Das Recht auf Commons war historisch eine Einschränkung des Rechtes auf ausschließendes Privateigentum und eine Begrenzung der Macht des Königs und bedeutet entsprechend heute eine ebensolche Begrenzung der Macht des Staates, bzw. der Regierungen. Was das konkret heißt, darüber hatten wir eine sehr spannende Diskussion bei meinem Workshop bei der Attac Sommerakademie. Es ging darum, wie man Energie als Commons organisieren kann. Ich hatte einige Bespiele mitgebracht, für Städte den Gesetzesentwurf des Berliner Energietisches, für den ländlichen Raum ein gut gelungenes Windkraftprojekt in Bayern, den Windpark Streu & Saale und ein Negativbeispiel aus Niederösterreich. Dort hat sich eine Bürgerinitiative gegen den geplanten Windpark gebildet und Eva Maria, eine Vertreterin der Bürgeriniative, war dabei und berichtete darüber. Unser Ziel war zu zeigen, dass auch der Widerstand gegen ein ohne Einbeziehung der Bevölkerung und ohne Regionalbezug, rein aus dem Profitmotiv heraus gegründetes, Windenergieprojekt eine Praxis des Commoning darstellen kann.
Einige Grundaussagen:
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Nicht jedes Erneuerbare-Energie-Projekt ist sinnvoll und schon gar nicht ökologisch und sozial nachhaltig.
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Es gibt nicht die ideale Lösung, wie Energie als Commons genutzt werden kann, das ist von der jeweiligen konkreten Situation abhängig.
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Nicht immer ist eine Genossenschaft die Lösung, die Mitbestimmung, Kosten und Nutzen am gerechtesten verteilt. In großen Städten keine ein von der Stadtregierung geführtes Energieunternehmer mit ausreichenden Mitbestimmungsmöglichkeiten für BürgerInnen und einem Verkaufsverbot eine bessere Lösung im Sinne der Commons sein.
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Und schließlich, wenn BürgerInnen sich gegen ein solches Projekt wenden und konstruktive Gegenvorschläge machen, sich also um die Energieversorgung ihrer Region zu kümmern beginnen, dann ist das auch ein Energie-Commons.
Eva Maria berichtet aus dem niederösterreichischen Projekt: ein adeliger Waldbesitzer, dem große Teile des Waldes gehören, plant die Errichtung von 14 über 200m hohen Windrädern auf dem Kamm des Hügelzuges, ohne vorherige Information oder gar Beteiligung der Menschen, die davon betroffen sind. Die Argumente der GegnerInnen sind zahlreich: es handelt sich um eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Österreichs, in dem es noch eine große Artenvielfalt gibt. Die Bevölkerung hat eine starke Beziehung zu diesem Wald, betrachtet ihn als „ihren“. Die Region selbst ist weitgehend bereits mit erneuerbarer Energie versorgt, der im Windparkt erzeugte Strom würde in andere Regionen verkauft, was auch den Bau einer leistungsfähigen Stromleitung nach sich ziehen würde. Große Teile des Waldes müssten gerodet werden. Und schließlich sind Windräder mitten im Wald ein Sicherheitsrisiko, weil diese immer wieder einmal Feuer fangen und ausbrennen. Im Zuge der Kampagne gegen die Windkraftanlage hat sich die Beziehung der Menschen zu „ihrem“ Wald noch vertieft, sie wollen sich darum kümmern, dafür Verantwortung übernehmen, und sie wollen als Betroffene ein Mitspracherecht für die Energieversorgung in ihrer Region, sie verhalten sich als Commoners.
Da kommt ein Einwand. Renate, Architektin, in der Planungsabteilung beim Magistrat Wien beschäftigt, fragt nach: inwiefern sind die Menschen dort „betroffen“? Welche konkreten Nachteile gibt es für sie?
Eva Maria meint, da sei natürlich der Schattenwurf und auch die Lärmbelästigung, aber die wesentlichen Gründe, warum man dagegen sei, seien eben die Verschandelung der Landschaft (die Dinger sollen 1,5 mal so hoch wie der Stephansturm werden), die Zerstörung des Waldes und vor allem, das Gefühl, dass über ihre Köpfe hinweg und ohne Rücksicht auf die lokale Situation entschieden worden sei.
Das, so Renate, sei zwar legitim, aber es gebe keine rechtliche Handhabe, um solche Ansprüche durchzusetzen, es sei also im legalen Rahmen nicht behandelbar.
Dieses Argument führt uns dann von der Energiefrage weg, zu viel grundsätzlicheren Diskussionen über die Position von Commons im bestehenden Rechtssystem, zu den Unterschieden zwischen dem britischen Rechtssystem und dem römischen Recht, das in Kontinentaleuropa gilt, zu sich im Lauf der Zeit verändernden Eigentumskonzepten und darüber, wie man innerhalb des bestehenden Rechtssystems Commons schaffen kann. Also:
Die Anerkennung des Rechtes auf Commons in der Magna Carta durch König John II im Jahr 1215 bedeutete eine Einschränkung der Rechte und Privilegien des Königs und der adeligen Grundbesitzer. Sie mussten die Zugangsrechte der Bauern, die kein eigenes Land hatten, zu ihrem Grund erlauben und die dazugehörigen Regelungen, die aus Gewohnheitsrechten stammten, die älter waren als das königliche Recht, anerkennen. Die Commonsregelungen waren ein Bereich, der von der Rechtssprechung des Königs ausgenommen war. Im britischen Recht gilt bis heute, dass Rechte von den Herrschenden anerkannt werden müssen und nicht zugeteilt oder gewährt werden. Auch der König / die Königin steht unter dem Recht.
Bei uns hingegen ist die Macht beim Staat, der den BürgerInnen Rechte gewährt. Das ist eine grundsätzlich andere Einstellung und darum ist es bei uns auch so, dass wir eher versuchen, die Regierenden um etwas zu bitten, oder bestenfalls von ihnen etwas zu fordern, als solche Dinge als unser selbstverständliches Recht zu sehen, das die an der Macht respektieren müssen.
Ursprünglich war also in der Magna Carta neben den grundlegenden bürgerlichen und politischen Rechten dieses Recht auf den Zugang zu Commons festgeschrieben, das die Verfügungsmacht über das Privateigentum für Landbesitzer einschränkte. Die Magna Carta ist zwar erhalten geblieben, hat aber im Lauf der Zeit ihre Bedeutung geändert. Das Recht auf Privateigentum gilt heute als eines der Grundrechte, daher wird mit der Magna Carta heute der Schutz des Privateigentums legitimiert.
Früher, vom Mittelalter bis vor etwa 100 Jahren war es überall, auch bei uns, so, dass gemeinsam genutztes Land, „common land“, „Allmende“, die „Gmein“, die „Tratte“ oder der „Anger“ einen eigenen Rechsstatus hatten. Dann wurden diese Grundstücke entweder in Privateigentum, manchmal in das Privateigentum von Genossenschaften, oder in Gemeindeeigentum übergeführt. Sie verloren dadurch die spezifischen Qualitäten der Commons, nämlich allgemeine Zugänglichkeit, kollektive Nutzung und Unveräußerbarkeit. Derzeit gibt es bei uns keine Rechtsform, die einer Commons-Institution entsprechen würde. Private Grundeigentümer können über ihr Land nahezu unbeschränkt verfügen.
In England gibt es nach wie vor einen Rechtsstatus des „common land“. Wird solches Land für Bautätigkeiten verwendet, muss anderes dafür zur Verfügung gestellt werden. Über einen solchen aktuellen Fall anlässlich der olympischen Spiele habe ich vor kurzem hier berichtet.
Und nun kommen wir zu unserer konkreten Frage des niederösterreichischen Windprojekts zurück. Der Besitzer des Waldes darf auf seinem Grundstück Windräder bauen, dafür muss er zwar eine Betriebsgenehmigung bekommen, aber er braucht keineswegs die Menschen fragen, die im Umkreis dieser Anlage wohnen. Diese haben rechtlich nur dann die Möglichkeit, Einspruch zu erheben, wenn sie konkret persönlich betroffen sind, also einen individuelle Schaden davon haben. Der Einsatz für „höhere“ Werte, also die Erhaltung des Waldes und der Artenvielfalt, das Landschaftsbild oder einfach ihr Anspruch, über Dinge in ihrem Lebensumfeld mitreden zu können, seinen rechtlich nicht einklagbar, so Renate. Sie seien zwar legitim, aber eben nicht legal.
Etwas Ähnliches, erinnere ich mich, gab es vor einigen Jahren in Bezug auf das Streikrecht. Der EuGH hatte damals in einem arbeitsrechtlichen Streitfall – ich glaube es ging um ein Fährunternehmen im Baltikum – entschieden, dass ArbeiterInnen nur dann ein Streikrecht zusteht, wenn sie persönlich einen Nachteil erleiden. Solidaritätsstreiks hingegen seien illegal. Solche Gesetze, bzw. derartige Rechtssprechung tragen dazu bei, Menschen zu individualisieren und gegeneinander auszuspielen, sie fördern das Beharren auf individuellen Vorteilen und Privilegien und kriminalisieren Solidarität und das Einstehen für Anliegen, die uns alle betreffen und über rein individuelle Vorteile hinausgehen. Sie sind ist ein Musterbeispiel dafür, wie man Commoning rechtlich erschweren oder sogar verhindern kann.
Aus Sicht einer Magistratsangestellten ist das aber natürlich ein berechtigter Standpunkt, sie kann nur dort die Interessen der BewohnerInnen vertreten, wo es auch eine rechtliche Grundlage dafür gibt. Aus Sicht der Commoners hingegen ginge es genau darum, diese Art des Privateigentums, die absolute Verfügungsmacht über Dinge bedeutet, die auch für andere Menschen wichtig sind, diese rechtliche Verhinderung von Commoning, in Frage zu stellen und dabei vielleicht durchaus auch manchmal bewusste Rechtsübertretungen in Kauf zu nehmen.
Renate sagte aber auch noch etwas anderes, nämlich: das Ziel sollte es sein, dass das, was legitim ist, auch legal wird. Und: es sollte sozusagen „rechstfreie“ Bereiche geben, die für Selbstorganisation und Selbstverwaltung Raum bieten. Das gefällt mir wieder gut, damit sind wir nämlich wieder bei den Commons angelangt. Die legitimen Ansprüche der Commoners auf Mitgestaltungsmöglichkeiten ihrer Umwelt in positives Recht umzuwandeln, also legal zu machen, und Räume für Selbstorganisation rechtlich zu garantieren, würden nämlich genau jene Beschränkung des Eigentumsrechtes und der Staatsmacht bedeuten, die für Commons notwendig wären. Es würde bedeuten, das Rechtssystem Commons-freundlicher zu machen.
Als gutes Beispiel dafür fällt uns der „Shared Space“ ein. Gerald erzählt, dass es in der Schweiz „Begegnungszone“ heißt und so wie es ein Verkehrszeichen gibt, das eine „Fußgängerzone“ ausweist, gibt es auch eines für „Begegnunszonen„, wo alle Verkehrszeichen entfernt werden, die Straßenverkehrsordnung sich sozusagen selbst aufhebt, und ein rechtsfreier Raum entsteht, in dem Menschen aufeinander achten und ihre Regelungen selbst finden müssen. Es gibt zwar schon einige solche Zonen auch in Österreich, angeblich gibt es aber keine entsprechende gesetzliche Regelung dafür.
Und Renate hat auch noch die Idee, das bestehende Recht einmal daraufhin zu durchsuchen, wo es denn vielleicht noch Reste von Commons-Regelungen enthält, wie zum Beispiel das Forstrecht, das noch viele Einschränkungen des Privateigentums enthält, wie Wegerechte, Holzrechte, das Recht für den Eigenbedarf Beeren zu sammeln, usw. Ein interessanter Vorschlag – irgendwelche Ideen?
Solange wir aber unser Rechtssystem nicht Commons-freundlicher gemacht haben, bleibt uns nichts anderes übrig, als die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um Commons zu machen. Und die gibt es natürlich. Denn einerseits, wenn Landbesitzer auch das Recht haben, ihr Land nach Belieben zu nutzen, so verbietet ihnen doch niemand, andere dabei mitreden oder mitgestalten zu lassen – so wie es etwa bei der Windkraftanlage Streu & Saale geschehen ist. Denn nicht alle bestehenden Rechte auszunutzen, sondern freiwillig darauf zu verzichten, das kann zwar rechtlich nicht eingefordert werden, deshalb ist es aber noch lange nicht illegal. Und schließlich kann man auch das bestehende Recht, das Privateigentum privilegiert, dazu nutzen, Commons zu schaffen, also das Rechtssystem „hacken“. Etwa durch eine Creative-Commons-Lizenz, wo das Urheberrecht dazu genutzt wird, Inhalte frei zu geben oder so wie das Mietshäusersyndikat, das mit Hilfe einer GmbH Häuser dem Immobilienmarkt entzieht.