So lautete die Titelschlagzeile der Zeitschrift Format vom 5. Nov. 2010, die mir kürzlich zufällig in die Hände fiel. Und im Untertitel hieß es: „Wie sie den neuen Steuern auf Kapitalerträge entkommen“. Noch sind die – ohnehin bescheidenen – Steuern auf Kapital nicht beschlossen, rühmt sich die Zeitung öffentlich dafür, Tipps zu geben, wie man sie vermeiden kann – und niemand findet was dabei. Offensichtlich wird das nicht als verwerflich angesehen, eher scheint es zum guten Ton, zumindest aber als Voraussetzung für Erfolg zu gehören, das Zahlen von Steuern möglichst zu vermeiden.
Man stelle sich vor, welche Empörung es hervorrufen würde – und durchaus nicht nur bei den Reichen – wenn das Megaphon oder der Augustin in der Titelschlagzeile Tipps ankündigen würden, wie man möglichst lange und viel Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld beziehen kann. Und natürlich würde sofort der Ruf laut, öffentliche Förderungen einzustellen. Wieviel Geld das Format aus der Presseförderung wohl bekommt? (Laut Statistik Austria gab der Bund 2008 gut 2 Mio Euro für die Förderung von Wochenzeitungen aus, detaillierte Angaben gibt es leider nur für Tageszeitungen).
Auf jeden Fall: es scheint niemanden zu stören, nicht einmal die PolitikerInnen, die diese Steuern demnächst beschließen sollen – wozu eigentlich? Anscheinend ist es nicht mehr als Augenauswischerei, nur um uns zu zeigen, dass eh auch die Reichen was beitragen müssen. Dass die Bankensteuern auf die KundInnen abgewälzt werden, ist ja auch praktisch schon ausgemacht, der Widerstand der SPÖ dürfte auch da eher symbolischer Natur sein. Von wegen „Wir zahlen nicht für eure Krise“! Abgesehen davon, dass es ja von Anfang an klar war, dass diese Formulierung hinkte, dass es diese Unterscheidung zwischen „wir“ und „ihr“ nicht wirklich geben kann, ist diese Sebstverständlichkeit, mit der eine Zeitung mit dieser Schlagzeile auftreten kann auch Ausdruck dessen, was Sighard Neckel (damals noch an der Uni in Wien, Ergänzung 18. Feb. 2018) als „Refeudalisierung des Wertesystems“ bezeichnet. Die Argumente, mit denen Reiche ihren Reichtum rechtfertigen, haben sich geändert.
Sighard Neckel und sein Team haben umfangreiche empirische Studien zur Bankenkrise gemacht. Sie haben viele Menschen aus dem Bankensektor interviewt und auch beobachtet, wie die Krise in den Medien und von der Politik behandelt wurde, welche Argumente von wem vorgebracht wurden, usw. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist in dem Buch „Strukturierte Verantwortungslosigkeit“ festgehalten.
Entgegen der weit verbreiteten Ansicht, dass die Gier der Menschen, und insbesondere der Banker, schuld an der Krise gewesen sei, sagen die ForscherInnen in diesem Buch: „Gier ist ein Strukturmerkmal der Finanzmärkte“. Gier gehört ja sozusagen zum Anforderungsprofil eines guten Finanzmanagers, wird in diesem System verlangt und auch belohnt. Daher ist es kein Wunder, dass bei Menschen, die dort arbeiten, in psychologischen Tests dieses Verhalten nachgewiesen werden kann und sogar mit Hilfe von Gehirnströmen messbar ist. Das kommt aber nicht daher, weil uns die Gier in den Genen liegen würde, sondern weil sie eben in diesem System in der Sozialisation erworben wird. Auch Sigrid Stagl hat beim Commons Symposium in Wien gesagt, das Verhalten der Menschen in einer Institution hänge von der Struktur einer Institution ab. Wenn solche Ergebnisse aus der empirischen, auch ökonomischen, Forschung kommen, dann ist das auch ein gutes Argument, wenn bei meinen Workshops oder Vorträgen immer wieder behauptet wird, Menschen seien nun einmal egoistisch und drum könnten Commons nicht funktionieren (auch dafür gibt’s ausreichend empirische Gegenbeweise).
In einem Vortrag am 23. November ging Neckel in seiner Interpretation der Untersuchungsergebnisse noch weiter und stellt sie in den Zusammenhang einer „Refeudalisierung“ der Gesellschaft. Das ist nicht grundsätzlich neu, den Begriff haben vor ihm schon andere verwendet. Was ich interessant fand war aber seine Schlussfolgerung, dass es nämlich unter anderem auch um eine Feudalisierung der Werte und Normen gehe, und das könnte ein Grund sein, warum Dinge wie diese Titelschlagzeile so unwidersprochen hingenommen werden.
Aus dem untersuchten Material schließt er, dass die bürgerlichen Werte wie Fleiß, Sparsamkeit, gesellschaftliche Verantwortung, die letztlich den Erfolg des Bürgertums über den Adel und die Durchsetzung des Kapitalismus ermöglicht haben nicht mehr gelten, dass viel mehr ein „Neofeudalismus“ ohne jegliche moralische Ansprüche zu beobachten ist. Das äußert sich darin, dass Leistungsgerechtigkeit von den Führungskräften explizit abgelehnt wird, das klinge nach Anforderungen, die man an sie stellt, für sie gehe es jedoch ausschließlich um Selbstverantwortung und Eigeninitiative und diese seien nicht messbar.
Es kommt zu einer Art Starkult mit demonstrativem Luxuskonsum, dieser bringt durchaus die Bewunderung durch die breite Öffentlichkeit, die zunehmend das Ideal des schnellen und mühelosen Erwerbes von Reichtum teilt. Reichtum und Erfolg werden in eins gesetzt. Der luxuriöse Lebensstil der Reichen wird zum Vorbild für alle Gesellschaftsgruppen – durch Billigwaren aus China und Konsumkredite ja auch zumindest für die meisten imitierbar (denk ich mir). Neckel spricht von einer „Gelegenheitsökonomie“, der Einstellung, das Leben sei ein Lotteriespiel, und ob man gewinne oder verliere, dazu könne man selbst nichts beitragen, das hänge nur vom Glück ab. Und: Die Menschen ganz oben und ganz unten gleichen sich bezüglich dieser Einstellung an, die Existenz der ganz Reichen hält die Hoffnung der unteren Schichten auf die Chance, selbst auch noch etwas vom Glück abzubekommen, am Leben.
Dazu kommt, dass auch die Organisationsstrukturen zunehmend denen feudaler Epochen gleichen. Dadurch, dass Gehälter und Boni unabhängig vom Erfolg und oft noch nach dem Ausscheiden bezahlt werden, entsteht eine ständisch privilegierte Managerklasse, die eine Art „Renten“ bezieht, also Einkommen ohne dafür etwas leisten zu müssen, deren Höhe sie selbst festsetzt. Diese Schicht verfolgt nur mehr ihr Eigeninteresse und muss sich weder rechtfertigen, noch ihre Risiken selbst tragen, denn diese werden sozialisiert und von den Steuerzahlern getragen. Neckel nennt es „Neoliberalismus mit kommunistischer Sicherheit“. Diese Privilegien werden auch weitgehend in den eigenen Kreisen weiter vergeben, auch vererbt, z.B. durch Stiftungen. Die Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg sinken.
Über eine ähnliche Untersuchung in den USA hab ich vor einiger Zeit gelesen, dass auch dort viel mehr Menschen davon überzeugt sind, dass jeder die gleichen Chancen für Erfolg und sozialen Aufstieg habe als vor 30 Jahren, während in der Realität die soziale Aufwärtsmobilität um vieles geringer ist als damals.
Um wieder zu den Werten zurückzukommen: Neckel meint, dass durch die Globalisierung der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und bürgerlicher Gesellschaft mit entsprechendem Wertesystem, von dem man lange überzeugt war, offensichtlich außer Kraft gesetzt wird. Der Kapitalismus ist in Regionen vorgedrungen, die dieses Wertesystem nie hatten, wurde dort mit religiösen oder staatssozialsistischen Wertesystemen verbunden und funktioniert auch mit diesen.
Und man braucht nur die Zeitungen eines einzigen Tages zu lesen, um Beweise für solche Umwertungen zu finden. Am Beispiel Skylink im Standard 25.11.
„Der Flughafenvorstand ließ sich sogar noch 2009 Boni für den guten Fortgang des Skylink-Baus ausbezahlen. Dank komfortabler Verträge kassiert die Führung auch nach der Ablöse Erfolgsprämien“
Oder im Stadtblatt der KPÖ Graz vom Dezember 2010: Die Direktoren der Holding Graz (in diese wurden die Wirtschaftsbetriebe der Stadt unter Grüner Regierungsbeteiligung ausgegliedert) bekommen 200.000 € Abfertigung, obwohl sie im Amt bleiben – weil die AG in eine GmbH umgewandelt wurde.
Aus der selben Zeitung ein Zitat von Mirko Kovats, Österreichs Vorzeigeunternehmer, der nun in Konkurs gegangen ist: „Schauen sie nur meine billige Swatch-Uhr an, ich bin ein absoluter Konsumverweigerer. Mir reichen 10.000 Euro im Monat“.
Wir sagen oft, diese Leute haben jeden Bezug zur Realität verloren und wissen nicht, was sie tun. Ersteres mag stimmen, zweiteres würde Neckel verneinen. Sie wissen sehr wohl was sie tun und sie tun genau das, was dem neuen Wertesystem entspricht, was heute Bewunderung und Respekt einträgt: nämlich ihren Reichtum vorzuführen um bewundert zu werden, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen oder daraus irgendwelche Verpflichtungen abzuleiten.
Die Fragen bleiben: was heißt das für die Politik und für demokratische Strukturen und Mechanismen? Was heißt das für die Möglichkeiten sozialer Veränderung? Und steht womöglich genau das hinter der vielgerühmten Corporate Social Responsibility – dass jetzt die Unternehmen verantwortungsbewusst sein sollen während die Manager sich schamlos bereichern?
Und weil’s grad so schön zum Feudalismus passt und zu dessen Werten ein Schmankerl für die nicht-österreichischen LesereInnen: letzte Woche hab ich mich mit einem Kollegen getroffen um das Commons-Symposium nachzubesprechen und er hatte ein typisches Wiener Kaffeehaus als Treffpunkt vorgeschlagen. Die Auswahl an vegetarischen Speisen beschränkte sich dort auf Käsetoast, dafür wurde ich mit „Gnädigste“ angesprochen ;-)! Also, Silke, ein unbedingtes „Muss“ für den nächsten Wien-Aufenthalt (gibt jetzt auch Nichtraucherzone)!
Feudalismus hin oder her: Da will ich hin! (wegen der Nichtraucherzone versteht sich.)
Ansonsten: bin nach ca 35 Stunden Bahnfahrerei unterbrochen von 2 Vorträgen heil zu Hause angekommen und melde mich demnächst auch blogmässig – (hoffentlich mit Eindrücken vom Architektenkongress.