Natürlich hab ich mich in Hamburg nicht nur im Hafen und bei der Protestkulturwoche herumgetrieben, sondern bin auch meinen Verpflichtungen beim Kirchentag nachgekommen. Es ging um ein neues Format, das ein wenig anders läuft, als die riesigen, frontalen Veranstaltungen, die den Kirchentag sonst prägen. „Ideensalon“, so der Name, und er sollte Menschen einladen, sich auch selbst einzubringen. An sich ja das Format, das ich viel lieber habe. Ich war trotzdem etwas skeptisch wegen der kurzen Zeit, die für Inputs vorgesehen war (5 -7 Minuten pro Person) und des gedrängten Ablaufs. Meine Befürchtungen erwiesen sich als grundlos. Die 20 – 30 Menschen (es gab die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Gruppen zu wechseln, deshalb die schwankende Teilnehmendenzahl), die dorthin gekommen waren, hatten Vorwissen genug um mit Hilfe eines Minimums an Informationen in eine Diskussion einzusteigen. Ein sehr gelungener Versuch fand ich, der durchaus ausgebaut werden könnte.
Der Ideensalon unter dem Übertitel „Solidarische Ökonomie“ bestand aus vier Gruppen: Energie von unten – Nahrung von nebenan – Commons und Allmende (unschwer zu erraten, dass das die Gruppe war, zu der ich als Impulsgeberin eingeladen war) – Gemeinwohlökonomie. Jede Gruppe saß in einer Ecke des Saales, die Teilnehmenden konnten während der Veranstaltung zwischen den Gruppen wechseln. In jeder Gruppe gab es drei Impulsgeber/iinnen, dann ging es zur Diskussion, bei der auch die Teilnehmenden eingeladen waren, ihre Erfahrungen einzubringen, was sie – zumindest in meiner Gruppe – auch ausgiebig machten.
Den Anfang in unserer Gruppe machte Hauke Lentsch, von Berufs wegen Sammlungsverwalter des Museums für Arbeit im Hamburg. Was er einbrachte hatte jedoch wenig mit dem Museum für Arbeit zu tun, sondern entsprang eher einem persönlichen Interesse. Er hatte sich damit beschäftigt, wie der Bau und die Erhaltung der Deiche in Norddeutschland im Lauf der Geschichte organisiert war. Ich fand das interessant, hatte ich doch schon bei meinem Urlaub in Norddeutschland vor drei Jahren die These aufgestellt, dass die Deiche so etwas wie ein Commons seien (ziemliche weit unten im damaligen Text).
Er berichtete von den Problemen, die der ständige Kampf gegen die Sturmfluten für die Bevölkerung bedeutete, von den verschiedenen Organisations- und Eigentums-verhältnissen, die für die Lösung dieser Probleme im Lauf der Zeit verwendet wurden, von den Konflikten, die dabei entstanden und dass heute die Deiche vom Land Schleswig-Holstein erhalten werden, daher kein Commons mehr seien. Das müsste man sich noch genauer anschauen, ob etwas ein Commons ist oder nicht, lässt sich bekanntlich nicht an der Rechtsform ablesen. Wenn das – wie er auch selbst sagte – erst mal keine abgeschlossene Arbeit, sondern eher einmal ein Aufschlag war, so kam darin nach meinem Empfinden doch sehr viel vor, das man nach den Prinzipien von Elinor Ostrom analysieren könnte. Ein spannendes Thema für eine Abschlussarbeit für HistorikerInnen!
Nach diesem Rückblick auf frühere konkrete Commons-Institutionen kam ich mit dem theoretischen Teil. Ich versuche bei meinem Vorträgen immer gerne, den Menschen, zu denen ich rede, ihre eigene Geschichte zu erzählen (wenn das möglich ist, weil ich abschätzen kann, woher die Menschen kommen und was ihr Anliegen ist). So begann ich diesmal beim Kirchentag und zwar mit dem Kirchentagslied „Soviel du brauchst“. Anscheindend ist das Lied kein Commons, ich konnte den Text online nicht finden. Auf jeden Fall: so viel du brauchst – Wasser, Früchte, Brot, soviel du brauchst aber auch an Freunden. Wärme, Träumen und Tränen, soviel ist für dich auch da, so wird es dort versprochen. Eigentlich, so meinte ich, stünde da schon alles über die Commons drin. Weil uns aber seit 200 Jahren eingeredet wird, dass nicht genug für alle da ist, und dass wir immer um alles was wir brauchen kämpfen oder es uns zumindest erst verdienen müssen, können wir uns gar nicht vorstellen, dass das wirklich gehen könnte, jeder bekommt soviel er braucht – und dann bleibt das eben nur ein sentimentaler Text für ein Kirchentagslied.
Auf einem Plakat einer entwicklungspolitischen Organisation auf der Messe stand: Wir haben alles, was nötig ist. Tun wir auch alles, was nötig ist? Da war der erste Schritt schon gemacht. Sie hatten schon erkannt, dass genug für alle da ist – aber sie wussten noch nicht, wie wir es richtig organisieren. Und da kamen nun die Commons ins Spiel, denn dort geht es genau darum: wie können wir so produzieren, die Ressourcen so nutzen, dass alle bekommen, was sie brauchen und die Ressourcen erhalten bleiben. Von hier aus habe ich ganz kurz die wichtigsten Aspekte der Commons beschrieben. Also, Commons sind keine Dinge, sondern soziale Beziehungen, von daher gehört auch das „soviel du brauchst an Freunden, Wärme, usw.“ zu den Commons dazu. Aber es braucht einige Prinzipien, damit es funktionieren kann – die Menschen müssen ihre Regeln selber machen, alle müssen sie als fair empfinden, es braucht Mittel zur Konfliktlösung (Commons sind keine heile Welt, auch die Tränen im Kirchentagslied haben ihre Berechtigung) und es braucht Anerkennung, im besten Fall Unterstützung, durch die Politik.
Und zum Schluss noch eine Handvoll Beispiele: Alte (Allmende und eben die Deiche), Neue (Gemeinschaftgärten, offene Werkstätten), Digitale (Wikipedia) und Soziale (Wohn- und Arbeitsgemeinschaften). Durch die Herstellung solcher Commons können wir uns unabhängiger machen, vom Geld, vom Job, aber auch vom Erdöl, von globalen Wirtschaftskrisen. Das war’s. Aus dem Gesichtsausdruck der Zuhörer/innen, aus ihrem beifälligen Nicken, hatte ich schon erkannt, dass sie mir folgen konnten, dass sie verstanden, wovon ich redete. Das ist das Schöne, wenn man in kleinen Gruppen arbeitet, die noch dazu auf Grund der räumlichen Situation sehr eng zusammenrücken mussten. Und mit meinem letzten Beispiel konnte ich gleich überleiten zum letzten Redner, zu Bernd Meyer-Stromfeld von den Wulfshagener Hütten, einer christlichen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft.
Die Wulfshagener Hütten entstanden aus einer Gruppe einer evangelischen Pfarrgemeinde, die in ihrer persönlichen Lebensgestaltung an die Wurzeln des frühen Christentums zurückkehren wollten. Sie durchliefen den gleichen Prozess, stehen vor den gleichen Herausforderungen, wie nicht-religiöse Gruppen, die solche Gemeinschaften gründen und leben. Sie sind in manchem jedoch um einiges radikaler. So kündigten sie alle gleichzeitig ihre Jobs, als sie sich ernsthaft dazu entschlossen, um ihre ganze Energie in des Projekt stecken zu können. Es war ihr Anspruch, sich selbst erhalten zu können, daher gründeten sie auch eigene Unternehmen, ihre Haupteinahmequelle ist die Erzeugung von Holzspielzeug. In der Gruppe leben und arbeiten auch Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hätten, wenn auch nicht solche, die wirklich viel Betreuung brauchen, das könnte die Gruppe nicht leisten. Sie verzichten aber auf staatliche Förderung oder Mittel aus dem Topf für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, um unabhängig zu bleiben. Was sie noch von anderen Wohnprojekten unterscheidet ist der Aufnahmeprozess. Für eine oder mehrere Wochen kann jeder dort wohnen und mitarbeiten, um es einmal zu versuchen. Entscheidet man sich dafür, einsteigen zu wollen, so kann man mehrere Jahre dort leben, ohne schon vollwertiges Mitglied im Entscheidungsgremium zu sein. Dafür braucht es den letzten Schritt: die lebenslange Verpflichtung. Das ist wohl ein Überbleibsel aus der Tradition religiöser Gemeinschaften, das ich für nicht sinnvoll halte. Auf meine Nachfrage meinte er, es sei wohl schon einige Male passiert, dass Leute wieder ausgestiegen seien. Das sei dann für beide Seiten ein schmerzhafter Prozess gewesen. Da halte ich es schon für sinnvoller, gleich angemessene Ausstiegsregelungen mit einzubauen. Aber das muss natürlich jeder selber wissen, sollte jetzt kein guter Ratschlag sein, sondern nur das, was ich dabei empfinde.
Wir konnten in unseren Beiträgen gut aufeinander eingehen, was ich schön fand. Und sobald wir fertig waren, begannen andere Leute aus ihren Projekten zu berichten. Da waren Menschen aus Garten und Wohnprojekten, geplanten und schon bestehenden. Da war eine Frau aus dem Allmendekontor auf dem Berliner Flugfeld Tempelhof und eine Frau aus Jersey, die uns erzählte, dass Jersey sich in Anlehnung an die Transition Towns, „Transition Island“ nennt. Alles in allem ein anregender Abend, danke Kirchentag!