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Macht und Ohnmacht

Eigentlich wollte ich ja was Anderes schreiben, aber wieder einmal waren es die Morgennachrichten, die nach einem Kommentar rufen. Zwei Hauptmeldungen nacheinander (im Morgenjournal vom 23. Juni)  zeigten so deutlich die verfahrene Situation, die scheinbare Ausweglosigkeit aus aktuellen Problemen.

Die erste: Die Welt fordert ein zielstrebiges Vorgehen von Präsident Obama gegen die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, er müsse dort endlich Durchsetzungskraft beweisen. Man kann Obama sicher vieles vorwerfen, aber nicht, dass er keine Wunder vollbringen kann. So tragisch es ist, mittlerweile ist klar geworden, dass es offensichtlich niemanden auf dieser Welt gibt, der technisch in der Lage ist, dieser Katastrophe ein Ende zu setzen, da hilft keine Machtdemonstration, auch nicht von Obama.

Worum es gehen kann ist also, die Folgen zu bearbeiten. Und hier bleibt unklar, was von Obamas Maßnahmen erwartet wird – die finanzielle Abgeltung der entstandenen Schäden oder dass die Börsenkurse der Ölfirmen wieder steigen? Das eine Ziel würde dem anderen vermutlich entgegenstehen. Was dabei überhaupt ausgeblendet wird: dass die Umweltschäden und die sozialen Schäden durch den Wegfall der Lebensgrundlagen durch keine noch so hohe Geldsumme abgegolten werden können.

Und wie üblich wird auch wieder nach individuellen Schuldigen gesucht. Und die gibt es natürlich. Manager, die befahlen, mit der Förderung fortzufahren, obwohl sie wussten, dass dieses Teil defekt war, korrupte PolitikerInnen und lasche Kontrollorgane. Aber gesamt gesehen war es Zufall, dass diese Katastrophe genau jetzt und dort passierte und genau BP traf. Dass so etwas passieren kann, liegt vor allem am enormen Druck des Kapitals, das Profit fordert und vom Öl abhängig ist, am unerschütterlichen Glauben daran, dass wir mit unserer Technik die Natur beherrschen können und an der engen Verflechtung von Politik und Ölwirtschaft. Das trifft ja sogar für Österreich zu wie wir gerade sehen. Die Eröffnung einer diplomatischen Vertretung in Aserbaidschan (trotz der obskuren politischen und menschenrechtlichen Situation) dient einzig und allein dem besseren Zugang der OMV zur Pipeline Nabucco. Dieser Unfall hätte jede Ölfirma und alle ölfördernden Länder treffen können – und er kann auch jederzeit wieder passieren.

Das einzig Vernünftige was Obama machen kann und auch möchte, nämlich den Ausstieg aus der fossilen Energie vorantreiben und ein Moratorium für Tiefseebohrungen, wird im Parlament verzögert und verwässert, bzw. vom Gerichtshof aufgehoben.

Hier wird die Ohnmacht der menschlichen Technik gegenüber der Natur ebenso deutlich, wie die eines Politikers gegenüber machtvollen Interessen und Organisationen. Hier wird von einem Politiker verlangt, was er nicht leisten kann.

Die nächste Meldung bezog sich auf den umgekehrten Vorgang: da geben PolitikerInnen ihre Verantwortung an die „Zivilgesellschaft“ weiter. Sven Gigold, viele Jahre Koordinator für das internationale Attac-Netzwerk, jetzt Abgeordneter der deutschen Grünen im europäischen Parlament, wünscht sich von der Zivilgesellschaft Dossiers darüber, wie das Finanzsystem gerettet werden könnte. Weil sich die ParlamentarierInnen einer Flut von Lobbyisten der Finanzindustrie gegenüber sehen, die sich gegen jegliche Regulierungen aussprechen und das natürlich mit guten „wissenschaftlichen“ Argumenten belegen können, werden dringend auch Gegenargumente benötigt – und die soll jetzt die „Zivilgesellschaft“ heranschaffen.

Sven Gigold, der jahrelang in den sozialen Bewegungen tätig war, sollte es besser wissen, er sollte die Widersprüchlichkeit des Begriffes „Zivilgesellschaft“ kennen und die Probleme, denen sich Teile dieser gegenüber sehen.

„Die Zivilgesellschaft“ gibt es nicht, zumindest nicht in der Form wie sie häufig verstanden wird als Bereich in dem BürgerInnen und Bürger aktiv werden können, unabhängig von Wirtschaft und Staat. Nun sind war aber alle nicht unabhängig, weder von der Wirtschaft noch vom Staat, im Gegenteil, die Abhängigkeit vom Wirtschaftssystem bestimmt zu einem großen Teil unser Leben und auch unsere Möglichkeiten uns politisch einzubringen und sie bestimmt auch unsere Interessen. Das heißt, dass es innerhalb der Zivilgesellschaft genau so unterschiedliche Interessen gibt, wie in der Politik, dass die Idee der Zivilgesellschaft, die mit einer Stimme spricht, eine Illusion ist, die die realen Machtverhältnisse ausblendet.

Zur Zivilgesellschaft gehören genau so auch die Industriellenvereinigung, die Interessensvertretungen von Banken, die Lobbyisten und die Thinktanks, die diese Dossiers liefern. Gewerkschaften, meint Sven, sollten sich mehr engagieren, die sind aber ebenfalls so sehr mit dem System verflochten, dass sie es auch nicht ändern können, ohne sich selbst zu gefährden.

Bleibt noch der Bereich der NGOs und der sozialen Bewegungen. Verglichen mit der Finanzkraft der Banklobby ist es geradezu lächerlich, sich von ihnen ein ernsthaftes Gegengewicht zu erwarten. Das zeigt die Problematik der Art des „neuen Regierens“ in der EU auf, diese Bestrebungen, die Zivilgesellschaft mit einzubeziehen. Was ja auf den ersten Blick gut klingt, aber doch zu einem gewissen Grad von gemeinsamen Interessen dieser Zivilgesellschaft ausgeht und auch von gleichen Zugangsmöglichkeiten. Auch wenn die EU Kommission manchmal kritische NGOs und Gruppen selbst finanziert, um auch Gegenpositionen zu erhalten, so ist das doch ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Großteil der NGOs kann es sich einfach nicht leisten, sich hier einzuklinken, knappe finanzielle Mittel, wenig Zeitressourcen ehrenamtlicher MitarbeitereInnen (eine Konsequenz der Eingebundenheit ins Wirtschaftssystem) und Sprachprobleme bei der internationalen Kooperation stellen für die meisten unüberwindliche Hindernisse dar.

Und das Zynische an der Sache: Seit Jahren gibt es die Menschen, die erstens darauf hingewiesen haben, dass dieses Wirtschafts- und Finanzsystem notwendigerweise zur Krise führen wird. Man hat ihre Stimme nicht gehört, nun erwartet man von ihnen, dass sie die Wunderlösung für die Probleme aus dem Hut zaubern. Seit Jahren gibt es zweitens Menschen, die auf die Problematik des Lobbying hinweisen und mehr Transparenz und Zugangsmöglichkeiten für NGOs fordern, auch da hat man nicht hingehört und beschwert sich nun, dass es nicht passiert. Und auch jetzt gibt es schon Vorschläge für eine Reform des Finanzsystems, aber die schaffen es offensichtlich nicht, sich Gehör zu verschaffen.

Da ja die Wirtschaftstheorie, die uns in diese Situation hineinmanövriert hat, beinahe flächendeckend auf der ganzen Welt gelehrt wurde – und auch noch wird -, sich nur wenige Menschen auf universitäterer Ebene mit Kritik und Alternativen beschäftigen konnten, ein Großteil der inhaltlichen Arbeit ehrenamtlich oder in prekären Verhältnisssen geleistet wurde, ist es schon ziemlich unverschämt, diese jetzt plötzlich einzufordern – anstatt auf die Stimmen aus der Zivilgesellschaft zu hören die es schon gibt, weil eben diese nicht dem Standard entsprechen, den man sich von Seiten der Politik von der „Zivilgesellschaft“ erwartet: mit gut vorbereiteten Dossiers an Verhandlungstischen Platz zu nehmen und in angemessenen Worten Vorschläge für die Systemrettung zu machen.

Die Teile der Zivilgesellschaft, denen diese Möglichkeit nicht offen steht, sprechen längst, sie melden sich zu Wort bei Streiks und Demonstrationen in Griechenland, Spanien, Italien und in vielen anderen Ländern. Beim Klimagipfel in Kopenhagen, wo man sie ausgesperrt hat. Ihre Forderungen sind klar und sind ein deutlicher Gegenpol zu den Dossiers der Finanzlobby: „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ (ja, ich weiß, das ist natürlich sachlich nicht richtig, aber das verstehen trotzdem alle) – und „wir brauchen keine Reformen, wir brauchen einen Systemwandel!“ Wir müssen die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme  zusammendenken, anstatt an Reformen fürs Finanzsystem basteln und wir müssen vor allem die Nord-Süd-Verhältnisse mitdenken. Und wir sind nicht neugierig auf die Lösungen, die diejenigen uns jetzt vorschlagen, die die Krise verursacht haben. Wir brauchen nicht mehr vom Gleichen, wir brauchen etwas ganz Anderes.

Diese Stimmen wollen die Politiker nicht hören, sie werden denunziert und kriminalisiert, als gewalttätig, als AnarchistInnen oder gar in die Nähe terroristischer Vereinigungen gerückt. Lieber Sven, du solltest wissen, dass auch das die Zivilgesellschaft ist – und dass das ihr wichtigster Teil ist, wenn es um soziale Veränderungen geht. Du solltest deine KollegInnen dazu bringen auf diese Menschen zu hören, auf ihre Ängste, ihre Bedürfnisse, aber auch auf ihre Vorschläge und ihre Ideen und Praktiken, die sie schon anwenden, anstatt auf Dossiers zu warten. Die Menschen, die es an die Verhandlungstische in Brüssel oder sonstwo, wo sich die Mächtigen der Welt treffen, schaffen, sind so in des System verstrickt, dass sie bestenfalls kosmetische Änderungen erreichen können. Macht ist auch in der Zivilgesellschaft ungleich verteilt – die Erfahrung von Ohnmacht kann zu Resignation genau so führen, wie zu Gewaltausbrüchen. Das zu bedenken zumindest stellt eine Anforderung an alle Mächtigen dar.

3 thoughts on “Macht und Ohnmacht

  1. Ich möchte der Genauigkeit halber fragen, ob Lobbying- und Interessensorganisationen wie die Industriellenvereinigung (allgemein: Industrie- und Unternehmerverbände) nicht auch NGOs zugerechnet werden?
    (so sie die Kriterien wie auf Wikipedia angegeben erfüllen)

    Ich finde es zwar wichtig darauf hinzuweisen, dass es _die_ Zivilgesellschaft im Sinne von Interessensgleichheit nicht gibt. Allerdings würde ich den Begriff des Gemeinwohls davon abgrenzen, der darauf hinzielt, allen Menschen gleichermaßen materiellen Wohlstand und soziale Einbindung zu garantieren. Dieser Begriff macht den Unterschied zwischen Lobbyingorganisationen wie Attac oder Greenpeace einerseits und solchen wie dem European Round Table of Industrialists andererseits. Die Idee der Konkurrenz zwischen solchen Akteuren mit absolut ungleichen Chancen und finanziellen Ressoucen an Orten wie Brüssel ist absurd.

  2. Klar sind das NGOs und müssen als solche eben der Zivilgesellschaft zugerechnet werden.

    Was mir wichtig wäre ist, dass man eben nicht nur die „braven NGOs“, also auch Attac und Greenpeace und AI als Gesprächspartner ernst nimmt, soweit sie gut ausgearbeitete Positionen haben und diese auch in das hegemoniale Denksystem und die dazugehörige Sprache einbinden können – was ich für sehr wichtig halte, – sondern dass eben auch die Protestbewegungen, die Sans Papiers, das Climatejustice Movement, HausbesetzerInnen, usw. wichtige und für soziale Veränderung notwendige Teile der Zivilgesellschaft sind. Dass auch Streiks und Demonstrationen von Politikern ebenso ernst genommen werden sollten, wie ausgefeilte Dossiers, weil sie eben Instrumente sind, die diesem Teil der Zivilgesellschaft angemessener sind. Diese werden aber meist außerhalb dieses Feldes angesiedelt, weil sie die Spielregeln nicht einhalten und daher das System in Frage stellen. Von der Idee der Zivilgesellschaft her, kann nur der dazugehören, der innerhalb der Spielregeln bleibt.

    Entweder müssen wir den Zivilgesellschaftsbegriff ausweiten und auch die Protestbewegungen einbeziehen, oder – und das würde ich eigentlich besser finden – ihn gar nicht verwenden und stattdessen von sozialen Bewegungen sprechen. Wenn man ihn so unreflektiert verwendet wie in diesem Fall, dann wird er auf jeden Fall problematisch.

  3. nun, das würde ich nicht so schnell und pauschal sagen, dass eine interessensvertretung wie die iv auch der zivilgesellschaft zuzurechnen sei. das hielte ich nicht gerade für ausgemacht.

    wenn wir das genauer betrachten und diskutieren kommen wir wahrscheinlich schnell zu dem ersten ergebnis, dass das sowohl vom begriff/konzept der „zivilgesellschaft“ abhängt als auch von der iv.

    ersteres ist vl. noch die banalere einschränkung. der begriff der zivilgesellschaft ist diskutiert und theoretisch fundiert und das aber mit – wenig überraschend – unterschiedlichen erklärungen, ableitungen, differenzierungen und schwerpunkten. (werde nie vergessen, wie ein sich als links verstehender gewerkschafter den chinesischen staat als zivilgesellschaft bezeichnet hat, weil dort partei, regierung und volk ja eins wären. und ja, der hat das sowohl ernst gemeint als auch einiges theoretisches wissen rund um den begriff und die begriffsgeschichte gehabt.)

    das andere kommt mir schwieriger vor, die iv. zuerst einmal ein verein. dann eine interessensvertretung. 3500 zahlende mitglieder, halt nicht einzelpersonen sondern organisationen. und eigentlich nicht organisationen (organisationsgebilde) nach unserem alltagssprachgebrauch sondern unternehmen und damit eigentlich die eigentümer; also kapitalisten. das vereinsziel ist klar. ökonomischer vorteil für die mitglieder.
    (das problem: das könnten wir für die gewerkschaften und ihre mitglieder auf den ersten blick auch sagen; oder für eine genossenschaft, einen reiseclub usw.)

    worauf ich hinaus will (zwischendurch festgehalten): wenn wir eine „nichtregierungsorganisation“, einen verein, automatisch der zivilgesellschaft hinzuzählen und das also nur an solchen formalkriterien festmachen, dann wäre es einfach, zu einfach die zugehörigkeit zur zivilgesellschaft zu „faken“.
    ja, jede ausgelagerte, von staat, kommune oder land abhängige pseudo autonome institution könnte dann auf zivilgesellschaft machen.

    (da ist noch eine zwischenbemerkung angebracht, denke ich: auch der begriff vom staat – rangierend zwischen verwaltungswissenschaftlich bis marxistisch spielt hier im hintergrund wohl eine gewichtige rolle)

    worauf ich hinaus will, es gehört wohl meines dafürhaltens auch die reale funktion (die eigentliche funktion für das gesamtsystem) in betracht gezogen, in der frage/beantwortung, ob z.B. die IV (oder z.B. die INSM oder die Bertelsmann Stiftung oder die Heinrich Böll Stiftung oder das Renner Institut oder oder oder …) zur zivilgesellschaft zu zählen sind.

    .. oder sinnvoll(!) dazu zu zählen sind.

    iv ist klar. auf der formalen ebene eine interessensvertretung. nutzen und aufgabe zumindest seit 2000 auch funktionierend: gewinnmaximierung. und das ist noch mal was anderes als ökonomische vorteile – auch – im blick zu haben.
    welche zivilgesellschaftlichen organisationen/initiativen haben sonst gewinnmaximierung (der kern der aufgabe eines privatwirtschaftlichen unternehmens) als absolut übergeordnetes ziel.

    ökonomisches funktionieren ist bald einmal bedingung, anforderung und herausforderung irgendeiner ngo, einer initiative, eines vereins und auch einer interessensvertretung. aber das heißt noch nicht, dass es das eigentliche ziel ist und übrigens heißt es auch noch nicht, dass „direkt“ angegangen werden kann.

    für die iv gilt seit 2000 aber folgendes. sie ist direkt in die legislative eingebunden. nicht über zuvor schon anerkannte bestehende traditionelle strukturen wie die sozialpartnerschaft, aber realiter in der spanne 2000 bis ende schüsselregierung deutlich und deutlich mehr als z.B. die wko oder irgendwelche bünde in der övp.
    ich würde also behaupten, dass nicht nur die eigentliche, die „realfunktion“ (abgeleitet von den realverhältnissen) hier in der beurteilung relevant sein müssten, sondern auch die qualitative dimension, wie sehr die „ngo“ wirklich ngo ist bzw. wie relevant sie für die realfunktion im system ist.

    so, lange rede kurzer sinn: nein, ich würde nicht sagen, dass die iv irgendwie zur zivilgesellschaft zuzurechnen wäre und behaupten, dass das den begriff nicht sinnvoll gerecht wird.

    dabei bestreite ich keineswegs, dass es „gute“ und „schlechte(?)/böse(?)“ ngo’s gibt, soll heißen: klar heißt ngo und heißt zivilgesellschaft nicht per automatismus „brav“, „positiv“ oder was weiß ich.

    umgekehrt finde ich auch den soziale bewegung begriff problematisch, weil viele zivilgesellschaftliche initiativen relevant sind, ohne dass wir ernsthaft von sozialen bewegungen sprechen könnten.

    ich würde das augenmerk auf die ziele, intentionen und ressourcen legen, aber eigentlich unter der fragestellung der funktion (inklusive relevanz) für das „system“.

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