Diese Rezension ist in der Sommer-Ausgabe der CONTRASTE erschienen.
Fabian Scheidler geht in seinem Buch der Frage nach, warum unsere Gesellschaften nicht in der Lage sind, trotz ausreichender Informationen und durchaus gutem Willen, Auswege aus der herrschenden systemischen Krise zu finden. Die Frage nach der Entstehung der Machtstrukturen, die uns daran hindern, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Scheidler beginnt seine Suche nach den »Ursprüngen der Herrschaft von Menschen über andere Menschen«, ausgehend von Wallersteins Weltsystemtheorie und inspiriert von poststrukturalistischen, feministischen und postkolonialen Theorien, vor mehr als 5000 Jahren. Er definiert vier Tyranneien, die schließlich jene »Megamaschine« hervorgebracht haben, die zu verlassen uns nahezu unmöglich erscheint: die physische Gewalt, die strukturelle Gewalt, die ideologische Macht und schließlich die Tyrannei des linearen Denkens und der Naturbeherrschung.
Der Autor zerstört auf dieser Zeitreise alle gängigen Fortschrittsmythen und auch sonst einige liebgewordene Glaubenssätze der Moderne. Geld und Märkte sind nicht aus friedlichem Tauschhandel entstanden, sondern immer im Zusammenhang mit dem Ausbau militärischer Macht. Die Demokratie wurde erst eingeführt, als ausreichende Filter entwickelt waren, um die Systemfrage aus demokratischen Entscheidungsprozessen auszuschließen. Und die allgemein bekannte Tatsache, dass die gigantische Wohlstandssteigerung in den Industriestaaten des Nordens nur möglich war, durch einen hohen Blutzoll in Ländern des Südens und um den Preis ökologischer Katastrophen, untermauert Scheidler mit eine Fülle an eindringlichen Beispielen, die beim Lesen manchmal das Gefühl auslösen, so genau hätte man es eigentlich gar nicht wissen wollen.
Wer 5000 Jahre Menschheitsgeschichte auf weniger als 250 Seiten abhandelt, muss notwendigerweise einen selektiven Blick einnehmen. So erscheint in dem Buch manchmal die Geschichte als teleologischer, linearer Prozess. Gegenströmungen und Ambivalenzen werden kaum sichtbar, die »Megamaschine« nimmt totalitäre Züge an. Dieser Eindruck wird in den letzten beiden Kapiteln gemildert: Das System stoße derzeit in vielerlei Hinsicht an seine Grenzen, nicht zuletzt durch den Druck verschiedener »antisystemischer« Bewegungen seit den späten 1960er Jahren. Ein Überblick über aktuelle soziale Bewegungen und Initiativen, die den Ausstieg proben, gibt dem Buch ein hoffnunsvolles Ende.
Die große Stärke des Buches ist es, dass das komplexe Thema verschränkter Herrschaftsstrukturen in gut lesbarer Sprache aufbereitet wurde, ohne viel theoretischen Ballast und teilweise spannend wie ein Krimi. Gerade auch durch die ambivalenten Gefühle, die es hervorruft und durch eine große Fülle an Literaturangaben, zu den zugrundeliegenden Theorien ebenso wie zu konkreten Fallstudien, gibt es Anregungen zum Weiterlesen, -denken und -diskutieren und hoffentlich auch Motivation zum Handeln.
Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation. Promedia, Wien. ISBN 978-3-85371-384-6, 19,90 Euro