Immer wieder höre ich bei Vorträgen oder auch in Kommentaren, z.B. zu diesem Artikel, Kritik und Vorwürfe, die in eine sehr ähnliche Richtung gehen. Daher versuche ich einmal, hier auf einige etwas ausführlicher zu antworten.
Bei euch sind ja alles Commons, dadurch verliert der Begriff seine Trennschärfe
Nein, bei mir sind keineswegs alles Commons. Genau genommen, IST gar nichts ein Commons, aber fast alles kann zu einem Commons werden. Es hängt nicht vom Ding ab, sondern davon wie Menschen damit umgehen, wie sie es herstellen, erhalten und nutzen. Als Kriterien dafür dienen die Bauprinzipien von Ostrom, die Prinzipien der Peer-Produktion, oder auch die Merkmale solidarischer Ökonomie. Ganz scharf abgrenzen kann man das trotzdem nicht. Weil reine Commons in einer kapitalistischen Umgebung selten vorkommen. Viele Institutionen oder soziale Arrangements enthalten Elemente des Marktsystems und Merkmale der Commons. Drum macht es Sinn, die „Commonsbrille“ aufzusetzen und zu schauen, wo man solche Commons-Elemente finden kann. Welcher Aspekt überwiegt und ob das Commons dazu beiträgt, Menschen mehr Kontrolle über ihre Lebensbedingungen zu geben, das können nur die Beteiligten selbst sagen.
Ihr verwendet den Begriff nicht objektiv sondern normativ
Stimmt, ich verwende den Begriff nicht objektiv, ich habe nicht den Anspruch, objektiv zu sein. Abgesehen davon, dass es so etwas wie Objektivität sowie so nicht geben kann, ist mein Selbstverständnis als kritische Sozialwissenschaftlerin und als politische Aktivistin das einer klaren Parteilichkeit auf der Seite der Schwächeren und auf der Seite des Unsichtbar gemachten. Mehr dazu weiter unten.
Und nein, ich verwende den Begriff nicht normativ, in dem Sinn, dass ich entscheiden würde, das wäre ein Commons und jenes nicht oder irgendetwas sollte oder müsste ein Commons sein. Ich verwende den Begriff analytisch, indem ich schaue, wo Menschen sich nach der Logik der Commons verhalten und das sichtbar mache. Commons kann man nicht verordnen, sie entstehen nur, wo Menschen sie machen. Deshalb ist die Aussage, etwas sollte ein Commons sein, bestenfalls ein schöner Wunsch. Und ob sie das, was sie tun, Commoning nennen wollen, können Menschen auch nur selbst entscheiden. Aber ich kann ihnen ein Instrument dafür in die Hand geben, das was sie tun zu benennen und theoretisch zu analysieren, wenn sie das wollen. Deshalb haben wir die Bauprinzipien nach Ostrom so umformuliert, wie sie sich aus Sicht der Commoners darstellen.
In einer Zeit, wo die Marktlogik für alles und jedes angewendet werden soll und sich alles nur darum dreht, wie die Wirtschaft wieder in Schwung kommt – und das oft genug auf Kosten der Commons – kann es schon hilfreich sein, einen Begriff, ein theoretisches Konzept und viele praktische Beispiele für jenen Bereich bei der Hand zu haben, der ständig unterbelichtet bleibt um dafür zu sorgen, dass er nicht noch mehr eingeschränkt wird. Also, ich würde sagen, ich verwende den Begriff strategisch bis affirmativ.
Warum sollen plötzlich Dinge, die es schon lange gibt, einen neuen Namen bekommen?
Nichts „soll“ einen neuen Namen bekommen. Aber der Begriff Commons eignet sich dafür, sehr viele Aktivitäten die außerhalb der Marktlogik geschehen, zu beschreiben und damit sichtbar zu machen. Man kann dann auch erkennen, dass Menschen, die sich um so verschiedene Dinge kümmern wie Saatgut, einen Gemeinschaftsgarten, den öffentlichen Verkehr oder ein freies Internet, eigentlich das selbe Ziel haben: die Kontrolle über Dinge die ihnen wichtig sind, selbst zu erhalten oder zu übernehmen und sie nicht dem Staat oder dem Markt zu überlassen. Dann erkennt man auch, dass es die gleichen Mechanismen der Enteignung sind, durch die diese verschiedenen Dinge bedroht sind und kann dann viele Teile der sozialen Bewegungen und viele Kämpfe zusammenführen. Das ist eine große Stärke dieses Konzeptes und Begriffes. Dadurch können Synergien und Möglichkeiten der Kooperation entstehen, die ansonsten gar nicht verständlich wären. Es können z.B. Mitglieder von Rettet die Mur bei der Demo gegen ACTA mitkommen und umgekehrt. Aber auch diese Zuordnung kann nicht von außen oder schon gar nicht von oben vorgenommen werden, sondern Initiativen müssen selbst entscheiden, ob dieser Begriff für sie in einer bestimmten Situation strategische Vorteile bringt.
Ihr macht damit des Gleiche, das ihr den Ökonomen vorwerft, nur mit umgekehrtem Vorzeichen – ihr wollt alles einer Logik unterordnen
Nein, abgesehen davon, dass das eine grobe Fehleinschätzung bestehender Machtverhältnisse wäre, liegt es nicht in meiner Absicht. Aber, obwohl mehr als die Hälfte aller gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten außerhalb der Lohnarbeit und des Marktsystems erbracht werden, sind sie nahezu unsichtbar. Es gibt unzählige WissenschaftlerInnen und ExpertInnen für den Markt, alle politischen Bestrebungen richten sich darauf, das Finanzsystem zu retten, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen. Es gibt nur ein Handvoll Menschen, die sich um die andere Hälfte kümmern, es gibt kaum ein Verständnis dafür, dass es da überhaupt etwas gibt, was man als eigene Entität wahrnehmen könnte, viel eher wird es als lästiges Anhängsel des Marktes empfunden. Ich empfinde das wie in diesem Kippbild:
Alle sehen nur die schwarzen Figuren, die beiden Köpfe, die einander gegenüberstehen. Das ist das herrschende Wirtschaftssystem, die Märkte und die staatlichen und internationalen Strukturen, die sie erhalten, stützen und ausbauen wollen. Aller Aufmerksamkeit richtet sich auf diesen Aspekt der Gesellschaft auf diesen Bereich sozialer Beziehungen und Tätigkeiten, dieser Bereich soll gestärkt und erweitert werden, er muss wachsen. Wenn dieser Bereich wächst, dann wird der Zwischenraum immer kleiner, der unsichtbare Bereich dazwischen schrumpft und schrumpft und keinen scheint es zu stören. Er hat keinen Namen und drum wird er übersehen.
Wenn ich aber den Blick wende, wenn ich sozusagen eine andere Perspektive einnehme, eine andere Brille aufsetze, dann sehe ich in dem weißen Bereich dazwischen den Kelch in dem all der gesellschaftliche Reichtum enthalten ist, der beim Standard-Blick unsichtbar bleibt. Diese Tätigkeiten, die dort erfolgen, sind die Basis jeder Gesellschaft, ohne sie könnte der Markt nicht funktionieren, ihre Zerstörung entzieht auch der Marktwirtschaft ihre Fundamente. Das alleine würde es schon rechtfertigen, sich damit zu beschäftigen.
Ich bin aber überzeugt, dass die Logik, nach der dieser Bereich funktioniert um vieles besser geeignet ist, die Bedürfnisse aller Menschen zu befriedigen ohne die Ressourcen zu übernutzen, als das Marktsystem. Nahezu alles, was die Lebensqualität einer Gesellschaft ausmacht, geschieht hier. Daher ist es mir ein Anliegen, diesen Bereich sichtbar zu machen und zu benennen, denn nur dann kann man auch darüber reden und sich aktiv um seine Erhaltung sorgen.
Die Commons sind nun mal das beste theoretische Konzept, das ich bisher kennen gelernt habe, um diesem Bereich einen Namen zu geben, der seiner Vielfalt gerecht wird. Man kann auch Care-Ökonomie oder Subsistenzwirtschaft sagen, aber beide Begriffe umfassen nur einen eingeschränkten Bereich. Ich habe nicht den Eindruck, dass der Markt durch die Commons bedroht würde, umgekehrt ist es sehr wohl so. Mann kann also aus meiner Sicht gar nicht zu viel Werbung für die Commons machen, man kann gar nicht zuviel darauf hinweisen, um den Blick dafür zu schärfen, wo überall Menschen sich Dinge selbst organisieren und damit ihre Lebensqualität erhöhen, weil sie den Widersprüchen und Zwängen des Marktsystems entkommen.
Mein Ziel ist nicht, alles was jetzt Markt ist, durch Commons zu ersetzen. Das kann mensch sich schon als Vision wünschen, ob eine solche Entwicklung geschehen kann und wird, können wir heute nicht voraussagen. Worin ich meine Aufgabe sehe, ist konsequent den Blick auf diesen Bereich zu richten, um ihn aus der Unsichtbarkeit herauszuholen. Deshalb, weil ich überzeugt bin, dass der Bereich der Commons das Zentrum und die tragende Kraft der Gesellschaft ist, dass es dieser Bereich ist, der erhalten und ausgebaut werden soll und alles andere kann sich darum herum anordnen, solange es das Wachsen und Gedeihen der Commons ermöglicht oder am besten sogar fördert. Eine solche Anwaltschaft für die Commons zu übernehmen wäre, denke ich, ganz im Sinne Ostroms, was mich zum nächsten immer wieder geäußerten Kritikpunkt führt:
Eure Argumentation hat mit Ostrom nichts mehr zu tun
Da muss ich erst einmal die Gegenfrage stellen: Es haben sich viele verschiedene Menschen aus verschiedenen Perspektiven mit Commons beschäftigt. Warum sollte ich mich bei meiner Analyse der Commons ausschließlich auf Ostrom berufen dürfen? Aber nichts desto weniger ist es so, dass ich ihre Forschung für sehr wichtig und aufschlussreich halte und nichts von dem was ich sage, ihrem Konzept widerspricht. Allerdings hat sich Ostrom mit verschiedenen Themen, wie dem historischen Wechselspiel von Einhegungen und Gegenwehr oder mit der Frage der Ko-optierung und Kriminalisierung von Commons nicht beschäftigt. Daher reicht der Bezug auf Ostrom nicht aus, um das Potenzial der Commons für gesellschaftliche Transformation zu erschließen, um Fragen nach Commons und gesellschaftlichen Machtverhältnissen zu stellen. Da muss mensch einfach auf andere Literatur zurückgreifen.
Dass ihre Bauprinzipien mit entsprechender Adaption auch für andere als natürliche, begrenzt vorhandene, Ressourcen anwendbar sind, das hat Ostrom in den letzten Jahren allerdings selbst wiederholt bestätigt.
Ihr wollt allen euer Modell aufdrücken, es kann doch nicht ein Modell für alle geben, wir brauchen Vielfalt
Genau, das ist auch die Kernaussage von Ostrom. Im Gegensatz zum derzeitigen System, wo es nur Markt und Staat als Organisationsformen gibt, die von oben durchgesetzt werden, eröffnet die Commons-Perspektive eine Vielzahl an möglichen Organisations- und Rechtsformen und die Kombination von mehreren davon, je nach den Bedürfnissen der Menschen, den Eigenschaften der Ressourcen und der jeweiligen konkreten Situation. Sowohl staatliche und internationale Institutionen, also auch lokale Märkte können darin Platz haben. Und da sind wir wieder ganz eng bei Ostrom.
Aus diesem Grund, und weil Commons eben nur entstehen können, wenn die Menschen, die eine Ressourcen nutzen, sich auch darum kümmern, sind Commons ein gutes Mittel gegen jede Art von autoritären Bestrebungen, von Totalitarismus und Fundamentalismus jeder Richtung.
Das kann vielleicht in kleinen Einheiten funktionieren, aber doch nie für die ganze Welt
Nun, aber es gibt zumindest überzeugende Beweise dafür, dass es auf lokaler und regionaler Ebene und durchaus auch in der Größenordnung von mehreren Zigtausend Menschen funktioniert. Eine globale Regelung für den Umgang mit natürlichen Ressourcen, der ökologisch nachhaltig und sozial gerecht ist, haben wir bisher nicht gefunden. Der Markt hat dabei ebenso versagt, wie die internationalen Organisationen. Was spricht also dagegen, es zumindest einmal von unten nach oben zu versuchen? Schlimmer kann es ja ohnehin kaum werden. Dieses Argument hätte nur Relevanz, wenn wir ein gut funktionierendes System hätten und wir dann verlangen würden, es aufzugeben.
„den Kelch in dem all der gesellschaftliche Reichtum enthalten ist, der beim Standard-Blick unsichtbar bleibt“,
Wow!
Wenn ich mal wieder in ökumenischen Kreisen eingeladen bin, dann werde ich das benutzen oder demnächst für ein Interview mit Publik-Forum!
Tatsächlich ist die Idee ja eh von dir – von deinem Vortrag in Venedig :-)!
Das mit dem „Kelch“? Kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ich so symbolschwangeres Vokabular benutze!
Aber das mit den FAQ’s bzw. FHC – ja, ich erinnere mich. Super Anfang. Sollten wir ausbauen, vielleicht auch auf dem Wiki …
»…alles andere kann sich darum herum anordnen, solange es das Wachsen und Gedeihen der Commons ermöglicht oder am besten sogar fördert« — Klingt schön, aber faktisch zerstört der Markt die Commons weltweit am laufenden Band. Neben der Neuschöpfung von Commons, die auch passiert, sollten wir die andere Seite nicht übersehen. Der Markt gibt sich niemals mit einem »darum herum anordnen« zufrieden, kann er nicht.
»Mein Ziel ist nicht, alles was jetzt Markt ist, durch Commons zu ersetzen.« — Meins schon. Wenn man die Commons verteidigen will, dann muss man den Markt zurückdrängen wollen, auch dort, wo es eine partielle Kooperation geben kann. Der Markt ist immer übergiffig, er kennt da nix, denn auch wenn ich jetzt so personalisiert rede, ist er ja keine Person, sondern ein Betriebssystem mit einer völlig unpersonalen Rationalität, gegen die man nicht argumentieren kann.
Den Markt zurückdrängen, ja, da bin ich ganz bei dir. Nur was dann passiert, das können wir nicht von da aus planen, wo wir jetzt stehen. Märkte sind eben keine Menschen, aber von Menschen gemacht. Und wenn sich die Menschen ändern, ändern sich auch die Märkte, bzw. kann es wieder eine Gesellschaft mit Märkten geben, anstatt einer Gesellschaft, die von Märkten dominiert wird. Wir waren uns doch schon mal einig, dass lokale Märkte auch Commons-kompatibel sind ;-). Vielleicht gibt es ja auch etwas ganz anderes, was erst erfunden werden muss. Ich bin auf jeden Fall dafür, die Zukunft offen zu lassen, wenn nur die Richtung stimmt, in die wir gehen :-).
Eine Rückentwicklung zu einer »Gesellschaft mit Märkten … anstatt einer Gesellschaft, die von Märkten dominiert wird« halte ich für ausgeschlossen. »Märkte« (die ja nur die Erscheinungsform der Verwertungslogik auf der Ebene der Zirkulation sind) sind das Medium der Vergesellschaftung. Zurück zu einer vormodernen Vergesellschaftung gibt es keinen Weg, und ich halte — bei allem allem Offenhalten der Zukunft — so ein Ziel auch nicht für wünschenswert. Das heißt für mich, dass wir Commons als Keimform einer anderen Art von Vergesellschaftung verstehen müssen, was das Ziel einschließt — vorsichtig formuliert — die Dominanz der Märkte/Verwertungslogik abzulösen. Märkte sind also zu ersetzen, wo es nur geht.
Das geht aber aus meiner Sicht leider nicht über die Idee, dass sich die Märkte ändern, wenn sich die Menschen ändern. Menschen beteiligen sich an Märkten, weil sie es müssen, da sie als getrennte Produzenten ihre Waren tauschen müssen (bzw. als Konsumenten ihre Subsistenzmittel von dort beziehen). Sie machen das aus der Gesamtsicht bewusstlos, weil sich der Gesamt-Zusammenhang »Markt« erst im Nachhinein und hinter ihrem Rücken herstellt. Deswegen hatte ich geschrieben: Der Markt ist »keine Person, sondern ein Betriebssystem mit einer völlig unpersonalen Rationalität«, der alle unterworfen sind. Es ist ziemlich egal, was sich die Menschen denken: Die Gesamtrationalität setzt sich durch. Kaufboykotte u.dgl. sind unwesentliche Abweichungen im Strom der Marktgewalt.
Noch etwas: Ziele zu formulieren bedeutet nicht, dass die Zukunft damit nicht mehr offen wäre. Um eine Richtung zu bekommen, müssen wir Ziele formulieren. Märkte zurückdrängen wo es nur geht in der Perspektive, ihre Funktion der Vergesellschaftung durch eine der Logik der Commons abzulösen, wäre so ein Ziel, das ich zur Diskussion stelle. Ich halte das für wichtig, weil in der Commons-Bewegung Illusionen über die Neutralität und Harmlosigkeit von Märkten verbreitet sind (etwa über die abwegige These einer Trennung von Markt und Kapitalismus u.a.).
Ich habe den Kommentar geschrieben, weil mir deine FHC-Antworten zu harmonisch klingen. Ich kann das schon gut nachvollziehen, weil ich auch manchmal solche Tendenzen habe — und mich dann freue, wenn kritische Einsprüche kommen. So will ich also meinen Einspruch verstanden wissen, denn in den meisten Punkten sind wir uns ja einig.
Das passt eh :-). Egal, wie mans macht, irgendwer hat immer Einwände, aber das soll auch so sein, dadurch bleibt die Diskussion lebendig und wir betonieren uns nicht in einer Position ein.
🙂
ich finde im letzten Punkt argumentierst Du zu defensiv. Im Bereich der Immaterialgüter (und in ersten Ansätzen auch schon darüber hinaus) gibt es die weltweit organisierten Commons ja schon. Ich schreibe gerade diesen Kommentar damit.