Hier nun der dritte Teil des Berichtes vom BUKO Seminar mit dem Titel „Lokal, glokal, utopistisch – Wirtschaft für die Welt von morgen“. (Hier Teil 1 und Teil 2 des Berichtes).

Die letzte Aufgabe des Seminars war, uns in eine selbst definierte zukünftige Epoche zu versetzen, in eine Zeit, die dem von uns angestrebten „Guten Leben“ schon näher gekommen ist. Aus der Beschreibung dieser Gesellschaftsform sollten wir dann – sozusagen im Rückblick – erzählen, wie der Transformationsprozess abgelaufen war, was ausschlaggebende Anlässe, Erfahrungen, sozusagen Meilensteine dafür waren, dass der Kapitalismus überwunden wurde.

Zwei Gruppen haben sich schließlich gefunden – die einen ließen sich von der Zentrifuge 30 Jahre in die Zukunft schleudern (die energiesparende und schweißtreibende Variante) und entwarfen die Vision einer Gesellschaft mit nachhaltiger Ressourcennutzung, hatten also einen Schwerpunkt auf ökologischen Fragen und die Änderung von Lebensstilen und Konsumverhalten.

Ich nutzte die Gelegenheit etwas vorzuschlagen, was mich schon einige Zeit beschäftigt: nämlich mit Christian Siefkes gemeinsam zu überlegen, wie in einer Gesellschaft, die auf Peer Ökonomie aufbaut, die Frage der Care-Tätigkeiten und die Ressourcenfrage gelöst werden können und uns vorzustellen, wie eine solche Gesellschaft funktionieren könnte. So ganz überzeugt bin ich nämlich nicht davon, dass die coolen jungen Softwarefreaks wirklich die Arbeit der Kinderbetreuung und Altenpflege so sehr schätzen, dass die dadurch gewonnene Reputation eine gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft bringen würde. Denn die Wertschätzung alleine reicht ja nicht, auch heute wird immer wieder betont, wie wichtig solche Tätigkeiten für die Gesellschaft seien – gleiche Teilhabechancen eröffnen sie trotzdem nicht. Warum sollte das in einer auf Peer-Produktion aufbauenden Gesellschaft anders sein? Und wie kann sicher gestellt werden, dass die Menschen mit Sorgeaufgaben ausreichend Zeit haben, um sich an anderen wichtigen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen? Ich denke, auch die Peer-Produktion braucht eine Care-Ethik, so meine Argumentation.

Und die Tatsache, dass Computer und Internet eine große Menge an Rohstoffen und Energie verbrauchen, ist einer der wesentlichen Kritikpunkte an der Peer-Produktion. Es ging also auch um die Frage, muss eine zukunftsfähige Gesellschaft auf Technologie verzichten? Müssen wir uns in Agrargesellschaften zurückverwandeln oder können wir die technischen Errungenschaften so adaptieren, dass wir mit den vorhandenen Ressourcen auskommen? Ja genau, ich will auch in der schönen neuen Welt nicht auf meinen Computer verzichten ;-). Aber nicht nur zum Privatvergnügen, die neuen Medien und Technologien bieten ja auch viele Chancen für kollektive Entscheidungsfindung, für Demokratisierung von Wissen und Information.

Christian war einverstanden und in unserer Gruppe fanden sich also diejenigen ein, die technologische Entwicklung und Nachhaltigkeit nicht zwingend als Widersprüche sehen. Dementsprechend nutzten wir die energieaufwändigere Methode und ließen uns ins Jahr 2062 beamen :-).

Dort angekommen machten wir uns einmal reihum daran, zu beschreiben, wie die Menschen dort ihr Leben organisieren. Wie in einem Puzzlespiel brachten alle ihre Beobachtungen ein, schließlich hat bei so einer Reise in eine fremde Kultur doch jede und jeder einen eigenen Blick. Bald nach der Ankunft haben wir bemerkt: die Umstellung ist abgeschlossen, wir sind in einer Gesellschaft gelandet, die ausschließlich auf Peer-Produktion basiert, es gibt kein Geld mehr, keinen Austausch über einen Markt und keine Lohnarbeit. Da kam schon der erste Einwand: das kann doch nicht sein – die Chinesen geben doch die Rohstoffe sicher nicht gratis her? Erste Erkenntnis: eine Peer-Produktion kann nur funktionieren, wenn es sie auf der ganzen Welt gibt, nur dann können die Ressourcen nach dieser Logik genutzt werden.

Dann die Frage der Produktion. In dieser Gesellschaft ist Technik nicht naturzerstörerisch. Die Produktion der lebensnotwendigen Dinge erfolgt in geschlossenen Kreisläufen. „Permakultur auf Allmenden“ lautet das Motto, und auch im technischen Bereich funktioniert es. Wenn die Entwicklung von Technologien von den Bedürfnissen der Menschen ausgeht und von den vorhandenen Ressourcen, dann entstehen auch ganz andere Technologien, als wenn Erfindungen vom Profitmotiv getrieben sind, das können wir hier sehen. Es werden langlebige, reparierbare Produkte hergestellt und von mehreren Menschen gemeinsam genutzt. Dass jeder alles selber haben muss, das kommt den Menschen hier ganz komisch vor und ziemlich unpraktisch. Es gibt auch Rohstoffe aus nachwachsenden Materialien, die für uns Zeitreisende ganz neu sind. Die Verwendung der nicht erneuerbaren Rohstoffe stimmen die Länder untereinander ab.

Wobei – „Länder“ ist hier nur mehr ein geografischer Begriff, denn im Jahr 2062 gibt es keine Nationen, keine Staaten in unserem Sinn mehr, nur noch Verwaltungsregionen.

Arbeitsteilung gibt es immer noch, aber es ist leicht, in einen anderen Beruf zu wechseln, einmal etwas Neues zu versuchen, seinen Neigungen nachzugehen.

Und – so stellen wir befriedig fest – nicht nur der Nationalismus ist passé, auch die Geschlechterrollen spielen keine Rolle mehr. Woher, so die bange Frage, beziehen denn die Menschen dann ihre Identität? Da fällt mir ein: ich habe vor kurzem erst einen Vortrag von Arno Gruen gehört, in dem er davor warnte, Identität mit Identifizierung zu verwechseln. Identität bedeutet nicht, sich mit irgend einer Gruppe oder einer Führungspersönlichkeit identifizieren zu müssen, sondern seine eigene Persönlichkeit voll entfalten zu können.

Die Gesellschaft in 50 Jahren ist selbstverständlich keine homogene Masse, individuelle Entwicklung, sprachliche und kulturelle Vielfalt sind erwünscht. Es ist allen bewusst, dass sie voneinander abhängig sind, die Menschen haben gelernt, trotz der Verschiedenheit friedlich miteinander umzugehen.

Auch die Demokratie hat sich weiter entwickelt. Abstimmungen erfolgen übers Internet, was größtmögliche Partizipation ermöglicht. Eine Voraussetzung für all diese Dinge sind Bildung und Kommunikation, das sind zwei wesentlichen Säulen der Peer-Gesellschaft, in der wir hier gelandet sind und die Menschen haben auch ausreichend Zeit dafür. Bildung heißt hier natürlich nicht mehr, auswendiggelerntes, vorgegebenes Wissen möglichst 1:1 zu reproduzieren, sondern es bedeutet, lernen zu dürfen, was mensch will, es geht um eine Bildung, die Menschen in die Lage versetzt, selbst zu denken und sie ermächtigt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Durch eine Kommunikation auf Augenhöhe wächst das Verständnis füreinander und es ist möglich, die Bedürfnisse und Tätigkeiten so aufeinander abzustimmen, dass alle genug haben und die natürlichen Ressourcen nicht übernutzt werden.

Die Frage der Pflege- und Erziehungstätigkeiten? Die sind natürlich ganz anders organisiert als heute. Es gibt gar nicht mehr diese getrennten Bereiche. Keine eigenen „Aufbewahrungsanstalten“ für Kinder, Jugendliche, Alte oder Behinderte, nicht diese Abgabe der Verantwortung für Care-Tätigkeiten an die Kleinfamilie. Die Menschen können sich kaum noch erinnern, dass es eine Zeit gab, in der Menschen davon abgehalten wurden, sich an der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums zu beteiligen. Für ein Gutes Leben braucht es doch das Wissen, die Erfahrung, die Kreativität aller Menschen! Alle können nach ihren Möglichkeiten an der gesellschaftlichen Produktion teilhaben, sie dabei zu unterstützen, so dass auch sie sich optimal entfalten können, ist Teil des alltäglichen Lebensprozesses, nicht ein abgetrennter Aufgabenbereich.

Ja, natürlich, so könnte das alles gehen. Aber dafür müssten wir alle ganz anders ticken. Eine schöne neue Welt zu denken, das ist uns gar nicht schwer gefallen. Uns zu überlegen, wie wir dorthin gekommen sind, das war schon schwieriger und die Zeit reichte auch nicht aus. Einige Dinge waren uns aber schon klar:

Die Welt des Jahres 2062 entspricht nicht der Vision, mit der wir 2012 gestartet sind. Gesellschaftliche Entwicklungen sind nicht auf dem Reißbrett oder vom Schreibtisch zu planen, weil sich mit jedem Schritt der Veränderung eben auch die Ausgangsbedingungen für den nächsten Schritt ändern und daher die volle Entwicklung nicht vorhersehbar ist. Weil es nach jedem Schritt neue Chancen aber auch neue Gefahren und Sackgassen gibt. Diesen Prozess uns vorzustellen hat die Zeit nicht mehr ausgereicht.

In einem Schnelldurchgang habe ich es doch noch versucht, zu skizzieren. Also:
Je mehr alternative Projekte entstanden sind und je mehr Menschen Erfahrugen damit gemacht haben, desto mehr sind an dem Punkt angelangt, wo sie die herkömmlichen Praktiken einfach nicht mehr mitmachen wollten. SchülerInnen und StudentInnen sind einach nicht mehr in die Schule und Uni gegangen, weil sie bemerkt haben, dass sie in den Peer-Produktionsprojekten viel interessantere und brauchbarere Dinge gelernt haben. Die Menschen sind einfach nicht mehr zur Arbeit gegangen, nachdem sie erlebt haben, wie selbstbestimmtes Arbeiten funktionieren kann. Und sie haben sich nicht mehr damit begnügt alle vier Jahre ein Kreuz auf dem Stimmzettel zu machen, als sie Liquid Democracy kennen gelernt hatten.

Bei dieser Vorstellung entstand dann doch noch die Frage, ob es denn möglich sei, eine soziale Transformation herbeizuführen, wenn wir alles ablehnen, was die benutzen, die das derzeitige System aufrecht erhalten. Sie werden ihre Macht und die Ressourcen nicht freiwillig abgeben. Auch darauf haben wir keine Antwort gefunden.

Ich fand es interessant, mich mit anderen über unsere Vorstellungen vom Guten Leben auszutauschen und ich würde dieses Gedankenspiel gerne weiter führen, mehr Zeit dafür haben, diesen Übergang zu imaginieren – wie geschieht es, dass Menschen aufhören, Dinge zu tun, die schädlich für alle, aber anscheinend notwendig zum Überleben sind? Wie können wir aus diese Handlungslogik ausbrechen?

Klar ist, die Veränderung von Menschen und Gesellschaft kann nur wechselweise und in kleinen Schritten passieren. Wir, als Menschen wie wir heute sind, können die Gesellschaft wie sie in 50 Jahren sein wird, nicht denken und schon gar nicht leben. Es braucht dafür auch andere Menschen, die wir erst werden müssen. Und die Frage nach der Care-Ökonomie und die Ressourcenfrage, die sind natürlich für uns heute wichtig, aber aus einer Perspektive der Peer-Ökonomie sind schlicht die Fragen falsch gestellt.

Die feministische evangelische Theologin Dorothee Sölle hat es so ausgedrückt: „es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden“.

Aber auch Jura Soyfer hat in seinem Lied vom einfachen Menschen Ähnliches gesagt:

Menschen sind wir einst vielleicht gewesen
Oder werden’s eines Tages sein,
Wenn wir gründlich von all dem genesen.
Aber sind wir heute Menschen? Nein!

und weiter:
Soll der Mensch in uns sich einst befreien,
Gibt’s dafür ein Mittel nur allein:
Stündlich fragen, ob wir Menschen seien?
Stündlich uns die Antwort geben: Nein!

Wir sind das schlecht entworfne Skizzenbild
Des Menschen, den es erst zu zeichnen gilt.
Ein armer Vorklang nur zum großen Lied.
Ihr nennt uns Menschen? Wartet noch damit!

3 Gedanke zu “Die Zeitreise”
  1. danke, brigitte, für dein unermüdliches informieren.

    wir haben neulich in der inhaltsgruppe arbeiten/tätig sein versucht,
    „notwendige (notwendende) arbeit“ in augenschein zu nehmen und zu sammeln, was uns dazu einfällt. dabei ist eine diskussion entstanden, ob dann die menschen das arbeiten, was sie möchten und wozu sie lust haben, oder ob es äußere notwendigkeiten gibt, die eine arbeit einfordern, die auch gemacht werden muss, wenn grade die lust dazu nicht vorhanden ist. beispiele waren die landwirtschaft und der betrieb komplexer systeme wie z.b. ein eisenbahnnetz.
    habt ihr zu diesem thema auch phantasiert und wie war eure meinung dazu? das würde mich sehr interessieren.

    und im übrigen schicke ich herzliche grüße
    erna

  2. Nein, dazu hatten wir nicht genug Zeit. Wie gesagt, ich würde es wirklich interessant finden, sich einen Tag Zeit dafür zu nehmen, sowas ganz konkret durchzuspielen und sich auch zu erlauben ein bisschen zu träumen.

    Aber noch wichtiger finde ich die Frage, wie es geschehen kann, dass Menschen bewusst aufhören, dieses destruktive System zu reproduzieren, also aufhören zu funktionieren.

    Andererseits können wir heute wirklich nicht abschätzen, wie Menschen sich in einer solchen Gesellschaft verhalten würden.

  3. Ein Schritt in diese Richtung könnte das Informationsgeldsystem sein. Das Geld in diesem System ist nicht wirklich Geld, denn es ist kein Tauschmittel. Die meisten Dinge für den täglichen Bedarf sind schon von Anfang an kostenlos. Gehobene Güter (z.B. Oberklasselimousine, Kunst, Dinge die zum Leben nicht so wichtig sind, usw.) muss man bezahlen. Jedoch wird bei der Bezahlung das Geld gelöscht, und nicht weitergegeben. Geld verdient man durch jegliche Form von Arbeit, auch Schüler verdienen mit ihrer Ausbildung ihr Geld.

    Das System wird so gestaltet, dass alles was im Überfluss vorhanden ist, kostenlos sein wird. Mit der Zeit wird immer mehr im Überfluss vorhanden sein und somit kostenlos. So häufen sich die Beträge auf den Konten immer mehr an, bis man sie irgendwann überhaupt nicht mehr braucht. So hätte die Gesellschaft ganz langsam den Weg in eine Welt ohne Geld geschafft. Hier eine Beschreibung dazu:

    http://www.informationsgeld.info/informationsgeld1.html

    Unbedingt auch das Forum beachten, sonst wird es schwierig das Ganze zu verstehen:

    http://www.informationsgeld.info/forum.html#/news/

    Meine Meinung dazu: Das System hat sehr viel Potential. Man wird es evtl. schon bald in kleinen Schritten einführen, so dass man noch normales Geld nutzt, aber auch Informationsgeld. So wird sich das System immer mehr ausdehnen 🙂

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