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Die fatale Leerstelle im politischen Diskurs

Samuel Schirmbeck schreibt im Standard über den „fatalen Umgang der Linken mit dem Islam“. Das Ganze ist ein undifferenzierter Rundumschlag gegen „die“ Linken und „den“ Islam, der jenseits jeder Diskutierbarkeit liegt. Er enthält allerdings eine wirklich fatale Leerstelle, die meiner Meinung nach symptomatisch für derzeitigen politischen Diskurs in Europa ist. Sie drückt sich in folgendem Satz aus:

Anders als der einzelne reaktionäre Deutsche, Amerikaner, Chinese, dem ich aus dem Weg gehen kann, hat der der Islam mehr Macht als diese alle zusammen.

Wenn ich die Ereignisse in Deutschland verfolge, so sind die Reaktionären bzw Rechtsradikalen (der Begriff kommt in dem Artikel bezeichnenderweise gar nicht vor) auch dort keine Einzelfälle mehr, denen mensch nach Belieben aus dem Weg gehen kann. In Österreich jedenfalls sitzen sie in der Regierung, haben die Macht, Medien und Gerichte umzufärben, und nahezu jeder, vom Mindestsicherungsbezieher bis zur Unternehmerin sind von der entsprechenden Politik betroffen, da ist nix mehr mit aus dem Weg gehen. (Btw, Deutschland bekommt auch gerade einen Rechtsaußen als Staatssekretär im Innenministerium …) Hier bei uns in Europa werden Gesellschaften gerade nach diesen Prinzipien umgebaut, die Herr Schirmbeck „dem“ Islam unterstellt:

… gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau, gegen die Gleichheit aller Menschen ob ‚gläubig‘ oder ‚ungläubig‘, … gegen die Vermischung von Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung, gegen Homosexuelle, gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, gegen Gedankenfreiheit.

Indem Politiker*innen – und das geht inzwischen quer durch fast ganz Europa und fast alle Parteien – die Bedrohung unserer „Werte“ und unseres Lebensstandards nur auf die „Anderen“ projizieren, die Bedrohung nur als von „Außen“ kommend darstellen, kann sie hinter diesem Schutzschild Europa in einer Weise umbauen, die all den Werten, die wir angeblich gegen „den“ Islam verteidigen müssen, zutiefst widerspricht und ein viel zu großer Teil der Menschen lässt sich davon offensichtlich täuschen und mitreißen. Die Bedrohung, die gerade von innen kommt, wird immer noch heruntergespielt – bis es zu spät ist?

Derzeit gibt es in Österreich etwa 700.000 Muslime, von denen viele ursprünglich aus Bosnien kommen und – wie man so schön sagt – „gut integriert“ sind. Sicher weniger als die Hälfte davon kann man einem fundamentalistischen Islam zurechnen, das wären dann weniger als 5%. Die FPÖ bekam bei den letzten Nationalratswahlen fast 26% der Stimmen, in manchen Gemeinden deutlich mehr als die Hälfte. Der Islam mag global gesehen mehr Macht haben, als die Rechten, für Europa ist er jedoch im Moment sicher nicht die größte Bedrohung.

Schirmbeck wirft der Linken vor, mit der Toleranz gegenüber dem Islam missachte sie die Menschenrechte. Was ist aber dann mit der Flüchtlingspolitik, die in Europa gerade gemacht wird – unter österreichischer Präsidentschaft mit tatkräftiger Unterstützung von Leuten wie Orban oder Salvini – auch die verletzt doch zutiefst Menschenrechte. Warum polemisiert Schirmbeck nicht dagegen?

Gerne würde ich mich mit Herrn Schirmbeck für Menschenrechte und Demokratie einsetzen, ich würde aber lieber bei den Bedrohungen beginnen, die aus dem Inneren Österreichs, Deutschlands und Europas kommen. Weil erst dann hätten wir ein Recht, die Menschenrechtsverletzungen anderer anzuprangern.

Wobei dann immer noch zu fragen ist, was genau eine Menschenrechtsverletzung ist. Im Standardtext ist das „Kopftuch“ ein wesentlicher Aspekt davon, weil es angeblich die Freiheit der Frau beschränke. Nun ist es vermutlich so, dass ein Teil der Frauen das Kopftuch freiwillig trägt und ein anderer Teil durch sozialen Druck. Die Frage ist, ob das Kopftuch dann wirklich das Hauptproblem dieser Frauen ist oder der soziale Druck nicht noch andere, weniger sichtbare, aber schlimmere Auswirkungen hat, denen man aber gar nicht mehr nachgeht, wenn man das Kopftuch zum Symbol aller Unterdrückung macht. Weiters wäre zu fragen, ob denn Frauen in unserer ach so liberalen und fortschrittlichen Gesellschaft nicht auch sozialem Druck ausgesetzt sind und nicht alles was sie tun „freiwillig“ machen. Und letztlich stellt sich für mich die Frage ob ein Kopftuchverbot durch den Staat denn wirklich soviel menschenrechtskonformer ist, als ein Kopftuchgebot durch eine bestimmte Community. Kleidervorschriften sind für mich nicht gerade der Inbegriff liberaler Gesellschaftspolitik.

Eine wirklich emanzipatorische Politik dagegen wäre es, Mädchen und Frauen – muslimische und andere – so zu stärken, dass sie sich dem sozialen Druck widersetzen können, vom Kindergarten an. Aber genau dafür werden von der österreichischen Regierung gerade die finanziellen Mittel gekürzt anstatt erhöht. Gerade das Frauenbild von FPÖ, AfD und wie sie alle heißen, entspricht viel eher dem eines fundamentalistischen Islam als dem von Schirmbeck so hochgehaltenen Werten des aufgeklärten Westens. Der österreichische Innenminister ist mit dem konkreten und laut ausgesprochenen Plan angetreten, die Errungenschaften der 68er Bewegung zurück abzuwickeln. Bitte Herr Schirmbeck, könnten Sie hier ebenso rigorose Einwände erheben?

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