Bei der Sommerakademie hab ich nicht nur viel über Commons geredet, sondern auch ein Buch erstanden, das auf den ersten Blick gar nicht so viel damit zu tun zu haben scheint. Kaushik Sunder Rajan: Biokapitalismus (man kann dort auch ziemlich viel online lesen). Der Anthropologe Rajan versucht in einem großen Wurf die Entwicklung der Life Sciences und der Biotechnologie in einen umfassenden gesellschaftlichen Rahmen einzubetten. Er geht davon aus, dass mit der Genforschung eine neue Form des Kapitals entstanden ist, das Biokapital, das auch die aktuelle Ausprägung des Kapitalismus verändert hat. Ich habe die Einleitung zweimal gelesen bevor ich sie halb verstanden habe, weil er nämlich den Anspruch erhebt, mithilfe einer ehrgeizigen Kombination von Methoden das Thema in seiner ganzen Komplexität zu erschließen: die Wechselwirkungen zwischen konkreten wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, dem politischen und ökonomischen System, den dabei entstehenden Diskursen und neuen Wissensformen und den entsprechenden Formen der Subjektivierung. Und das Ganze noch für die USA und für Indien, also auch noch unter dem Aspekt von kapitalistischem Zentrum und Peripherie. Was faszinierend klingt, mein Hirn aber nicht ausreicht, um es zu denken. Aber ich hatte die Hoffnung, dass sich das, was in der Einleitung so komprimiert daherkommt, in den weiteren Kapiteln erschließen wird. Das erste Kapitel zumindest hat mich nicht enttäuscht (ist wirklich sehr viel spannender und einfacher zu lesen als die hochtheoretischen Einleitung ;-)) und einen Aspekt, der dort behandelt wird, will ich euch nicht vorenthalten.
Es geht dabei um die Zirkulationsprozesse des Biokapitals. Dieses liegt, so Rajan, in drei verschiedenen Formen vor: als organisches Material, als Information und als Geld. Diese Formen zirkulieren getrennt voneinander, sind aber natürlich nicht unabhängig voneinander. Wie sie voneinander abhängen, das ist aber meist nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, weil viele unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Interessen in diesem Feld agieren. In diesem Zusammenhang geht es klarerweise auch um die Patentierung der Gensequenzen und damit die Frage des geistigen Eigentums – und schon war das Thema Commons wieder da. Und interessanterweise zeigt sich, dass Patentierung nicht unbedingt der Verwertung dient, während der freie Zugang manchmal durchaus dieser dienen kann. Auch was Marktlogik ist, kann sich also ändern.
Dazu muss man zuerst die Akteure in diesem Feld kennen: da gibt es die kleineren privaten Bio-tech Firmen, die diese Gensequenzen entschlüsseln. Diese allein sind aber noch nicht verwertbar. Bevor aus einigen von ihnen Medikamente werden, müssen noch viele Untersuchungen und lange Testreihen gemacht werden, die sehr viel Geld verschlingen. Das können sich nur die riesigen Pharmakonzerne leisten oder staatliche Forschungseinrichtungen. Die Biotech-Unternehmen wollen natürlich diese Gensequenzen patentieren, damit sie von den Pharmafirmen, die daran weiter forschen, Lizenzgebühren verlangen können. Die Pharmafirmen hingegen haben ein Interesse daran, dass diese nicht patentiert werden, damit sie sich Kosten ersparen. Die staatlichen Einrichtung wollen, dass die Informationen über das menschliche Genom frei zur öffentlichen Verfügung stehen. Das führt zu einigen paradoxen Ergebnissen.
Erst haben nämlich auch staatliche Forschungseinrichtungen Patente auf ihre entschlüsselten Gensequenzen angestrebt, um zu verhindern, dass die Privaten das tun könnten und mit dem Ziel, diese dann öffentlich zugänglich zu machen, eine Art Creative Commons Lösung auf der Basis von davor erworbenen Eigentumsrechten also. Das konnten sie aber nicht durchsetzen, weil sich die Wissenschaftler in diesen Einrichtungen gegen die Patentierung gewehrt haben. In Folge kam es zu einem kuriosen Bündnis: staatliche Forschungseinrichtungen und die großen Pharmakonzerne haben gemeinsam ein Konsortium gegründet, das nun eine Datenbank mit allen entschlüsselten Gensequenzen öffentlich zur Verfügung stellt. In diesem Prozess kommt es immer wieder zu Verschiebungen und Vermischungen zwischen den Konzepten des Privateigentums und der öffentlichen Güter (der Begriff der Commons kommt nicht vor und da es sich um staatliche Akteure handelt ist der Begriff des öffentlichen Gutes wohl angebracht, obwohl die freie Zur-Verfügung-Stelllung durch den Staat eher der Idee der Commons entspricht).
Rajan spricht in diesem Zusammehang von „corporate acitivism“, dass sich also Konzerne der Methoden sozialer Bewegungen bedienen und diese sozusagen auf ihrem ureigensten Feld ausstechen. Das Ziel ist, das eigene Unternehmen positiv gegenüber den anderen „Bösewichten“ herauszustellen. Und sie finden dabei auch Unterstützung von NGOs, die sich gegen die Patentierung von Genen einsetzen, sie können sich also als „die Guten“ positionieren, obwohl sie dabei nur ihre eigenen Geschäftsinteressen vertreten.
Die Pharmakonzerne verlieren damit zwar eine Möglichkeit, Geld zu verdienen, eröffnen sich aber neue. Denn neben dem Tauschwert ist gerade die Genforschung mit normativen und ethischen Werten überfrachtet und bietet so die Möglichkeit, auch symbolisches Kapital anzusammeln. Einerseits eben dadurch, dass die großen Konzerne auf die Patentierung des genetischen Codes verzichten. Es wird dabei der Eindruck erweckt, „viele konkurrierende Firmen gäben Eigentumsrechte zugunsten des Gemeinwohls auf“. (Da sieht man wieder, wie ambilvalent die Sache mit dem Gemeinwohl ist ;-)). Andererseits dadurch, dass das Auftauchen der sogenannten „Lebenswissenschaften“ von euphorischen Diskursen begleitet war, die die endgültige Überwindung von Krankheiten und einer besseren Zukunft versprachen. Die Konzerne und die Genomforschung selbst werden damit zu ethischen Unternehmen, sie werden als „heroische Akteure“ stilisiert, die sich ganz in den Dienst der Rettung von Leben stellen.
Der erste Punkt, der Gewinn an symbolischem Kapital durch die Freigabe der Informationen ist aber – wie Rajan richtig bemerkt – nur möglich, weil man davon ausgeht, dass es grundsätzlich diese Eigentumsrechte gibt, dass diese Informationen quasi selbstverständlich Waren seien. Nur dann kann es als sozial anerkenneswerte Tat angesehen werden, sie frei zur Verfügung zu stellen. Die andere Möglichkeit, dass das Wissen um unsere Gene grundsätzlich der ökonomischen Verwertung entzogen sein sollte, die Freigabe also selbstverständlich ist, wird gar nicht erwogen. Information wird also erst zur Ware gemacht, damit dann symbolisches Kapital daraus gewonnen werden kann, dass die Information gratis zur Verfügung gestellt wird, damit die mit dieser Information verbundene Ware umso teurer verkauft werden kann, bzw. das Kapital, dass darin investiert wird, umso mehr Profit bringt. Die Warenform bringt nicht nur Tische zum Tanzen, sondern führt dazu, dass Informationen Purzelbäume schlagen :-).