Seit Sonntag Abend bin ich wieder in Österreich, seit Montag in Graz. Auf den Tag genau 3 Monate war ich unterwegs. Das war nicht Berechnung, sondern Zufall. Und etwas mehr als 2 Monate davon in Italien. Fast 6 Wochen auf dem Franziskusweg und habe dort mehr als 400 km zurückgelegt. Das ist auch schon alles an Statistik, was ich bieten kann. Wie schwer mein Rucksack war, weiß ich noch immer nicht, d.h. wir werden es alle nie erfahren. Und nun kann ich ja meiner Freude freien Lauf lassen: es hat wirklich alles bestens geklappt, es gab keine gröberen Zwischenfälle, ich habe nichts verloren, vergessen, es ist nichts kaputt geworden, mir auch nichts gestohlen worden. Ich hatte keine gesundheitlichen Probleme, ich habe wirklich keine einzige unangenehme Situation erlebt.
Und es gibt jetzt die Fotos der ganzen Reise im Netz, der erste Teil ist hier und hier der zweite.
Es war eine wunderschöne Zeit, an die ich sicher immer gerne zurückdenken werde. Und ich werde so etwas sicher wieder einmal machen, für 2 oder 3 Wochen. Es war vor allem am Beginn sehr befreiend zu wissen, dass eine so lange Zeit vor mir liegt, dass ich mir keinen Stress machen musste. Wenn man nur 2 Wochen hat, dann ist doch der Druck sehr groß, sich ein Pensum vorzunehmen und das dann auch abzuarbeiten, das habe ich bei allen Leuten bemerkt, die ich getroffen habe. Aber grundsätzlich spricht ja auch nichts dagegen, dass man 2 Wochen auf diese Art unterwegs ist – sich die Zeit zu nehmen, die man braucht, dort zu bleiben, wo es einem gefällt. Das halte ich wirklich für wesentlich, wenn man so was macht.
Aber ich habe auch bemerkt, gegen Ende zu, dass es jetzt genug ist. Es waren mehrere Gründe:
Erstens wollte ich irgendwo auch wieder einmal bleiben, einen Platz haben, wo ich mich einrichten konnte. Das hätte nicht „mein Zuhause“ sein müssen, ich hätte nicht unbedingt nach Graz müssen, ich wäre auch in Rom geblieben, wenn es diese Möglichkeit gegeben hätte. Aber ich sehnte mich nach einen festen Platz, wollte nicht mehr dieses Leben aus dem Rucksack.
Zweitens hatte ich so viel gesehen und erlebt, so viele Eindrücke gesammelt, dass die ersten schon wieder in Vergessenheit gerieten. Ich hatte das Gefühl, ich könnte nichts Neues mehr aufnehmen, bevor nicht das Alte sich gesetzt hatte.
Und drittens, wie Peter es in einem Mail treffend ausgedrückt hat, es kann auch das Abenteuer zur Gewohnheit werden und ich hatte das Bedürfnis wieder einmal etwas anderes zu machen.
Einige Dinge aber sind mir noch wichtig zu sagen:
Zum Thema „unterwegs sein“ und „einfaches Leben“
Unterwegs zu sein, das ist für mich auch so etwas wie ein Lebensmotto, auch wenn es nicht immer eine geografische Bewegung sein muss. Ich sehe es eher so, dass wir unterwegs sind, so lange wir leben und dass alles was wir tun, nur eine Durchgangsstation und keine Endstation ist und das ist mir auch wichtig. So wie es Hermann Hesse in einem anderen Gedicht ausdrückt: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen, …“
Ich muss immer wieder einmal etwas Neues anfangen, wenn ich das Alte so gut kenne, dass es nicht mehr spannend ist. Aber ich habe immer auch Leute beneidet, die über Jahre auch im wörtlichen Sinn unterwegs, nämlich auf Reisen, waren. Ich weiß jetzt, dass ich sie nicht beneiden muss, weil das doch auf die Dauer nicht meine Lebensweise ist.
Dass ich mit dem auskommen kann, was in einen Rucksack passt, das hatte ich schon vorher gewusst und ich hatte auch keine Probleme damit. Ich habe nicht zuviel mitgehabt, wenn man von solchen Dingen wie Schmerztabletten absieht, oder davon, dass ich einen Pullover mit hatte, den ich nur als Kopfpolster verwendet habe, weil mir nie kalt war (allein aus diesem Grund wird mir dieser Sommer unvergesslich bleiben 🙂 ). Aber diese Dinge muss man eben auch dabei haben zur Sicherheit. Es gab auch nichts, was ich wirklich dringend zusätzlich gebraucht hätte, einige Dinge habe ich mit der Zeit aber schon vermisst. Am meisten tatsächlich eine Waschmaschine, aber – ja ich muss es gestehen – auch Computer und Internet find ich schon sehr angenehm und möchte nicht auf Dauer ohne sie leben.
Und dieses „einfache Leben“ ist halt auch nur möglich durch die technischen Entwicklungen, durch diese neuen, leichten Materialien, die auch noch schnell trocknen, dass ich das wirklich alles mit mir tragen konnte. Es ist also kein „einfaches Leben“ im dem Sinn, dass es ein „zurück zur Natur“ wäre. Es ist eine Einfachheit, die nur durch den technischen Fortschritt möglich wird.
Und damit sind wir schon beim nächsten Thema: Zelt
Selbstverständlich wäre es lustiger gewesen, mit leichterem Gepäck zu wandern. Aber, wie schon einmal erwähnt, für eine so lange Zeit hätte ich es mir einfach nicht leisten können, jeden Tag für die Übernachtungen zu zahlen. Immer wieder haben auch Leute gemeint, man könne doch auch im Freien schlafen und wenn es regnet würde man auch immer irgendwo Schutz finden. Das stimmt und ich habe es auch schon gemacht, für 1 oder 2 Tage. Für so lange Zeit kann ich mir das nicht vorstellen, dass ist dann doch etwas zu viel des Nomadenlebens für mich. Ziemlich am Beginn der Wanderung hat mich eine Frau, die an mir ihre Englischkenntnisse erproben wollte, gefragt, ob mein Zelt mein „house“ oder mein „home“ sei. Ich antwortete damals, es sei beides. Das stimmte wohl auch, aber jetzt denke ich, dass die „Haus-Funktion“ – Schutz vor Regen, ein Dach über dem Kopf – tatsächlich vieles übernehmen kann und dass die „Heim-Funktion“ wichtiger war. Das Zelt bot mir bei diesem Unterwegssein, bei dieser ständigen Veränderung und bei dem ständigen Offensein für Neues, das ich ja grundsätzlich als sehr bereichernd erlebt habe, die notwendige Kontinuität, die ich auch brauchte. Wo immer ich auch war, ich hatte am Abend meine kleine Welt, die ich mir immer gleich einrichten konnte, wo ich sicher und zu Hause war. Die letzten Tage, jede Nacht in einem anderen Zimmer, haben wesentlich dazu beigetragen, dass ich begann, mich nach Ruhe zu sehnen.
Zum Thema Gelassenheit
Ich habe immer Menschen bewundert, die so ein bisschen „abgeklärt“ sind, nicht alles so wichtig nehmen, sich nicht über alles gleich aufregen. Ich weiß nicht, vielleicht war es ja auch die Hitze, die mich in den letzten Tagen zusätzlich ein wenig antriebslos gemacht hat, aber auf jeden Fall wurde mir klar: dieses „die Dinge auf sich zu kommen lassen“, dieses ein wenig Fatalistische, Phlegmatische entspricht nicht meinem Naturell. Ich will nicht, wie die Buddhisten das nennen, mit lösen vom „Anhaften“ an diese Welt, ich will nicht über den Dingen stehen, ich will mitten in dieser Welt leben, mit allen meinen Sinnen und mit allen meinen Fähigkeiten. Ich will mich begeistern für etwas, auch auf die Gefahr hin, dass ich dann enttäuscht werde, ich will mich freuen und ich will traurig sein, ich will mich aufregen und ärgern über Dummheit und Ungerechtigkeit, denn nur dann habe ich die Motivation und Energie etwas dagegen zu tun. Die christliche Botschaft ist: „Ich bin in die Welt gekommen, damit ihr das Leben in Fülle habt“. Das Leben in Fülle, das ist sicher nicht Anhäufung von Reichtum, Besitz oder Kapital, das ist aber auch nicht etwas, das wir erst irgendwann, vielleicht, nach unserem Tod bekommen werden, falls wir in diesem Leben „brav“ sind und kuschen. Das Leben in Fülle, das heißt, alles zu haben was man braucht, damit man seine Fähigkeiten und Möglichkeiten voll entwickeln kann, in dieser Welt. Das Leben in Fülle für alle, das ist etwas wofür es sich zu leben, zu arbeiten und zu kämpfen lohnt. Ein wenig Gelassenheit kann dabei ja sicher auch nicht schaden. (Solche Gedanken kommen mir im Kloster, wenn ich nicht schlafen kann 😉 ).
Ich habe im Zug in einer Zeitschrift etwas gelesen, dass mir gut gefallen hat: Zuversicht, das ist, wenn man davon überzeugt ist, dass die Welt nicht bleibt, wie sie ist, sondern dass sie besser werden kann. Das, denke ich, entspricht mir eher als Gelassenheit und ich füge noch hinzu, dass man auch selbst etwas beitragen kann und soll, damit sie besser wird. Zuviel Gelassenheit ist da möglicherweise eher hinderlich.
Zum Thema Angst
„coraggiosa“ (= mutig) – das war eines der Worte, die ich am öftesten hörte, wenn die Leute sahen, dass ich allein unterwegs war. Auch in Österreich werde ich immer wieder gefragt, ob ich denn keine Angst hätte. Ich habe keine und ich wüsste wirklich beim besten Willen nicht, wovor ich Angst haben sollte. Ich halte mich nicht für mutiger als andere Menschen, im Gegenteil, ich glaube, dass ich ziemlich ängstlich bin. Aber vielleicht habe ich vor anderen Dingen Angst als andere Menschen. Ich fürchte mich vor Kühen und Pferden (allerdings nicht so sehr), vor Autos, egal ob ich draußen oder drinnen bin – die Überquerung römischer Straßen war sicher das Gefährlichste auf dieser Wanderung. Ich habe Angst davor, die Neugierde aufs Leben zu verlieren, einmal keine Wünsche mehr zu haben, in Gewohnheit zu versinken. Ich habe Angst vor Atomkraft, vor Waffen und Kriegen. Aber ich habe keine Angst vor Menschen und ich habe keine Angst vor der Zukunft, im Gegenteil, ich freue mich auf sie. Und ich komme einfach nicht auf die Idee, daran zu denken, dass hinter jedem Busch jemand sitzen könnte, der mir ans Leben will – vielleicht hab ich einfach zu wenig Phantasie um davor Angst zu haben. Aber dass mir kein Wildschwein begegnet ist, darüber bin ich schon sehr froh ;-).
Ich hatte z.B. gehört und gelesen, dass es in der Toskana immer wieder Zwischenfälle mit verwilderten Hunden gäbe und vor der Abfahrt überlegt, ob es eventuell gut wäre, zur Sicherheit Pfefferspray mitzunehmen. Da ich selbst es eh nicht gekauft hätte, bekam ich es zum Abschied geschenkt. Ich muss zugeben, dass das Ding immer ganz unten im Rucksack lag, ich wäre mir blöd vorgekommen, es griffbereit herum zu tragen und ich bin auch nie in eine Situation gekommen, wo ich es hätte brauchen können. Und ich bin froh, dass ich es im Rucksack gelassen habe, unbewaffnet fühle ich mich wohler und mag ich mich lieber.
Zum Thema Sprache
Es ist mir erst auf dieser Reise bewusst geworden, wie wichtig die gesprochene Sprache für mich ist, um mich als Person auszudrücken, darstellen zu können, wie wichtig sie für meine Identität ist. Mir ist das noch nie aufgefallen, weil ich ja sonst immer viel reden muss. Vorträge, Workshops, Referate, Teambesprechungen, Berichte, Gruppen moderieren – da habe ich mir oft gewünscht einmal nicht reden zu müssen, sondern nur zuhören zu können. Man sagt ja, dass man sich auch ohne Sprache verstehen und ausdrücken könne, etwa durch Musik oder Bewegung oder was immer. Vielleicht haben andere Menschen Fähigkeiten, mit denen sie das können, ich weiß jetzt, dass ich es nur durch die Sprache kann, durch reden, verstehen und verstanden werden. Und dass es mich in meiner Identität und Persönlichkeit beschneidet, wenn ich das nicht kann. Schreiben, z.B. ein Tagebuch, ist dafür kein Ersatz, Papier ist zwar geduldig, aber es antwortet nicht. Das war wirklich eine der prägendsten Erfahrungen für mich in dieser Zeit, neben der mit der Gelassenheit, die ich dann doch gar nicht unbedingt wollte.
Zur Erklärung: In Ligurien und auf etwa der ersten Hälfte des Franziskusweges war ich in Gegenden unterwegs, wo es wirklich kaum Touristen gab und wenn dann nur italienische. Es gab auch kaum jemanden, der englisch reden konnte und ich hab eben wirklich nur italienisch geredet. Nach Ligurien war ich ja bei Niko und Dani, da konnte ich inzwischen wieder deutsch reden. Und dann, etwa ab Gubbio, war ich viel in Städten und auf dieser zweiten Hälfte des Weges waren auch andere Wanderer unterwegs, ich habe fast jeden Tag Deutsche getroffen, oder Holländer, einmal auch Belgier (allerdings keine Österreicher, die ganzen 2 Monate nicht, die kommen anscheinend über die Adria immer noch nicht hinaus). Und dann gab es dort immer wieder auch Italiener, die Englisch oder Deutsch konnten, da war das dann eh kein Problem mehr. Aber dazwischen gab es einmal ein Zeit, wo es mir sehr abging, bis mich Vic, der Schotte, erlöst hat.
Ich habe natürlich viele neue Wörter gelernt, aber um wirklich sprechen zu lernen, war ich zu wenig mit Menschen zusammen. Und eine Ansammlung von Wörtern macht noch keine Sprache. Mir fehlte die Grammatik um sie zu sinnvollen Sätzen zu verbinden und dann waren das meist nicht die Wörter, die ich gebraucht hätte. Ich hatte eher das Gefühl, je mehr ich sagen wollte, desto weniger vernünftige Sätze brachte ich zustande. Am Anfang hatte ich ein kleines Repertoire, aber das beherrschte ich. Wo ich wirklich viel besser geworden bin, ist das Sprachverständnis. Am Sprechen werde ich noch arbeiten bis zum nächsten Mal!
Und zu guter Letzt: Zu diesem Blog
Es hat mir Spaß gemacht, ihn zu schreiben. Es war auch eine Herausforderung, aus den vielen Erlebnissen jene auszuwählen, die ich aufschreiben wollte, die vielen Erfahrungen so zu komprimieren und zusammenzufassen, dass sie für euch nachvollziehbar werden konnten (ich hoffe, zumindest ein bisschen). Aber noch viel mehr Spaß macht es natürlich, wenn man sieht, dass er auch gelesen und dann noch positiv aufgenommen wird (und ein bisschen tut es auch der Eitelkeit gut 😉 ). Damit ihr auch wisst, wie eifrig ihr wart: Es gab bisher 766 Zugriffe auf diesen Blog und daraus und natürlich aus den vielen netten Rückmeldungen, schließe ich, dass er auch euch Spaß gemacht hat und ich sage danke für euer Interesse und für eure Anteilnahme an meinen Erlebnissen.
Ich weiß nicht, was ich jetzt damit machen werde. Wenn ihr Lust habt, aus eigenen Erlebnissen und Erfahrungen zu berichten und zu ergänzen und so was wie ein Austauschforum daraus wird, freue ich mich. Vielleicht gibt’s auch noch einen Bericht aus Paris. Ansonsten werde ich vielleicht meine Vorträge reinstellen, mal schauen. Auf jeden Fall, vergesst nicht, euer Mailabo abzubestellen, falls euch das nicht interessiert.
Für mich beginnt jetzt wieder die Arbeit, an meiner Dissertation und für Attac und ich freue mich darauf, mich wirklich auf Dinge konzentrieren zu können, die mich interessieren und die mir wichtig sind.
Schon am Montag haben wir den nächsten Workshop zu solidarischer Ökonomie, da geht es darum, ev. Projekte in Österreich zu entwickeln. Dann fahre ich nach Paris zum europäischen Attac-AktivistInnen- Treffen. Ich war auch da noch nie und werde 2 Tage länger bleiben, weil ich auch noch ein bisschen was sehen will, ich habe also die Möglichkeit, diese beiden Städte unmittelbar zu vergleichen. Und auch dort kann ich mir einen Wunsch erfüllen, den ich schon seit meiner Schulzeit habe, nämlich einmal in den Louvre zu gehen. Schon seltsam, welche unterschiedlichen Wünsche sich über so viele Jahre halten, während andere Dinge an Bedeutung verlieren, oder neue an Bedeutung gewinnen.
Dann kommt ein Workshop über Diskursanalyse in München, dann wieder die Uni und Vorträge für Attac stehen im Oktober und November auch schon auf dem Programm. Da kommt dann zum Glück auch ein bisschen Geld rein.
Also, auf einen arbeits- und erfolgreichen Herbst! Arriverderci!
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