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Ein neues Geldsystem ist nicht die Lösung

Die Forderungen nach „neuem Geld“ oder nach der Abschaffung von Zinsen werden derzeit immer lauter gestellt, ein neues „gerechteres“ Geldsystem soll den Ausweg aus der Finanz- und Wirtschaftskrise bieten und die Entstehung von solchen Krisen ursächlich verhindern. Diese Themen werden derzeit auch innerhalb von Attac heftig diskutiert, wobei der Wunsch lauter wird, Attac solle solche Forderungen unterstützen oder selbst in diese Richtung aktiv werden. Dieser Artikel ist als Beitrag zu dieser Diskussion gedacht.

Ich halte diese Forderungen aus drei Gründen für kontraproduktiv und gefährlich:

  1. Weil die Theorien schlicht und einfach falsch sind
  2. Weil sie ein Symptom behandeln wollen und die wahren Ursachen des Problems dadurch verschleiern
  3. Weil sie alle – auch wenn das nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich ist – eine ideologische Schlagseite haben, an rechte, nationalistische Vorstellungen von Gesellschaft anschlussfähig sind.

Ich beginne mit dem letzten Aspekt:

Diese Theorien stammen aus den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts, ich weiß nicht ob sie Symptome oder Ursachen des aufkommenden Nationalsozialismus waren, oder ob sie einfach dem Zeitgeist entsprachen und sonst mehr oder weniger außerhalb und unabhängig davon entstanden. In jedem Fall hatten sie eine antisemitische, antisozialistische und antiaufklärerische Grundtendenz. In einem Rundumschlag erledigten sie drei Hauptfeinde des „gesunden Volksempfindens“: die reichen Wucherjuden, die Arbeiterbewegung und die intellektuellen Eliten.

Wenn auch nicht mehr so deutlich erkennbar, sind diese Tendenzen auch in den modernen Varianten noch enthalten. Ihnen fehlt eine adäquate Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Grundkonflikten. Es wird nur eine Konfliktlinie wahrgenommen: auf der einen Seite stehen diejenigen, die Geld akkumulieren, ihr Einkommen durch Geldverleih und ohne Arbeit erzielen = „die Bösen“, auf der anderen Seite alle anderen, die fleißig schaffen, oder zumindest fleißig konsumieren und Geld nicht horten = „die Guten“. Zwischen produktivem Kapital und Lohnabhängigen wird nicht unterschieden und Interessensgleichheit unterstellt, Machtverhältnisse werden nicht angesprochen. Ebenso werden andere gesellschaftliche Konfliktlinien, wie soziale Schichtung, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit ausgeblendet – und deshalb immer wieder reproduziert. Es wird nicht gesehen, dass wir alle Teil des selben Systems sind, das diese Effekte zwangsweise hervorbringt, dass die Probleme nicht mit Schuldzuweisungen oder moralischen Appellen zum „richtigem“ Verhalten lösbar sind, genauso wenig mit Regelungen, die das „falsche“ Verhalten sanktionieren.

Aber selbst wenn man diese ideologischen Aspekte beiseite lässt, sind die Argumente der Zinskritiker widersprüchlich und gehen am Kern der Probleme vorbei:

Zuerst die inhaltliche Schwäche:

Die Hauptargumente sind

  1. Zinsen sind der Grund dafür, dass Wirtschaft immer wachsen muss und
  2. Zinsen sind der Grund dafür, dass Geld gehortet wird, wenn es keine Zinsen gäbe, würde das Geld gleich ausgegeben und Akkumulation verhindert.

Diese beiden Argumente widersprechen sich, das eine will Zinsen abschaffen, um Wirtschaftswachstum zu verhindern, das andre will Zinsen abschaffen, damit mehr konsumiert und weniger gespart wird, was heißt, dass die Wirtschaft mehr wachsen würde. Das war ja genau der Grund für das Geldexperiment von Wörgl. Wenn es keine Zinsen gäbe, würde Geld nicht gehortet, sondern in Umlauf gebracht. Genau nach diesem Prinzip arbeiten die Notenbanken ohnehin, sie senken die Zinsen um mehr Geld in Umlauf zu bringen, um dadurch das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Z.B. gab es in Japan während der letzten Krise zeitweise sogar real negative Zinsen, also eh so etwas wie Schwundgeld, die Wirtschaft ist trotzdem, oder vielmehr gerade deswegen, gewachsen. Aktuell ist das in den USA so und seit die EZB das Zinsniveau auf 1% gesenkt hat, wohl auch in der EU, und genau wieder zu dem Zweck, das Wirtschaftswachstum anzuregen. Das Wachstum wird also durch eine Abschaffung der Zinsen nicht verhindert sondern angekurbelt. Das ist deshalb so, weil die Zinsen nur einen Teil des Profits ausmachen, sinken die Zinsen steigt der Profit und der Anreiz zu investieren ist größer. Und schließlich ist das ja im kapitalistischen System auch eine wichtige Steuerungsmöglichkeit, die man sich durch ein Zinsverbot nehmen würde, ohne, wie die Zinskritiker behaupten, den Kapitalismus damit abzuschaffen. Im Gegenteil, diese Theorien sind alle marktliberal, sehen Markt und Tausch als wesentliche Mittel gesellschaftlicher Verteilung an.

Eine weitere Auswirkung der Steuerung der Geldmenge durch Zinsen: ist der Zinssatz niedrig, oder, wie die Zinskritiker vorschlagen, sogar Null, weichen Anleger in andere Werte aus. Bei niedrigem Zinssatz steigen die Werte von Aktien und anderen Finanzprodukten. Das war z.B. eine der Ursachen für den Immobilienboom in den USA und die darauf folgende Subprime-Krise. Verzicht auf Zins würde also die Kapitalvermehrung nicht verhindern, sondern nur auf andere Möglichkeiten Profit zu machen verlagern. Ein Blick auf die arabischen Länder zeigt, dass der Verzicht auf Zinsen asymmetrische Kapitalakkumulation nicht verhindert.

Und damit zum zweiten Punkt, der Frage nach Ursache und Symptom:

Geld und Zins sind eben nicht die Ursache für Finanz- und Wirtschaftskrisen.
Die Profite an den Börsen, die zu Blasenbildung führen, haben ihre Ursache nicht in Zinsen, sie entstehen aus direkten Wertsteigerungen. Diese werden erreicht durch die Ausbeutung von Natur und vor allem Arbeitskraft, durch Maßnahmen, die Geld von den ArbeitnehmerInnen zu den Kapitaleignern umverteilen, wie Lohnkürzungen, Auslagerungen von Produktion in Billiglohnländer und in Länder mit schlechteren Umweltgesetzen, unbezahlte Arbeit von Frauen, Billigstarbeit von MigranInnen, usw. Diese Anhäufung von frei zirkulierendem Kapital führt dazu, dass immer neue Anlagemöglichkeiten gesucht werden, es werden dann immer mehr Bereiche dem Markt einverleibt (öffentliche Dienstleistungen, Wasser, Medien, Wissen, usw.) und es entstehen immer neue Finanzinstrumente – Derivate, die Spekulation ermöglichen und durch die Hebelwirkung zu noch mehr Kapitalakkumulation führen.

Daran sind zu allererst die Eigentums-, Produktions- und Machtverhältnisse schuld, die zu dieser Verteilung von Kapital führen, nicht die Tatsache, dass es Geld gibt und auch nicht die Tatsache, dass für seinen Verleih Zinsen genommen werden. Im Gegenteil: die Notwendigkeit von Geld, Kredit uns Zins ergibt sich aus der Produktionsweise, der Trennung von Produzenten und Produktionsmitteln, die zu einseitiger Kapitalakkumulation führt, der Warenform, die die Notwendigkeit des Tausches und damit von Geld bedingt. Eine Veränderung des Systems muss also an der Änderung der Produktions- und Reproduktionsweisen ansetzen, die dann auch andere soziale Beziehungen und damit eine andere Gesellschaft hervorbringen. Die Annahme, man könnte durch Änderungen des Geldsystems das Wirtschaftssystem als Ganzes ändern, gleicht eigentlich – von der anderen Seite her – dem Monetarismus, den wir ja kritisieren.

Viele Forderungen von Attac gehen genau in die Richtung, die Macht des Kapitals über die Lebensbedingungen der Menschen zu reduzieren: Erhalt öffentlicher Dienstleistungen, Umverteilung durch Steuern, Arbeitszeitverkürzung, Entschuldung.

Konzepte solidarischer Ökonomie setzen ebenfalls da an, gehen aber noch einige Schritte weiter: sie stellen Privateigentum, Produktionsweise und Warenform in Frage und bringen dadurch auch andere soziale Beziehungen hervor. Eine Grunddefinition für solidarische Ökonomie könnte sein:

Solidarische Ökonomie ist eine Art und Weise der Reproduktion unserer Lebensbedingungen, die eine solidarische Gesellschaft erzeugt.

Menschen begegnen sich dann nicht als VerkäuferInnen und KäuferInnen auf dem Markt oder als SchuldnerInnen und KreditgeberInnen, als KapitalbesitzerInnen und VerkäuferInnen ihrer Arbeitskraft, sondern alle tragen das zur gesellschaftlichen Reproduktion bei, was ihren Fähigkeiten entspricht und sind Besitzer gemeinsamer Güter = Commons, die sie entsprechend ihren Bedürfnissen nützen können. Es geht nicht um gerechte Verteilung von Geld oder Gütern, sondern alle Menschen müssen die Möglichkeit haben, an allen Arten der zur Reproduktion der Gesellschaft notwendigen Arbeit teilzunehmen, was zusätzlich auch die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens in Frage stellt, das ja auch hauptsächlich darauf zielt, Menschen als KonsumentInnen funktionsfähig zu erhalten.

Merkmale der Peer-Economy, wie sie Stefan Meretz und Benni Bärmann beim Workshop beim Kapitalismuskongress in Berlin vorgestellt haben sind:

  • Beitragen statt tauschen (d.h. Produktion von Gebrauchswerten, nicht von Waren)
  • Freiwillige Kooperation statt Zwangsarbeit = nicht entfremdete Arbeit
  • Gemeinsamer Besitz statt Privateigentum

Natürlich kann nicht von heute auf morgen die ganze Wirtschaft auf dieses System umgestellt werden, andererseits gibt es diese Elemente immer schon, sie können auch mit Geld funktionieren. Ein durch Umlageverfahren finanziertes Pensions- oder ein solidarisches Versicherungssystem funktionieren etwa genau nach diesem Prinzip. Das Ziel kann nur sein, weniger Bereiche über Markt und Tausch organisieren, was weniger Abhängigkeit vom Verkauf der Arbeitskraft bedeuten würde, eine Arbeitszeitverkürzung ermöglichen würde, daher weniger Kontrolle des Kapitals über unser Leben, mehr Zeit für andere Arten der kollektiven Produktion, weniger Wettbewerb.

Ein Ansatz der diese Verteilung der Arbeit im Blick hat ist die Vier-in-einem-Perspektive von Frigga Haug. Alle Menschen haben das Recht zur Teilhabe an allen Arten gesellschaftlich notwendiger Arbeit, nämlich der

  • Arbeit an der Herstellung der Lebensmittel = Produktion von Gütern
  • Arbeit für andere: Erziehung, Pflege, Freundschaften, Nachbarschaftshilfe = (Re)Produktion von Leben
  • Arbeit am eigenen Ich: Sport, Musik, Lernen, Freizeit, Muse
  • Arbeit für die Gesellschaft = demokratische Mitbestimmung

Michael Brie hat daraus die Idee für eine neue Wirtschafts- und Eigentumsordnung entworfen.

Gerade jetzt, wo die Forderung nach einer Regulierung des Finanzsystems bereits Mainstream ist, sollte Attac sich in diese Richtung einer radikaleren Kapitalismuskritik weiter entwickeln und wieder neue Themen setzen und nicht auf falsche Propheten hören.

5 thoughts on “Ein neues Geldsystem ist nicht die Lösung

  1. Sehr geehrte Frau Kratzwald,

    auch ich bin einer Lösung der allgegenwärtigen Probleme durch die Einführung eines neuen Geldsystems kritisch. Vielmehr müssten Menschen Dinge kritisch hinterfragen.

    Dennoch muss ich sagen, dass Sie sich besser noch ein wenig mit dem aktuellen Geldsystem beschäftigen sollten. Sie machen genau den selben Nebel um das Geld, wie andere unaufgeklärte auch.

    Haben Sie schon verstanden, dass Geld=Schulden sind? Dass deswegen bei steigender Geldmenge durch den Zins auch die Schulden immer weiter steigen müssen? Sehen Sie nicht, dass durch den Zins eine Vermögensumverteilung stattfindet? Und eben nicht nur die Eigentumsordnung.

    Im Übrigen hätten sie die angeblich antisemitischen und nationalistischen Züge doch mal nennen können.

    Gruß, Kritiker

  2. Liebe Brigitte,

    wie willst du in einem der nächsten notwendigen Schritte die Produktionsverhältnisse ändern, wenn du dich nicht für das rd. 2.000jährige Zinsverbot einsetzt? Peer-Economy et al. können allenfalls übernächste Schritte sein oder Versuchsballone dafür. Der Preis für´s Geld – also die Zinsen – ist nicht umsonst per se umstritten. Roland Geitmann hat da bereits blendend darüber geschrieben (siehe: Zins als Jokervorteil) – die Zinsen begünstigen allein durch ihre Existenz gehortetes Geldvermögen (also geronnene Arbeitszeit), indem dieses vermehrungswütig eingesetzt werden kann, für welche (schändliche) Produktion auch immer. Oder gehst du etwa davon aus, dass die Mehrheit aller BankerInnen ihr Gewissen bei der Vergabe von Krediten auf dem Tisch anwesend sein lassen, auf dem die erforderlichen Verträge unterzeichnet werden?

    Wenn du einen Weg kennst, durch den sichergestellt werden kann, dass die Reproduktionsökonomie die zinsstärkere Veranlagungsvariante in der aktuellen Marktwirtschaft darstellt, dann bin ich voll bei dir. Bis dahin wünsche ich dir viel Erfolg für deine Überlegungen, wenn du diese mehr für den Transformationsaspekt des Geldes verwendest, als für den privaten, ganz generell akkumulationsbegünstigenden Aspekt, der mittels Bepreisen durch Zinsen noch verstärkt wird.

    Sonnig grüßt Arno

  3. Sehr geehrte Frau Kratzwald,

    nichts faszniert mich mehr als Menschen mit einer Kontraposition. Die Forderung nach einer Aufgabe der Zinswirtschaft ist erstens nur dann möglich, wenn man die Inflation/Deflation als Störgrößen genauso beseitigen könnte, beispielsweise durch Konstanthaltung der Geldmenge. Doch stellt sich für eine gerechte Gesellschaft, ich weiß es klingt idealistisch, doch die Frage, wer eigentlich die Zinsen bezahlt, die uns die Banken überweisen. Tatsache ist, dass Zinsen zunächst einmal für eine Einnahmequelle bedeuten, der keiner Leistung unsererseits entgegensteht, außer, dass wir unser Geld zur Bank bringen. Aus Ihren bisherigen Ausführungen erkenne ich, dass sie auf dem Gebiet der Volkswirtschafltslehre gut bewandert sind, weswegen ich die einzelnen Schritte auf dem Weg zum Träger der Zinslast (Banken, Unternehmen, etc.) weglasse. Damit die Renditen von wir nachts träumen überhaupt erwirtschaftet werden können, muss gleichzeitig die Produktivität unserer Industrie steigen, damit erst einmal die Banken, dann die Investoren und am Ende der Privatanleger ihre Anteile erhalten können. Doch wie erhöht man die Produktivität, wenn man wir als Volkswirtschaft deutlich mehr produziert als überhaupt verkauft werden kann (Beispiel: Automarkt in der EU)? Die Automobilkonzerne werden danke Börsen- und Analystendruck anderweitig ihre Produktivität erhöhen müssen. Die Verminderung der Belegschaft funktioniert nur bis zu einem gewissen Grad. Auch das Lohndumping kennt seine Grenzen. Daher investieren diese Unternehmen wiederrum in Anteile anderer Branchen und am Ende bezahlen diejenigen Menschen, die sich mit Stundenlöhnen zwischen 3 und 5 Euro zufrieden geben müssen. Am Ende der Produktionskette ist nur noch der Lohn die steuerbare Größe. Wir haben ca. 6 Millionen Bezieher von Hartz 4 bei etwa 3 Millionen Arbeitslosen. Der Zinsdruck verursacht auf einer breiter werdenden Basis eine Verringerung der Stundenlöhne und somit des „breiten“ Wohlstandes. Anders kann der Wohlstand der Mittelschicht in diesem System nicht gehalten werden und diese Mittelschicht können sie länderübergreifend auf die gesamte Menschheit ausweiten, da Geld bekanntlich seit der Globalisierung keine Grenzen mehr kennt.

    Mit besten Grüßen

    Christopher (Dipl.VW)

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