeptieren, die die Projektbeteiligten sich gegeben haben. (Und die man mit ihnen zusammen dann auch weiterentwickeln kann.) Und weil die verwendeten Ressourcen – Naturgüter und Wissen – Commons sind, nicht exklusives Eigentum Einzelner.
Im Kapitalismus versucht jede Firma, zur Steigerung ihres Gewinns immer mehr Produkte zu verkaufen, solange sie dafür einen akzeptablen Preis erzielen kann. In der Peercommony sind die verschiedenen Produzenten zwar nicht gezwungen, sich miteinander abzusprechen, aber es liegt nahe. Über die Bedürfnisse hinaus zu produzieren wäre einfach Zeitverschwendung. Die häufige Befürchtung, eine geldlose Wirtschaft könne nicht funktionieren, weil sich jede_r soviel nehmen würde, dass nichts für andere übrig bliebe, ist daher unbegründet. Güter werden nicht erst produziert und dann „nach Belieben“ verteilt, sondern ohne konkreten Bedarf wird erst gar nicht produziert.
Aber woher weiß ich, wo und auf welche Weise ich mich einbringen kann? Das hängt wiederum von Bedürfnissen ab – von meinen eigenen und denen der anderen, von konsumtiven ebenso wie von produktiven. Vielleicht ist das Gemüse, das ich bekomme, oft schon schal oder es gibt nicht genug Marmelade. Vielleicht ist die nächste Gesundheitsstation zu weit entfernt oder es fehlt an mobilen Pflegekräften, die sich um alte und kranke Menschen kümmern. Vielleicht vermisse ich Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Oder mich nervt, dass die Kommunikationssoftware nicht genug kann und gelegentlich abstürzt. Jedes Manko ist ein Hinweis darauf, was es zu tun gibt. Je mehr Menschen solch ein Hinweis auffällt und je ernster sie ihn nehmen, desto eher wird sich jemand der Sache annehmen. Und wenn mir mehrere Dinge gleichermaßen auffallen, werde ich mich im Zweifelsfall dort einbringen, wo ich meine eigenen Stärken und Interessenschwerpunkte sehe. – Und wenn niemand etwas auffällt? Dann ist alles gut.
Die Diskussion in voller Länge auf Englisch ist hier nachzulesen:
http://www.zcommunications.org/znet/zdebatealbsiefkes.htm