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Man kann seine Heimat verlieren, den geografischen Ort, an dem man sich zuhause fühlt. Daneben kann man sich auch in einer gesellschaftlichen Weltanschauung zuhause fühlen. Vor 2020 hätte ich mein diesbezügliches Zuhause mit Überzeugung „links“ benannt. Dieses „links“ war geprägt von meiner als sehr frei empfunden Kindheit im dörflichen Österreich in den 70ern und von den Schlagworten Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit. Veränderungen gehen langsam von sich. Einige Jahre fühlte ich mich mit den Grünen verbunden. Diese Verbindung hatte ab 2010 abgenommen, ich beschrieb das für mich damit, dass diese Partei eben immer weniger „links“ sei. Doch mit den Ereignissen um 2020 hatte sich diese Veränderung nochmal stark beschleunigt. Ich musste schließlich selbst den Wert „links“ aufgeben, ich hatte meine politische Heimat verloren. Neue Narrative waren entstanden, ich konnte sie nicht mehr in links und rechts einordnen, aber wie sonst? Im folgenden Essay gehe ich der Frage nach, ob es für Narrative ein Kriterium geben kann. Ein Kriterium, in dem ich mich wieder zuhause fühlen kann.

1) Narrative und die Wissenschaft, der schwarze Schwan.

Narrative werden gesellschaftlich gebildet und von Medien verstärkt. Gibt man einigen Aspekten mehr Gewicht und vernachlässigt andere, können so sehr unterschiedliche Narrative aus den gleichen Gegebenheiten entstehen. Ein einmal eingenommenes Narrativ kann sehr wirkmächtig werden, schließlich erleichtert es das Zusammenleben, wenn viele Menschen vom gleichen ausgehen. Menschen die widersprechen stören.

Ein Beispiel ist die katholische Religion, ein Narrativ das bei uns lange sehr prägend war. Die sogenannten „westlichen Werte“ sind ein anderes Narrativ, auf das wir uns heute gern berufen. Die politische Einordnung in „links“ und „rechts“ ist ein Narrativ das medial präsent bleibt, obwohl sich Schwerpunkte verschoben haben. Den Schwerpunkt von „links“ nehme ich heute darin wahr, das „rechte“ negativ zu beurteilen.

Wäre es für ein gutes Zusammenleben nicht wichtig ein Narrativ zu finden, das für alle gilt? Ist das möglich? Immanuel Kant hatte aus der Frage nach gutem Zusammenleben den bekannt gewordenen kategorischen Imperativ formuliert. Kants Frage „wie sollen wir handeln?“ soll in diesem Essay so formuliert werden: „an welches Narrativ sollen wir uns halten?“

Im Kampf der Narrative um Hegemonie wird gern auf die Autorität der Wissenschaft zurückgegriffen, ihre Antworten klingen klar und ihre Anwendung ist erfolgreich. Erfolgreich in der Technik – also auch bei Narrativen?

Karl Popper erzählte eine Geschichte über den Schwan: Man kannte dieses Tier schon sehr lange, konnte also aus der Beobachtung den empirischen Schluss ziehen, dass alle Schwäne weiß sind. Dann wurden in Australien schwarze Schwäne gesichtet.

Er zog daraus den Schluss, dass sich Theorien gar nicht verifizieren lassen, er machte umgekehrt aus dem Prinzip der Falsifizierbarkeit ein Kriterium für die Gültigkeit einer Theorie.

Popper war dabei wichtig, die Grenzen der Wissenschaft zu benennen. Narrative bilden sich aber ganz anders, vor allem auch emotional. Man kann das Genom eines Virus sequenzieren, ein kleiner sachliche Aspekt, den man mit naturwissenschaftlichen Kriterien beurteilen kann. Je nachdem, ob man Angst vor Krankheit, vor gesellschaftlichen Änderungen oder vor Armut hat, wird man aus diesem gleichen Aspekt jedoch ganz verschiedene Bilder zeichnen. Bilder, die sich jedem wissenschaftlichen Kriterium entziehen.

Narrative prägen unser Zusammenleben und unsere Politik. Da wir also die Verantwortung für die Gültigkeit von Narrativen nicht an eine „Wissenschaft“ externalisieren können, liegt sie bei jedem selbst. Was sollen wir glauben?

2) Das Menschenbild „im Grunde gut“ als Kriterium für andere Narrative

Da Narrative gesellschaftlich gebildet werden, müssen wir auch in der Gesellschaft Antworten suchen. Im Folgenden frage ich mich, ob sich dafür das Menschenbild „im Grunde gut“ eignet.

Im Grunde gut“ ist der Titel eins Buches von Rutger Bregman, und ist natürlich selbst ein Narrativ. Bregmann versucht darin diese positive These über den Menschen mit neu bewerteten, bekannten Studien zu belegen, er bringt historischen Erzählungen und er zitiert Philosophen, die sich dazu Gedanken gemacht haben. Seine Sichtweise lässt zu, dass „im Grunde gut“ Gültigkeit behält, für alle Menschen.

Ein Gedankengang dazu: In jedem Narrativ kommen Werte vor, anhand derer etwas „gut“ bewertet wird. Die Anhänger eines Narratives wollen sich daran halten, finden sich also selbst gut. Menschen, die dieses Narrativ nicht teilen, müssen dumm sein. Diese „Dummen“ erzählen jedoch eine andere Geschichte, in der Anhänger des ersten Narratives gehirngewaschen sind und sie die guten. Was „gut“ ist muss dabei gar nicht objektiv bewertetet werden. Was wir daraus folgern könnten ist doch, dass sich jeder für einen guten Menschen hält. Was, wenn alle recht haben?

3) Beispiele. Das Narrativ vom Wert der Gleichheit

Weil es Sinn macht sich gesellschaftlich zu organisieren, damit wir Bildung, Infrastruktur oder Soziales bewältigen und finanzieren können, macht es auch Sinn, dass darin jemand mehr Verantwortung übernimmt und dafür auch mehr Geld bekommt. Ähnliches gilt für Betriebe. Das Ausmaß der Gleichheit ist also zu verhandeln. Für ein brauchbares Ausmaß könnten wir die Werke von Thomas Piketty heranziehen. Er argumentiert, dass ein zu wenig an Gleichheit letztlich auch ökonomisch mehr kostet und der Gesellschaft schadet. Rainer Mausfeld wiederum beschreibt, dass wir in einer Herrschaft der Konzerne gelandet sind, dass eine Elite Medien kontrolliert und es so schafft, dass die enormen Schäden der Ungleichheit im Verborgenen bleiben. Diese Machtelite fürchte auch echte, partizipative Demokratie, weil das Volk auf die Idee kommen könnte, mehr vom Kuchen zu wollen. Eine Herrschaft der Elite stützt sich also auf das Narrativ, dass das Volk mit Entscheidungen überfordert sei.

Mithilfe der These „im Grunde gut“ eigne sich als Kriterium könnten wir uns also einfach fragen: braucht das Narrativ dumme Menschen? Begründet es seine Schlussfolgerungen damit, dass die meisten Menschen die komplexe Welt ja nicht versehen können? Dann haben wir es mit einen elitären Narrativ zu tun, dann geben wir lieber einen Narrativ den Vorzug, das von einer egalitären Welt erzählt.

Beispiel: Die Narrative zur Pandemie.

Medial gab es nur ein „richtiges“ Narrativ. Es erzählte von Menschen, die nicht an Wissenschaft glauben, Menschen die aus Egoismus oder Gewohnheit jede Maßnahme ablehnen. „Solidarität“ hatte ein mittragen jeder Maßnahme erfordert. Menschen die das nicht mittragen wollten, waren eine Gefahr, es war berechtigt sie unter „2G“ von der Gesellschaft auszuschließen.

Wie konnte man mit „Solidarität“ einen gesellschaftlichen Ausschluss begründen? Mit einem Menschenbild „im Grunde gut“ ist das nicht vereinbar. Es war zudem eindeutig elitär, eine Elite hatte bestimmt, gesellschaftlicher Diskurs blieb außen vor.

Es gab auch Narrative die annahmen man wolle die Menschheit mit Virus und zugehöriger Impfung reduzieren und Medien und Ärzte würden wissentlich und absichtlich mitspielen. Ebenfalls kein Narrativ, zudem „im Grund gut“ passt.

Es gab aber noch ein anderes Narrativ, geprägt von Ulrike Guérot, Christian Felber, John Ioannidis. Peter Weish, Christian Schubert, Martin Sprenger und vielen anderen. Die Sterblichkeit konnte benannt werden, ins Verhältnis gesetzt werden zu anderen Krankheiten oder zur Hongkong Grippe Ende der 60er, die eine ähnliche Sterblichkeit wie Covid-19 hatte. Es konnte hinterfragt werden, ob Maßnahmen nicht auch schaden, eventuell mehr als sie nutzen. Ob man zu Menschen die unter Maßnahmen leiden nicht auch Solidarität zeigen müsse. Ob wachsende Depressionen unter Kindern und Jugendlichen nicht etwas mit Schulschließungen zu tun haben. Der egalitäre Standpunkt also, dass man auf alle schauen müsse, denn der Mensch ist doch „im Grunde gut“.

Beispiel: Kriegs- und Friedens- Narrative

Vorweg: Ich will hier Narrative vergleichen, keine geostrategischen Thesen aufstellen.

In einem Kriegs-Narrativ braucht man starke Gründe und Eindeutigkeit. Einen übergroßen Feind, der über alle Zweifel hinweg gefährlich ist. In Werken über Kriegspropaganda finden sich diese Beispiele: Wir kämpfen auf der guten Seite, für Demokratie, der Gegner ist ein gefährlicher Diktator. Unser Kampf ist sauber, der Gegner begeht Kriegsverbrechen. Der Gegner greift an, wir verteidigen, mit Waffen können wir helfen. Eine klar duale Welt, ein Narrativ, in dem ein Menschenbild „im Grunde gut“ keinen Platz hat.

In einem Friedens- Narrativ könnten wir so sagen: Der Kapitalismus hat dazu geführt, dass zu viel Macht bei zu wenig Menschen liegt. Die mächtigsten Staaten sind zu Oligarchien geworden. Wenn das Wachstum an Grenzen stößt wird der Kampf um Ressourcen und Einfluss stärker, und Großmächte wie Russland und USA beginnen Kriege und brechen Völkerrecht. Wichtig dabei: keine Konzentration auf nur eine Macht.

Eugen Drewermann, Daniele Ganser, Sarah Wagenknecht sind einige bekannte Menschen, die heute an so einem Friedens- Narrativ festhalten.

In „Hilfe mit Waffen“ kann man ein deutliches Beispiel einer orwellschen Neusprache sehen, Waffen zerstören und töten, helfen nicht.

Die Welt ist nicht dual, sie ist voll von Menschen, die „im Grunde gut“ sind.

4) Schlussfolgerung:

Damit habe ich also einen Punkt gefunden, an dem ich politische Heimat neu ausrichten kann. Ein Kriterium, von dem ich mir auch wünschen kann, dass es verbreitet angewendet wird: Wenn wir in Medien und Alternativmedien nach Informationen suchen möge gelten: halte nur jene Narrative für richtig, die in dieses Menschenbild passen: im Grunde gut.

Referenzen:

Rutger Bregmann, „im Grunde gut“

https://shorturl.at/F5yEW

Ganser und Drewermann über Pazifismus:

https://www.youtube.com/watch?v=FaRMdsKjH9Q

Rainer Mausfeld über Machtelite

https://westendverlag.de/Warum-schweigen-die-Laemmer/1493

Vergleichszahlen zu Covid-19

https://shorturl.at/AaUhM

oder auch

https://shorturl.at/BWweL

(beide Quellen werfen sich gegenseitig vor, dass Urheber verborgen bleiben, ein Verweis auf beide Quellen ist auch eine Referenz auf stark unterschiedliche Narrative zur gleichen Sachlage)

Kriegspropaganda

https://shorturl.at/kt7qD

Leo Rögner, Mai 2024, überarbeitet Jänner 2025

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