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Mit einem Tag Verspätung bin ich in Velika Kladuša eingetroffen – der Bus, den ich im Internet gefunden hatte, existiert nicht und ich musste noch einen Zwischenstopp in Karlovac einlegen.

Einen Tag vor meiner Abreise erfuhr ich, dass es massive Schwierigkeiten mit der Polizei gab und ich wusste nicht, ob es noch möglich sein würde, als Freiwillige bei SOS Kladuša zu arbeiten. E wurde ausgewiesen, sie muss das Land innerhalb einer Woche verlassen und darf dann für ein Jahr nicht mehr einreisen, anderen Freiwillige davor ist das Gleiche passiert. Das will ich auf jeden Fall vermeiden, denn ich will wieder kommen und es würde auch niemandem nützen.

Als ich mich auf den Aufruf hin gemeldet hatte, dass Freiwillige gesucht würden, wollte ich einfach etwas tun. Ich hielt es nicht mehr aus zuhause zu sitzen und zu sehen, was diese Flüchtlingspolitik der EU anrichtet und dachte, das wäre eine Möglichkeit, Solidarität zu zeigen. Dann aber habe ich begonnen, mich auch mit dem Land auseinanderzusetzen, in das ich da fahre. Da war natürlich erst der Krieg, der Genozid, die mühsam in der Waage gehaltene Konflikte, der dreifache Nationalismus. Wie sich das für junge Menschen anfühlt, hat mir T erzählt, die ich beim Elevate Festival kennengelernt habe: traurig und wütend sei sie über die Situation in ihrem Land. Und ich wollte mehr wissen über die Auswirkungen der europäischen Politik auf die Menschen, auf diejenigen, die schon immer hier leben und auf die, die hier durch wollen, aber nicht können. Nicht nur an diesem einen Ort, sondern auch an anderen Orten im Land. T hat auch gemeint, wenn ich schon da sei, müsse ich zumindest noch Sarajevo sehen, das sei eine wunderbare Stadt und sie konnte mir dort auch Kontakte vermitteln. So bin ich erst mal als Touristin eingereist und schlafe im Hostel und das wird wohl auch so bleiben.

Denn inzwischen weiß ich mehr über die konkrete Situation: die Angebote von SOSKladuša, das Restaurant und der Shop, die bisher die Hauptaufgabenbereiche für Freiwillige aus der EU waren, sind eingestellt, weil es nun streng gehandhabt wird, dass nur registrierte NGOs Unterstützung für Menschen auf der Flucht anbieten dürfen. Die NoNameKitchen musste deshalb schon früher aufgeben. Nun haben sich die beiden Gruppen zusammengetan und wollen gemeinsam den Registrierungsprozess durchlaufen, der auch schon begonnen wurde. Damit soll die Organisation auf neue Beine gestellt werden und die Angebote wieder aufgebaut. Ich wünsche ihnen, dass das funktioniert, wird aber nicht einfach werden, weil die Bedingungen für die Registrierung wie üblich auf große Organisationen ausgelegt sind, um kleine, aufmüpfige rauszukicken.

Erste Eindrücke

Inzwischen habe ich Zeit, mich hier zu orientieren, geografisch, touristisch und vor allem darüber, was hier so läuft. Die Situation stellt sich ziemlich skurril dar. Gefühlt mehr als die Hälfte der Menschen auf den Straßen sind sichtbar nicht hier geboren, das scheint aber die Behörden hier nicht zu kümmern, solange es keine Schlägereien gibt, was immer wieder mal vorkommt. Es gibt hier Menschen, die schon zig-mal versucht haben, über die Grenze nach Kroatien zu kommen. Manche haben schon den dritten Winter auf der Flucht hinter sich. Von Kroatien werden sie, wenn sie entdeckt werden, mit mehr oder weniger Gewalt sofort wieder zurückgebracht. Daher müssen sie auch unentdeckt bis nach Slowenien kommen, ein etwa zweiwöchiger Fußmarsch, auch von dort werden sie aber abgeschoben, wenn sie entdeckt werden. Erst Italien, wohin es offenbar eine relativ einfache Grenzübertrittsmöglichkeit gibt, ist für sie einigermaßen sicher.

Der erste Mann mit dem ich mich nach meiner Ankunft länger unterhielt, hat mir erzählt, er wäre schon 3x in Slowenien gewesen und viele Male (die Zahl hab ich vergessen) in Kroatien, immer zurückgebracht worden, er würde es aber wieder versuchen, natürlich, das steht für alle hier außer Frage, sonst wären sie nicht mehr hier. Vorgestern war ich mit R, Z und D bei E zum Abendessen eingeladen. Z hatte gerade eine Nachricht von jemandem bekommen, der beim 45. Versuch endlich in Mailand angekommen war – alle freuten sich. R und Z gehören zu den Menschen, die hier leben und den Flüchtlingen helfen, das sind angeblich gar nicht so wenige. Andere beschimpfen sie, wieder andere scheinen sie einfach zu ignorieren, was in Anbetracht der Zahl schon gar nicht so einfach sein dürfte.

Die Balkanroute …

Begonnen hat alles Ende 2017, verstärkt dann aber seit Anfang 2018, seit es die EU geschafft hat, die „Balkanroute zu schließen“ und Herr Kurz uns verkündet hatte, dass wir uns an schreckliche Bilder gewöhnen müssten. Damals haben sich die Menschen neue Wege gesucht und einer davon führt in die Region von Bihać und durch Velika Kladuša. Damals sind auch die Menschen, die Flüchtlinge unterstützen, von Belgrad oder Šid in Serbien hierher weiter gezogen und es entstand SOSKladuša. Nun ist die Situation so, dass die Grenze nach Norden zu ist, die Grenzen im Süden aber offen, alles staut sich in dieser Region. Es gibt ein großes Flüchtlingslager in Bihać und eines für ca 500 Menschen in Velika Kladuša, die beide von IOM betrieben werden. Es gibt aber viel mehr Flüchtlinge hier und die meisten wollen sowieso nicht ins Lager, andere werden weggeschickt, obwohl sie gerne rein möchten. Sie wohnen in leerstehenden Häusern, manche mieten auch Zimmer oder Wohnungen, gar nicht so wenige haben offensichtlich Geld. Eine weitere Geschichte die ich gestern gehört habe: Jemand ist in Kroatien in ein Haus eingebrochen, hat da offensichtlich tagsüber Schutz gesucht und sich aus dem Kühlschrank bedient und dort 200 Euro zurückgelassen. Und nun, wo es wärmer wird, schlafen auch viele wieder im Freien oder unter irgendwelchen Unterständen, Schlafsäcke sind wieder gefragt. Angeblich kommen 30 – 40% der Menschen letztlich durch. Hier einige Infos zur Entwicklung der Balkanroute.

Das große Spiel

Das ist natürlich von vorne bis hinten alles irrational bis verrückt. Das beginnt damit, eine Grenze zu schließen und sich nicht zu überlegen, was dann mit den Menschen auf der anderen Seite geschehen soll, was das für die Länder auf der anderen Seite der Grenze bedeutet. Nicht weniger verrückt ist es, dass hier sich diejenigen vor der Polizei verstecken müssen, die den Menschen helfen wollen, während es in Kroatien und Slowenien die sind, die hier weg wollen; dass B und S immer vor Ablauf von 72 Stunden einmal zu Fuß über die Grenze nach Kroatien gehen und wieder zurück, um der Anmeldepflicht zu entgehen; dass Menschen nach 50 vergeblichen Versuchen die Grenze zu überqueren, es trotzdem immer wieder versuchen, obwohl sie wissen, dass ihr Schicksal auch hinter dieser Grenze fragwürdig ist; dass Z gestern mit ihrer Tochter für zwei Tage nach Berlin zu einem Konzert geflogen ist (es gibt dort auch Verwandte, die man besuchen und bei denen man übernachten kann) und dafür Flugtickets von Ljubljana und zurück um 40 € bekommen hat, während die Menschen hier Monate für wenige Kilometer brauchen und manche dafür ein Vielfaches dieses Betrags an Schlepper bezahlen; dass Einbrecher Geld im Kühlschrank hinterlegen; dass die kroatische Polizei den Menschen alles wegnimmt, sogar die Handys zerstört, bevor sie sie zurückbringt, was eher nach Mafia klingt, als nach einer behördlichen Maßnahme in einem EU-Staat. Eine irrationale Handlung zieht die nächste nach sich, bis ein System entsteht, das sich selbst trägt. Nur weil Menschen zigmal ohne Hab und Gut aus Kroatien zurückkommen werden Gruppen wie wie SOSKladuša überhaupt notwendig. Wer Leute trifft, die erzählen, sie wären in Kroatien im Gefängnis gewesen, hätten seit drei Tagen nichts zu essen bekommen und besäßen nicht mehr als das, was sie auf dem Leib tragen, der gibt ihnen Essen, Kleidung usw, auch wenn man natürlich auch da nie wissen kann, ob diese Geschichten wahr sind. Das alles lässt sich nicht mehr irgendwie vernünftig begründen oder weist auf einen langfristigen sinnvollen Plan hin. It‘s a big game and we are all part of it, hat D vorgestern Abend gemeint und so kann man das alles auch besser verstehen und einordnen, in einem Spiel muss niemand rational agieren, man reagiert aufeinander, erfindet neue Finten und Tricks und versucht immer die Nase vorne zu haben.

Nur zerstört dieses Spiel eben die Leben vieler Menschen, denn ob jemand der das hier monate- oder sogar jahrelang gespielt hat, jemals wieder sozial integrierbar ist, ist mehr als fraglich. Diese Menschen mussten überall Tricks herausfinden, um sich durchzuschlagen, viele sind schwer traumatisiert, sind sie in ihren Wunschländern angekommen, ist die Odysse noch lange nicht vorbei. Gestern früh haben wir sogar eine Familie mit zwei Kindern gesehen, die aus Kroation zurück kamen … Und es kostet Geld, das viel besser eingesetzt werden könnte. Die Kosten für dieses Spiel werden die alten und die neuen Europäer noch lange zu tragen haben.

Die offizielle Argumentation ist hier wie im Mittelmeer: wenn man den Menschen nicht helfe, dann kämen sie nicht mehr. Da ist vermutlich ein Körnchen Wahrheit dabei, aber eben auch nicht mehr. Menschen, die keine anderen Perspektiven haben, lassen sich nicht aufhalten. Auch für sie gilt, alles ist besser, als nichts zu tun. Also werde ich hier noch ein wenig bleiben, Teil dieses Spiels sein und versuchen, noch mehr von den Spielregeln zu begreifen, die sich für mich gerade alle ziemlich absurd anfühlen.

Ein Gedanke zu “Velika Kladuša”

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