Nun bin ich also da! Am Ziel? Eigentlich hatte ich ja gesagt, ich habe kein Ziel, aber als ich in Fara di Sabina auf dem Huegel oben stand und dorthin schaute, wo man angeblich Rom sieht (es war zu dunstig, um es wirklich zu sehen), da war ich schon ein wenig stolz, es geschafft zu haben. Auf der anderen Seite ist es wirklich so – es ist nicht das Ziel, wenn ich nicht in Rom waere, waeren die vergagenen Wochen nicht weniger wert. Es war schon die letzten Tage ein eigenartiges Gefuehl, zu wissen, 3 Tage gehe ich noch, 2, und dann: morgen bin ich da. Und das Gefuehl, nicht zu wissen, was denn dann kommt. Wochenlang hatte ich eine klare Aufgabe, Tag fuer Tag, und wenn nicht fuer heute, dann fuer morgen – weiter gehen. Ich brauchte nicht zu ueberlegen, es gab keine Zweifel, das Leben war einfach und hatte einen eindeutigen Sinn – und jetzt, was bleibt davon, was kommt als Naechstes?

Aber natuerlich ist es aufregend in Rom zu sein und zu Fuss hierhergekommen zu sein. Die Gegend, durch die ich zuletzt gegangen bin, heisst Sabina und ruehmt sich, eine aeltere Geschichte als Rom zu haben. Stammen doch, zumindest der Legende nach, alle RoemerInnen muetterlicherseits von Sabinerinnen ab. Und die Spuren der Vergangenheit, der roemischen und der christlichen, sind auch ueberall gegenwaertig.

Zum Beispiel in Santa Maria di Vescovia. Das ist eine Kirche, deren aelteste Teile aus dem 4. Jahrhundert, also noch der Zeit des roemischen Reiches stammen. Daneben gibt es Ausgrabungen der roemischen Stadt Forum Novum und diese beiden Dinge haengen auch eng zusammen. Weil naemlich nicht allzu viel frueher, als die Christen noch verfolgt wurden, einige von ihnen das Pech hatten, gerade waehrend eines roemischen Festes dort vorbei zu kommen und dann gleich zur Volksbelustigung hingerichtet wurden. Sie wurden dann zu Maertyrern erklaert und zu ihrem Andenken wurde die Kirche gebaut.

Oder die Abtei von Farfa. Sie war eine der aeltesten und zu ihrer Bluetezeit eine der groessten und reichsten Abteien Italiens. Dass sie das werden konnte, war aber dem diplomatischen Geschick der Aebte zu verdanken, die sich mit dem Papst und den weltlichen Herrschern gleich gut stellen konnten. Auch Karl der Grosse war hier zu Besuch. Und auch diese Abtei hat nicht nur religioese Bedeutung, sondern hier gibt es auch sehr alte Handschriften, darunter den codex farfensis, sowas wie ein Grundbuch mit genauen Eintragungen ueber Besitzverhaeltnisse, Schenkungen, Kauf- und Tauschakte und viele umbrische Staedte konnten ihre Geschichte daraus rekonstruieren.

Aber ich fang zur Abwechslung wieder einmal chronologisch an. Ich muss nur noch etwas ergaenzen, zu den Staedten, das ich das letzte Mal vergessen habe.

Sie haben noch etwas gemeinsam. In allen gibt es im August grosse Feste, die mindestens eine Woche dauern, in denen die Stadtteile (contrade) eine wichtige Rolle spielen. Ueberall haengen dann die Fahnen mit den Wappen der Stadtteile. Meist geht es um irgendeinen Wettbewerb und immer wird dabei auf eine Legende Bezug genommen. Da wird dann in historischen Umzuegen diese Legende nachgespielt, es gibt regionale Speisen zu essen, regionale Handwerker stellen ihre Produkte aus und es gibt die ganze Woche irgendwelche Auffuehrungen, Zauberer, Strassentheater, Jongleure und Konzerte. Das reicht von traditioneller Volksmusik aus der Region ueber Klassik, Jazz, Weltmusik, bis zu DJs. Immer wieder bin ich in Staedte gekommen, die gerade fuer das grosse Fest geschmueckt wurden, oder wo man noch die Spuren sah. Und auch als ich nach Stroncone kam, nachdem ich den letzten Beitrag ins Netz gestellt hatte, sollte ein solcher historischer Umzug stattfinden, den ich mir anschauen wollte.

Stroncone festlich geschmückt
Stroncone festlich geschmückt

Und es scheint, dass ich mit meinen Bemerkungen ueber das Wetter, es – wie man so schoen sagt – verschrieen habe. Nachmittags kam ein Gewitter, das diesmal nicht gleich wieder aufhoerte, sondern bis nach Sonnenuntergang andauerte. Zum Glueck hatte ich mir ein Zimmer genommen. Nicht wegen des Wetters, im Gegenteil, am Vormittag hatte ich auch die Internet-Wettervorhersage angeschaut und die hatte mir versprochen, dass es nicht regnen wuerde. Es hat sich einfach aus logistischen Gruenden so ergeben, auch wegen des Festes. Der Umzug wurde dann, wegen des Regens, auf den naechsten Tag verschoben. Mit den Festen hab ich kein Glueck, ein Grund mehr, wieder zu kommen.

Am naechsten Tag ging es zum letzten Mal auf einen „richtigen“ Berg und ich wollte unbedingt noch einmal oben uebernachten. Es war auch eine schoene Almwiese oben und ich hatte noch ein Mal Glueck. Die Wolken loesten sich auf und ich konnte eine ruhige Nacht am Berg geniessen. Damals wusste ich noch nicht, dass es die letzte Nacht im Zelt sein sollte. Ein alter Mann, der nach den Kuehen schaute, hat mir noch genau den Weg fuer den naechsten Tag beschrieben und nachdem auch noch 2 verrueckte Motocrossfahrer vorbeigesaust waren, war ich allein – bis auf die Tiere, aber dazu mehr am Ende des Beitrags.

Am naechsten Tag in der Frueh stieg ich nach Calvi dell’Umbria ab. Es war nicht mehr weit, gegen halb elf war ich dort. Dort gab es auch ein Fest – allerdings ein anderes – ein Oktoberfest. Ja, ihr habt richtig gelesen. Die haben eine Partnergemeinde in Bayern und die waren grad auf Besuch und ich wurde von einer Bayrischen Blasmusikkapelle empfangen.

Bayrische Blasmusik in Umbrien
Bayrische Blasmusik in Umbrien

Ich setzte mich einige Zeit auf eine schattige Bank, aber die Stadt war nicht besonders ansprechend, ich fuehlte mich von den 2,5 Std. Abstieg noch nicht ausgelastet, und die Blasmusik, die gerade wieder zu spielen anfing, tat ein uebriges. Ich beschloss, noch weiter zu gehen, irgendwo wuerde sich schon ein Zeltplatz finden. Es war ca. 2 Uhr nachmittags. Als ich zum Stadttor hinauskam und wieder freie Sicht hatte, (auch ein Aspekt: die Stadtmauer bietet zwar Schutz und Sicherheit, hindert aber auch an der Sicht in die Weite, ausser natuerlich man steht ganz oben am Aussichtspunkt aber da wohnten vermutlich die Fuersten) sah ich, dass lauter schwarze Wolken am Himmel waren, besonders Richtung Sueden, wo ich hin wollte. Und waehrend ich noch ueberlegte, was ich machen sollte, begann es auch schon zu donnern. Also doch wieder ein Zimmer. Ich war kaum dort, begann es zu regnen. Um 4 Uhr war es wieder schoen und ich aergerte mich schon, jetzt haette ich gut wieder weitergehen koennen. Einen Stunde spaeter sah ich von meinem Bett aus eine riesige Gewitterwolke in die Hoehe schiessen und um 6 donnerte es schon wieder. Und so blieb es die ganzen letzten Tage. Die Luftfeuchtigkeit ist so hoch und die Schichtung so labil, dass es mindestens zweimal am Tag regnet. Dazwischen ist es heiss, aber alles dampft, so dass nichts mehr wirklich trocken wird. Um 9 Uhr war ich immer schon schweissgebadet, obwohl ich nicht das Gefuehl hatte, dass es heiss war. Im Gegentleil, da ich staendig nass war, wurde es mir im Schatten manchmal fast zu kuehl. Jedenfalls kein Wetter fuers Zelt. Ich habe 3 Naechte in Hotels verbracht, einmal gab es eine Jugendherberge, die war ohnehin eingeplant. Gegen Schluss wurde das mit dem Regen zwar wieder weniger, aber die Feuchtigkeit blieb, auch jetzt noch in Rom.

Als ich am naechsten Tag die Stufen von Calvi hinunterstieg (laut Fuehrer sind es 582), merkte ich schon, dass es immer feuchter wurde. Der Weg fuehrte dann zum naechsten Dorf wieder hinauf und zuerst am Huegelkamm entlang. Die Huegel Latiums empfingen mich mit Morgennebel, nur die Kuppen schauten heraus.

Morgennebel in Latium
Morgennebel in Latium

Solange der Weg oben entlang fuehrte, ging es noch, obwohl es auch schon sehr schwuel war. Dann fuehrte der Weg ins Tal hinunter. Die Luft wurde immer feuchter, das Gras war triefend nass, der Weg matschig. Untern im Tal trieben Maenner mit Hunden Schafe zusammen. Sie hatten Zaeune gespannt und ueberhaupt war es ein riesiger Laerm und Tumult. Ich musste da mitten durch. Die Maenner waren aber freundlich und erklaerten mir, dass dieser Weg nach Tarano fuehre. Das war mir zu dem Zeitpunkt noch ziemlich egal, denn ich wollte nicht lange auf diesem Weg bleiben. Laut Buch sollte ich den Bach ueberqueren und drueben wieder raufsteigen zu einer Strasse am naechsten Huegel oben.

Aber schon das Ueberqueren des Flusses gestaltete sich nicht so einfach. Er war zu tief, als dass ich mit Schuhen durchgehen haette koennen. Das waere ja an sich noch kein Problem. Nur war es hier nicht so gemuetlich wie am Tiber, dass da ein trockener Weg runterfuehrt, da kann man sich hinsetzen, die Schuhe ausziehen, auf der anderen Seite wieder, die Fuesse abtrocknen und Socken und Schuhe wieder anziehen. Hier war alles gatschig, ich konnte den Rucksack nicht abstellen, mich nirgends hinsetzen. Also balanzierte ich auf dem rutschigen Boden mit dem schweren Rucksack und zog mir die Schuhe aus. Nachher stieg ich mit den nassen Fuessen wieder in die Schuhe und ging so weit, bis ich den Rucksack zumindest in nasses Gras stellen konnte und zog mir Socken und Schuhe wieder an.

Dann sollte der Aufstieg beginnen – allerdings lag da ein riesiger umgestuerzter Baum ueber dem Weg. Man kann nicht ueber die Krone eines alten, ausladenden Laubbaumes klettern, jedenfalls nicht, wenn man kein Affe oder ein Eichhoernchen oder Aehnliches ist, und man kann einen Baum auch nicht umgehen, wenn links und rechts des Weges undurchdringliches Gebuesch mit Dornen und Schlingpflanzen ueberwachsen ist. Also das ganze Bachmanoever wieder retour. Und jetzt zeigte sich wirklich das Problem der fehlenden Karte. Wenn man nicht weiss wo genau man ist und wo genau man hinwill und auch nicht schauen kann, ob es Ausweichmoeglichkeiten gibt, ist guter Rat teuer. Jetzt fiel es mir wieder ein – der Weg im Tal, den Fluss entlang, fuehrt nach Tarano. Und Tarano ist zumindest ein Ort, der auch auf der grossen Strassenkarte eingezeichnet ist, wo ich mich wieder orientieren kann. Also gehe ich im Tal weiter, mehr als eine Stunde lang. Es ist, als ob ich durch eine Waschkueche gehen wuerde. Es gibt auch keine Moeglichkeit zu rasten, alles ist nass und gatschig, nirgends kann man den Rucksack abstellen, nirgends kann man sich hinsetzen. Einziger Vorteil: es staubt nicht mehr – aber da war mir der Staub viel lieber, als dieser Dreck, den konnte man von den Schuhen schuetteln, der Dreck bleibt kleben und haengt sich noch an. Und das ist natuerlich auch ein Eldorado fuer Gelsen. Nun fange ich an zu verstehen, warum die Italiener die Staedte auf den Huegeln bauen. In den Alpen ist das Tal die Region, wo das Klima fuer die Menschen am angenehmsten ist, hier ist das offensichtlich nicht so. Beim Gehen ist das natuerlich bloed, weil man immmer, wenn man glaubt, man ist schon „da“, noch auf einen Berg raufsteigen muss.

So war es auch, als ich in Tarano ankam. Aber ich musste nicht einmal ganz hinauf, nur bis zur Strasse. Dort gab es auch Wasser, eine Bar, einen schattigen Platz zum Sitzten und Sonne um meine Schuhe und Socken zu trocknen. Und ich konnte mit Hilfe der Karte und der Beschreibung auch meinen Weg rekonstruieren. Ich hatte nicht einmal einen besonderen Umweg gemacht, war einfach einen parallelen Weg im Tal gegangen und musste jetzte etwas laenger auf einer stark befahrenen Asphaltstrasse gehen. Als ich dann weiterging und auf der Strasse oben war – es war ziemlich genau Mittag, hatte ich das erste Mal an diesem Tag das Gefuehl, nicht in einer Waschkueche zu stehen. Trocken Mittagshitze kann ich viel leichter aushalten, als diese feuchte Schwuele. Gut, dass es keine grossen Hoehenunterschiede mehr gibt, dass die Tagesstrecken nicht mehr lange sind. Ich bewegte mich in diesen Tagen in einer Hoehe zwischen 100 und 300m Seehoehe, mit Ausnahme von Fara di Sabina, das liegt 500m hoch. Ausklang also auch in dieser Beziehung. Gerade vor dem naechsten Gewitter kam ich bei der Unterkunft an.

(Damit keine falschen Vorstellungen entstehen: Auch ein Teil der Abruzzen, der hoechsten Berge Italiens, gehoert zu Latium. Nur sind die halt im Osten, waehrend Rom naeher an der Westkueste liegt. Und um dorthin zu kommen, musste ich wohl oder uebel die Muehen der Ebene auf mich nehmen.)

Das ging auch die naechsten Tage so weiter, von Calvi nach Selci, von Selci nach Poggio Mirteto, von dort nach Fara in Sabina und schliesslich nach Montelibretti. Es gab zwar keine unvorhergesehenen Zwischenfaelle mehr, dafuer war ich immer mehr auf Asphaltstrassen, wenn auch meist auf ruhigen, unterwegs. Und von diesen Strassenlatschern bekam ich jetzt noch Blasen auf den Fuessen, obwohl ich bisher keine einzige gehabt hatte und ploetzlich wieder Muskelkater und Schulter- und Rueckenschmerzen, wie am Anfang. Das ist anscheinend eine ganz andere Art der Belastung fuer den Koerper.

Ich haette natuerlich auch die Moeglichkeit gehabt, das letzte Stueck mit dem Zug zu fahren, ich hatte ja immer gesagt, wenn es mich nicht mehr freut, fahre ich mit dem Zug weiter. Aber irgendwie hatte ich das Gefuehl, das gehoert noch dazu. Von den Bergen gleich in Rom zu landen, waere mir nicht passend erschienen. Ich wollte noch dieses langsame sich Annaehern, diesen Uebergang und Abschluss und ich wollte auch das noch sehen, denn ich wusste, wenn ich es jetzt nicht sehe, hier komme ich sicher nie wieder her. Und die Landschaft ist trotzdem auch schoen. Hier ist nichts mehr braun, alles ist gruen, es blueht noch vieles und sogar auf den abgeernteten Feldern spriesst es wieder gruen. Ich weiss natuerlich nicht, ob das hier das uebliche Wetter ist, aber da alles noch gruen ist, duerfte es doch um einiges feuchter sein. Die Huegel sind nur sanft abfallend und ansteigend, und ueberall oben die alten Doerfer, die Kirchen und Burgen. Und alles ist voller Olivenbaeume.

Und noch etwas gibt es zu ergaenzen, bevor ich zu Rom selber komme. Ich hatte ja geschrieben, wie liebevoll und sorgfaeltig renoviert diese alten Staedte sind. Auch das hat sich geaendert, je weiter ich nach Sueden gekommen bin. Immer mehr Haeuser standen leer, Verputz und Steine broeckelten, es gab kaum noch renovierte Haeuser. In den ersten Städten lebten noch Menschen drinnen, aber auch das wurde weniger. Poggio Mirteto ist eine ziemlich grosse Stadt, das Leben spielt sich allerdings zum Grossteil ausserhalb der Stadtmauern ab. Ich dachte erst, es habe etwas mit der Randlage zu tun und wuerde sich in der Naehe von Rom wieder aendern. Aber das war nicht so.

Fara in Sabina liegt weniger als eine Autostunde von Rom entfernt und ich hatte mich schon darauf gefreut, erstens wegen dem Klima (wie gesagt, es liegt 500m hoch) vor allem aber wegen der Aussicht und es wurde in allen Prospekten immer so euphorisch beschrieben, mit seiner historischen Bedeutung. Das mit der Aussicht stimmt sicher, Fara ist so etwas wie ein Aussichtsbalkon über der Tiefebene des Tiber (ein Mann hat mir erzaehlt, dass einige Deutsche jedes Jahr zu Silvester kommen, um die Feuerwerke zu sehen), das mit der Geschichte muss ich glauben, aber die Stadt selbst war so verwahrlost und tot, dass es fuer mich wirklich erschreckend war, nach allem was ich vorher gesehen hatte. Haeuser stehen leer und verfallen, Geschaefte und Bars sind geschlossen. Es gibt eine Bar, die von einem Ehepaar jenseits des Pensionsalters betrieben wird und ein Lebensmittelgeschaeft einer auch nicht mehr jungen Frau. Wenn die beiden zusperren, ist es wohl aus mit der Stadt.

Die Menschen haben ihre Treffpunkte ausserhalb der Stadtgrenzen, dort gibt es einen Platz mit Baeumen und Baenken, da steht eine Huette, da gibt es zu trinken und Musik und da trifft sich die Jugend, dahin gehen die Muetter mit ihren Kindern und auch die aelteren Menschen sitzen dort beisammen. Innerhalb der Stadtmauern wirkt alles wie ausgestorben. Ich habe keine Ahnung, woran es liegt. Es gibt wohl mehrere Gruende, politsche, wirtschaftliche und auch welche, die in der Mentalitaet der Menschen liegen. Es ist auch sonst alles dreckiger als im Norden, ueberall liegt der Muell und wenn man so die Strasse entlang geht, stinkt es oft erbaermlich. Aber ich denk mir, dass das sicher nicht der einzige Grund ist.

Und in dieser Stadt hat es mich zum Schluss doch noch in ein Kloster verschlagen. Im Fuehrer waren haeufig Kloester als Uebernachtungsmoeglichkeiten angegeben. Ich habe das nie gemacht, erstens weil ich mich nicht wohlgefuehlt haette, aber auch weil es mir vorgekommen waere, ich taeusche etwas vor, was nicht stimmt. Ich habe mich nie als Pilgerin gefuehlt und dann hatte ich ja mein Zelt. In Fara gab es offenbar nur ein Frau, die Zimmer vermietet, die alte Frau an der Bar hatte mir ihre Adresse gegeben – ausserhalb der Stadtmauern. Sie war nicht zu Hause. Ich wartete 2 Stunden, in denen es immer wieder leicht regnete, sie kam aber nicht. Also hab ich schliesslich doch bei den Clarissinnen gelaeutet. Die Frau – eine erstaunlich junge, ich hatte mit ein paar alten Nonnen gerechnet – die mir aufmachte, hatte zwar wenig Freude mit mir, liess mich aber doch hinein. Sie konnte mich auch schwer wegschicken, zu Fuss, um halb sieben Uhr abends. Geschlafen habe ich schlecht, was aber wohl weniger am Kloster lag, sondern daran, dass mir so viele Gedanken durch den Kopf gingen, vor dem letzten Tag meiner Wanderung.

Die Attraktion des letzten Tages war ein Olivenbaum, der angeblich mehr als 2000 Jahre alt und der groesste in Europa sein soll in Canetto. Dann noch ein paar Huegel auf und ab ueber ein paar mehr oder weniger stark befahrene Asphaltstrassen, der unvermeidliche letzte Aufstieg nach Montelibretti, die Busstation mit einer Bar vor der Altstadt. Es blieb gerade noch Zeit fuer eine kurze Runde durch die Stadt. Dann ging es mit dem Bus zum Bahnhof und von dort mit dem Zug nach Rom.

Und diese Stadt ist schon wirklich faszinierend – man kommt aus dem Bahnhof und stolpert schon ueber die ersten alten Steine. Hier wird natuerlich das moderne Leben in – oder besser gesagt neben – alten Mauern auf die Spitze getrieben. Wenn ich mit dem Autobus durch die Stadt fahre, weiss ich nicht, wohin ich zuerst schauen soll, und immer wieder komme ich an Plaetze, wo ich einfach staunend mit offenem Mund stehen bleibe. Es sind ja nicht nur die Reste der roemischen Bauten, sondern auch die grossartigen Bauten aus spaeterer Zeit, die mittelalterlichen Kirchen, die Palaeste, Brunnen und Plaetze aus der Rennaissance und dem Barock.

Ich hab mir natuerlich all die bekannten Dinge angeschaut, das Colosseum, das Pantheon und auch den Petersdom und die vatikanischen Museen mit den grossartigen Werken von Michelangelo, Raffael und wie sie alle heissen. Ich war aber auch im Auslaenderviertel zwischen Bahnhof und Piazza Vittorio Emmanuele (dem groessten Platz Roms und interkultureller Treffpunkt wie bei uns der Augarten) mit den vielen Ramschlaeden, einer grossen Markthalle und vielen auslaendischen Lokalen. Und ich war auf der Tiberinsel, in Trastevere und auf dem Gianicolo, einem Huegel, von dem aus man eine wunderbare Aussicht auf Rom hat. Und am Abend auf den Plaetzen, wo das Leben der Stadt ins Freie verlegt wird.

Piazza Santa Maria in Trastevere
Piazza Santa Maria in Trastevere

Dieser Reichtum an monumentalen Bauten hat aber auch eine andere Seite, sind sie doch zu ihrer Zeit immer als Machtdemonstration der jeweils Herrschenden entstanden. Rom war zu vielen Zeiten ein Zentrum der Macht und die Prunkbauten der wenigen Reichen haben die Jahrhunderte ueberlebt, waehrend von denen, die sie bauten, vom „normalen Volk“ kaum etwas in die Geschichte eingeht. Und je mehr Geld in die Wohnungen und Prestigeporjekte der Maechtigen und der Kirche eingeht, desto weniger bleibt fuers Volk. So sind diese grossartigen Bauten halt oft auch die Kehrseite von menschenunwuerdigen Lebensbedingungen der Masse und loesen dementsprechend ambivalente Gefuehle aus.

Wenn ich im Colosseum stehe, dann muss ich einerseits die Groesse und Schoenheit, das technische Geschick und die Langlebigkeit dieser Bauten bewundern, aber da ist auch das Wissen um das viele Blut, das hier geflossen ist. Bei den Feiern, die oft mehrere Wochen dauerten, wurden Tausende von Menschen und Tieren getoetet. Nach der Niederschlagung des Aufstandes von Spartacus wurden 6000 Menschen entlang der Via Appia gekreuzigt, als abschreckendes Beispiel. Und dann frage ich mich, was war das fuer eine Kultur, was waren das fuer Menschen, die einerseits solche Werke, in vielen Bereichen geschaffen haben, die heute noch Gueltigkeit haben, die vor mehr als 2000 Jahren eine demokratische Regierungsform hatten und als eine der Saeulen der europaeischen Kultur gelten und gleichzeitig solche Grausamkeiten nicht nur begangen, sonder zelebriert und genossen haben?

Und diese Ambivalenz gilt natuerlich auch fuer die zweite Saeule abendlaendischer Kultur, die hier praesent ist, das Christentum. Diese Zurschaustellung von Macht und Reichtum wie sie im Vatikan geuebt wird, im Zentrum einer Religion, deren Gruender sich als Diener der Menschen sah und Besitz und Machtpositionen ablehnte! Was als Friedensbotschaft gemeint war, fuehrte ebenso zu Krieg und Gewalt. Und alle die grossen Kuenstler konnten sich auch nur entfalten, weil sie die Wuensche ihrer Auftraggeber erfuellten. Wer weiss, wass Michelangelo und Raffael gemalt, gebaut haetten, wenn sie nicht Instrumente im Machtspiel der Paepste gewesen waeren? Oder haetten sie dann ueberhaupt nicht als Kuenstler arbeiten koennen, wenn sie keine reichen Auftraggeber gefunden haetten?

Aber trotz dieser Einschraenkungen, es hat mir sehr gut gefallen und ich habe die Zeit genossen. Ich koennte mir gut vorstellen, hier zu leben. Denn es gilt ja auch: wo es viel Macht gibt, gibt es auch viel Widerstand und damit kann ich mich schon eher anfreunden.

Und wie schon angekuendigt, um den Kreis zum ersten Eintrag zu schliessen, zum Abschluss eine Tiergeschichte (und natuerlich, damit ihr seht, wie mutig ich inzwischen geworden bin 😉 )

Da war ich also auf der Hochflaeche des Berges angekommen, hatte meinen Zeltplatz gefunden und machte mich daran, die Umgebung zu erkunden. In einiger Entfernung waren Kuehe auf der Wiese, es gab einige Steinhuetten, auch einen Schweinestall und einige Schweine. Mein Zeltplatz war auf jeden Fall kein Weideplatz, es war weder Kuh- noch Pferdemist dort und auch keine Spuren zu sehen. Aber auf ihrem Weg von einem Weideplatz zum anderen konnte es schon sein, dass die Kuehe dort vorbei kamen. Das passierte dann auch am spaeteren Nachmittag. Und natuerlich weiss ich, dass man Kuehe mit Stoecken treiben kann, wenn man sich traut. Schliesslich bin ich auf dem Land aufgewachsen und mein Vater war einmal Senneer. Nur sind mir diese grossen Viecher halt einfach nicht ganz geheuer. Diesmal beschloss ich aber, mich zu trauen. Als die Kuehe kamen suchte ich alle meine Sachen, die ich wie ueblich verstreut hatte zusammen, bewaffnete mich mit meinen Wanderstoecken, setzte mich auf meinen Rucksack und schaute den Kuehen ganz streng entgegen. Und brav machten sie einen Bogen um die Stelle, auf der ich mich niederlassen wollte. Kuehe schlafen ja normalerweise auch in der Nacht, falls sie aber doch von einem naechtlichen Wandertrieb erfasst werden sollten, war ich fest entschlossen, mein Territorium auch in der Nacht zu verteidigen. Deshalb legte ich meine Stoecke vor den Zelteingang. Nach Sonnenuntergang, es begann schon daemmrig zu werden, sah ich ploetzlich ein braunes Hinterteil aus einem Bromberstrauch schauen, das sicher keiner Kuh gehoerte. Ich erschrak – doch noch ein Wildschwein? Das haette ich hier nicht mehr erwartet. Vorsichtig schlug ich einen Bogen zu einer Stelle, von der ich besser sehen konnte und wo auch ein Baum in der Naehe war, auf den ich notfalls raufklettern haette koennen. Erleichtert sah ich, das war kein Wildschwein, das war ein ganz gewoehnliches Hausschwein, allerdings ein ziemlich grosses und vor allem ein ziemlich dreckiges. Nun habe ich keine Angst vor Schweinen, aber ich wollte auf keinen Fall, dass dieses dreckige Vieh sich an meinem Zelt zu schaffen macht und ich hatte keine Ahnung, wie man Schweine davon abbringt, Dinge zu tun, die sie tun wollen und wie sie dann darauf reagieren. Da fiel mir deine Geschichte ein, Erna, von der Alm in Grundlsee und den Schweinen, die es so gerne mochten, wenn man ihnen vorsang. Wenn Schweine musikalisch sind, dann musste ich mit meinem Musiktalent jedes Schwein in die Flucht schlagen koennen, wenn ich zu singen begann. Belustigt begann ich zu uerberlegen, welches Lied denn wohl am besten geeignet sei. Ich musste es nicht ausprobieren, das Schwein zog es vor, vor Einbruch der Dunkelheit in den Stall zurueckzukehren. Auch die Kuehe kamen erst am naechsten Tag als ich schon aufbruchsbereit war. Trotzdem bekam ich in der Nacht Besuch: es war schon finster als ich ploetzlich Pferdehufe klappern hoerte und da bogen sie auch schon um die Ecke. Vermutlich waren sie von meinem Zelt genau so ueberrascht und schlugen einen Bogen. Auf der Seite wo der Abhang lag liefen sie etwa 30m am Zelt vorbei, sodass ich ihre Umrisse gegen den Nachthimmel sehen konnte. Ein grosses Pferd und ein ganz kleines Fohlen. Sie liefen ein paar Mal am Rand der Wiese hin und her, spielerisch. Grazioes sah das aus und fast ein bisschen unwirklich im Mondlicht, dann liefen sie weiter. In der Frueh kam es mir fast vor wie ein Traum, ich bin mir aber sicher, dass sie wirklich da waren. Ich habe keine Ahnung was sie zu diesem naechtlichen Ausflug trieb. Aber vielleicht ist es bei den kleinen Fohlen so wie bei den kleinen Kindern, dass sie nachts einfach manchmal nicht schlafen wollen, sondern lieber spielen und nette Pferdemamis erfuellen ihnen dann diesen Wunsch.

Und damit schliesst sich auch der Kreis zu meiner letzten bezahlen Arbeit, ein guter Uebergang also von der Zeit der grosssen Freiheit zu einer Zeit neuer Arbeit, wenn auch vorerst unbezahlter. Und jetzt freue ich mich erst mal auf eine Waschmaschine, auf ein ordentliches Fruehstueck und auf Brot, das man auch nach zwei Tagen noch Essen kann. Wenn ihr das lest, sitze ich vermutlich schon im Zug Richtung Norden. Auf ein baldiges Wiedersehen!

5 Gedanke zu “Rom! – Und dann?”
  1. Ich bin sehr stolz auf Dich und sehr froh, dass Du heil und um vieles reicher zurückkehrst! Bin auch schon gespannt wie es Dir in und mit Graz geht!
    Alles Liebe für die Zeit zum Ankommen!!!

    Bis bald,
    Alles Liebe und Bussis,
    Nicky

  2. liebe brigitte, was du mit dieser wanderung für dich gemacht hast, kann ich nur ungefähr abschätzen, aber mir hast du mit den berichten viel vergnügen gemacht. danke dir!
    einen guten einstieg wünscht dir erna

  3. Danke für die Begeisterung, die ihr mit mir teilt – und sorry für die viele Fehler! Ich habe jetzt erst gesehen, dass viele Dinge, die ich eigentlich ausgebessert hatte, wieder falsch drinnen sind. Ich bin in dieser Jugendherberge dauernd aus dem Internet rausgeflogen, wenn ich meine Korrekturen speichern wollte, aber eigentlich hatte ich mir gedacht, ich hätte es doch so einigermaßen geschafft. Ich mach das aber noch, für die Zukunft 😉

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