In den letzten Wochen war vieles los, das ich jetzt so nach und nach aufarbeite und das führt dann auch zu einer zunehmenden Zahl von Blogeinträgen, schließlich will ich ja meine Erkenntnisse nicht nur meiner Festplatte anvertrauen – keine Sorge, das lässt wieder nach und der Weihnachtsfriede wird rechtzeitig einkehren und dann habt ihr hoffentlich viel Zeit zum Lesen – aber davor kommen noch ein oder zwei :-).
Eine der vielen Veranstaltungen war der Architekturkongress des Architekturzentrums Wien. Es ging dort um das Thema „Öffentlicher Raum“ und in diesem Zusammenhang auch um Commons. Silke Helfrich hat dort einen Vortrag gehalten und wir waren schon recht gespannt, wie das Thema dort verhandelt werden würde.
Als erstes haben wir gelernt (außer dass man sich bei Architekturkongressen offensichtlich noch weniger an Beginnzeiten hält als bei Attac Sommerakademien), dass in Österreich laut Gesetz der öffentliche Raum für den Verkehr reserviert ist, alles was nicht Verkehr ist, ist ein „Sonderfall“ und braucht dementsprechend eine „Sondergenehmigung“. Also, Autos ja, Menschen nur wenn sie die Autos nicht behindern.
Was ist öffentlicher Raum?
Die nächste Erkenntnis war, dass viele ArchitektInnen offensichtlich als „öffentlichem Raum“ die Zwischenräume zwischen Gebäuden verstehen. Das hat mich einigermaßen verwundert, bauen doch diese Damen und Herren auch Bahnhöfe, Schulen und Regierungsgebäude, die ich auch als öffentliche Räume bezeichnen würde. Als Gestaltung des öffentlichen Raumes bezeichnen sie folgerichtig, wenn sie die Umgebung ihrer Bauwerke in ihre Planung mit einbeziehen. Viele durchaus sehenswerte und gut gelungene Beispiele wurden da gezeigt, z.B. von Benedetta Tagliabue, die unter anderem einen Universitätscampus (ich hab vergessen wo) und den Platz rund um das Schottische Parlament und auch Plätze der Hamburger Hafencity gestaltet hat. Ich frage mich da schon einerseits, sind nicht ein Parlamentsgebäude und eine Universität auch öffentliche Räume? Warum also diese Trennung in außen und innen? Und auf der anderen Seite: welche Menschen nutzen die großzügig gestaltetenen Grünanlagen rundherum, sind sie wirklich für alle offen?
Besonders deutlich wird das bei der Hamburger Hafencity, die auch als ein Vorzeigemodell für Gestaltung des öffentlichen Raumes vorgestellt wurde. Ich habe darüber hier berichtet. Es stimmt natürlich, dass dort auch der Raum zwischen den Häusern architektonisch gestaltet ist, dass das auch durchaus hübsch anzusehen ist und dass grundsätzlich jeder hin kann.
Gleichzeitig ist es aber doch so, dass etwa in der Hafenstraße oder im Schanzenviertel nebenan, wo die weniger Reichen wohnen, die vielleicht Freiräume notwendiger brauchen würden, es eben keine so großzügigen und ansprechenden freien Flächen gibt. Und wenn die BewohnerInnen dieser Gegend in die Hafencity kommen würden, um die öffentlichen Plätze dort zu nutzen, würde sich vermutlich herausstellen, dass doch die „unsichtbaren Eintrittskarten“, wie es Jens Dangschat in seinem Vortrag bezeichnet hat, nämlich Kleidung und Verhalten, über den Zugang entscheiden. Es handelt sich bei diesen sogenannten öffentlichen Räumen also eher um die erweiterten Wohnzimmer der Reichen.
Es gab aber auch andere Beiträge, die das Konzept des öffentlichen Raumes durchaus politisch sahen und die sich auf die Gestaltung von benachteiligten Stadtteilen bezogen und hier auf die Bedürfnisse der Menschen eingingen. Zum Beispiel recetas urbanas, ein ganz spannendes Netzwerk von Architektur-Cooperativen in Spanien und Lateinamerika rund um den Architekten Santiago Cirugeda. Er hat an einer spanischen Universität, wo – wie in vielen anderen Unis auch – Raummangel herrschte, mit seinen Studierenden einfach im Rahmen seines Kurses einen Unterrichtsraum gebaut. In den spanischen Städten werden die subversiven Architekten aktiv, um die BewohnerInnen zur Aneignung der öffentlichen Räume zu motivieren. Da gibt es etwa das dicht verbaute Siedlungsgebiet mit engen Gassen und ohne Grünflächen. Es ist natürlich verboten, Stühle auf die Straße zu stellen und es gibt auch keine Spielplätze. Aber man darf Bauschuttcontainer aufstellen für wenig Geld. Und da stellen sie dann eine Schaukel rein oder einen Tisch und zwei Bänke und schaffen dadurch Menschen die Möglichkeit, sich zu treffen.
Oder aber es geht darum, provisorischen Wohnraum zu schaffen aus billigen Materialien, weil im Spanien nach der Immobilienblase kaum noch leistbare Wohnungen für junge Menschen zu finden sind. Auch da geht man subversiv vor. Im Stadtzentrum gibt es natürlich keine Baugenehmigung, aber
„wenn man die Fassade des Gebäudes, das man nutzen will, streichen ”muss”, bekommt man die Genehmigung zum Aufbau eines Gerüstes. Diese Notwendigkeit kann man immer schaffen, indem man ein augenfälliges Graffitti darauf sprüht. Dann errichtet man sein Gerüst und baut sich seinen neuen Ort, sein eigenes, privates Refugium, seine Architektur der Stille, je nachdem, für welche Materialien, welchen Stil und welche Abmessungen man sich entscheidet. Die Dauer hängt von einem selbst ab, da die Architektur der Stille provisorisch und variabel sein sollte.“
Im Vortrag von Liza Fior von der englischen Architektengruppe muf wurde deutlich, dass in ärmeren Stadtvierteln die Stadtregierungen der Gestaltung von öffentlichen Plätzen eher reserviert gegenüber stehen. Stadtverwaltungen und die in der Nachbarschaft angesiedelten Unternehmen haben Angst davor, dass Menschen sich dort treffen und für längere Zeit aufhalten könnten. Plätze sollten daher gar nicht zum Verweilen einladen und – nur ja bitte keine Bänke. Das Architektinnen-Team (ist mir grad aufgefallen, die Gruppe besteht tatsächlich hauptsächlich aus Frauen :-)) ist dort mit viel Geduld und Hartnäckigkeit vorgegangen, hat erst mal versuchsweise Bänke aufgestellt um zu schauen, was passiert, um zu zeigen, dass es nicht gefährlich ist, wenn Menschen sich hinsetzen und dort auch miteinander in Kontakt kommen(!). Und wo gar keine Bänke erlaubt waren, da haben sie eben Stiegen gebaut. Öffentlicher Raum, so hieß es in einem anderen Vortrag, hat ja gerade auch den Zweck, dass Menschen sich versammeln können (was uns heute ja nicht nur durch den „Bankraub“, sondern auch durch die Kommerzialisierung erschwert wird). Die Architektin meinte, dass man Menschen in heruntergekommenen Stadtteilen ihre Würde wieder zurückgeben könne, indem man auch ihren Plätzen die gleiche Aufmerksamkeit schenkt und sie ihren Nutzungsbedürfnissen entsprechend gestaltet. Dass auch, oder vielleicht gerade, Menschen, die sich keine teuren Wohnungen leisten können, Anspruch darauf haben, dass die Räume, in denen sie sich bewegen ansprechend gestaltet sind, dass gerade das auch Vandalismus verhindern könnte, wenn die Menschen diese Räume sich als „ihre“ aneignen dürfen, ist eine Lektion, die Stadtregierungen erst lernen müssen. Eine Architektin sprach auch davon, dass Räume die Menschen „erziehen“, die sich in ihnen aufhalten.
Der öffentliche Raum als überwachter Raum?
In der gängigen Diskussion wird der öffentliche Raum jedenfalls weniger unter der Perspektive der Ermöglichung und Aneignung behandelt sondern unter den Aspekten von Unsicherheit und Kriminalität. Da werden Bedrohungsszenarien entwickelt, bis schließlich Menschen den Eindruck gewinnen, ihre Stadt werde immer unsicherer. Auch für den Vertreter der Bundesimmobiliengesellschaft beim Kongress war bezüglich der Gestaltung des öffentichen Raumes hauptsächlich relevant, dass dieser das „subjektive Sicherheitsgefühl“ der Menschen erhöhen müsse. Öffentlicher Raum wird grundsätzlich als „gefährlich“ dargestellt, von Medien und von PolitikerInnen und damit können sie dann für seine möglichst lückenlose Überwachung eintreten. In Straßenbahnen, Bahnhöfen, Museen und selbstverständlich auf Straßen und Plätzen finden wir Schilder „zu ihrer Sicherheit wird dieser Platz videoüberwacht“ – mich hat allerdings noch niemand gefragt, ob ich mich ohne die Kamerals unsicher fühlen würde (nein, würde ich nicht!). Wir haben uns schon beinahe daran gewöhnt, „öffentlich“ mit „überwacht“ gleichzusetzen, wie auch Benedetta Tagliabue, die in Barcelona die Zentrale eines großen Konzerns gebaut hatte und meinte, es gäbe dort zwar eine 24-Studen-Überwachung, aber keinen Zaun herum, es ginge sogar eine Straße zwischen den Gebäudeteilen hindurch, also war das für sie ganz selbstverständlich ein öffentlichen Raum. Ausstellungskuratorin Andrea Seidling hat in ihrem Vortrag darauf hingewiesen, dass „sichtbar machen“, sei es durch bessere Beleuchtung oder Kameras, immer gleichzeitig Sicherheit und Kontrolle bedeutet.
Die November-Ausgabe der Volksstimme hat sich mit dem aktuellen Sicherheitsdiskurs beschäftigt und die AutorInnen dort kommen zu der Auffassung, dass dieser unmittelbar mit der Zunahme sozialer Unsicherheit in Zusammenhang stehe. Franz Fend schreibt:
„Es ist nicht verwunderlich, dass die Debatten um Sicherheit und Kriminalität just zu einem Zeitpunkt in Gang gekommen sind, in dem die Dogmen des Neoliberalismus sich vollends durchgesetzt haben, der Staat seine Handlungsfähigkeit im Sozialen selbst über Bord geworfen hat. Die SP-Sparpakete der 90er Jahre, der soziale Kahlschlag von Schwarz-Blau, die Privatisierung und Individualisierung sämtlicher Lebensrisiken, Deregulierung der Wirtschaft und der Sicherungssysteme, Flexibilisierung und Prekarität in allen Feldern der Arbeitswelt, sind der Boden, auf dem der Sicherheitsdiskurs gedeiht“.
Unter Berufung auf die „Sicherheit“ werden jene noch mehr diszipliniert, die unter den Zumutungen von neoliberaler Politik und Wirtschaft am meisten leiden. Denn die Kriminalität von der gesprochen wird, ist die Straßendelinquenz, das heißt, es geht um die „Schandtaten der unteren Klassen“. Während man die Straßen also überwachen muss um der Bevölkerung zumindest das Gefühl polizeilicher Sicherheit als Ersatz für die Aushöhlung der sozialen Absicherung zu bieten, können sich Konzerne und Banken weiterhin jeder Kontrolle entziehen.
Die Paradoxien der Beschäftigungsindustrie
Dass die Repressionen für diejenigen, die aus dem prekarisierten Arbeitsmarkt herausfallen umso stärker werden, je weniger Lohnarbeitsplätze zur Verfügung stehen, damit befasst sich auch das Schwerpunktthema der Contraste-Ausgabe vom November, das sich der „Beschäftigungsindustrie“ widmet. Darunter versteht man
„Firmen, Verbände oder Vereine, die sich auf dem Gebiet des staatlich geförderten Arbeitsmarkt bewegen, mit der offiziellen Zielstellung, Erwerbslose in den erste Arbeitsmarkt einzugliedern. Etwa 1,7 Milliarden Euro wurden im letzten Jahr insgesamt für Arbeitsangelegenheiten nach dem SBG II in Deutschland ausgegeben.“
Es ist mir auf die Schnelle nicht gelungen, entsprechende Zahlen für Österreich zu finden, weder Statistik Austria noch AMS Webseite geben darüber Auskunft, aber ich denke, dass es sich um eine vergleichbare Größenordnung handelt. Eine Wirtschaftssparte, die sich von selbst in Gang hält, ohne etwas anderes als Beschäftigungstherapie für und Kontrolle über diejenigen zu gewährleisten, die nicht dauerhaft in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können. Wissen doch viele von uns aus Erfahrung, dass die Betroffenen oft nur die Seiten wechseln. Einmal sitzen sie hinter dem Schreibtisch als BeraterInnen, wenn das jeweilige Projekt vorbei ist, nehmen sie davor Platz als „KundInnen“ = als Erwerbsarbeitssuchende.
Der aktuelle Sicherheitsdiskurs ist „eine Regierungstechnik, bei der die Regierten den Großteil der Arbeit selbst übernehmen“ sagt Fend. Wie das ganz praktisch funktioniert, zeigt in derselben Ausgabe der Contraste Volker Eick in seinem Beitrag mit dem Titel:
„Aufmarsch der Hartz IV-Truppen?“
Da ja einerseits der Bedarf an Sicherheits- und Überwachungsdiensten steigt, die Gemeinden aber eh kein Geld dafür haben, immer mehr auch schon private – profitorientierte und ehrenamtliche – Sicherheitsdienste entstehen, und andererseits immer mehr Niedriglohnjobs für Langzeitarbeitslose gesucht werden, die gemeinnützig sein sollen und niemand anderem den Arbeitsplatz wegnehmen, ergibt sich die Möglichkeit zu einer Symbiose von Beschäftigungsindustrie und Sicherheitsindustrie. Langzeitarbeitslose werden zu geringen Löhnen in den Bereichen „Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit“ eingesetzt, überwachen Parkanlagen und Parkplätze und sorgen für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und man kann damit mehrere Probleme auf einmal lösen: das „subjektive Sicherheitsgefühl“ der Menschen steigt (wie doch ein Langzeitarbeitsloser schnell von einer Bedrohung der öffentlichen Ordnung zu deren Beschützer wird, wenn man ihn in eine einigermaße schnittige Uniform steckt!), die Städte werden sauberer, die Gemeinden können ihren BürgerInnen neue Dienstleistungen anbieten, damit diese sich noch besser als „KundInnen“ fühlen können und das Ganze kostet sie kaum Geld – und die Arbeitslosenstatistiken zeigen, dass die Regierung erfolgreich die Arbeitslosigkeit bekämpft und hoffentlich wieder gewählt wird. Diese Maßnahmen dienen gleichzeitig der Kontrolle der Arbeitslosen und der Kontrolle der öffentlichen Räume. Hier schließt sich der Kreis, denn das funktioniert natürlich nur, wenn öffentliche Räume als unsicher konstruiert werden – und würde nicht so leicht möglich sein, wenn man Bürgerinnen und Bürger einbeziehen würde in die Gestaltung ihrer Städte und die Aneignung von Räumen durch die BewohnerInnen zulassen und unterstützen und nicht unterbinden würde. Wie das gehen kann davon gibt’s auch gerade in Hamburg ein Vorzeigebeispiel: von der Initiative noBNQ gibt es interessante Neuigkeiten und ein partizipativ erarbeitetes Stadteilentwicklungskonzept, vielleicht brauchen sich dann die Menschen aus St. Pauli gar nicht um die unsichtbaren Eintrittskarten in die Hafencity bemühen!
Christoph & Lollo über „Diese Stadt“