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In der Realität angekommen

„Das ist das Ende der zweiten Republik“, tönt es durch die Medien. Manche fügen relativierend hinzu „… so wie wir sie kennen“. Seit gestern ist alles anders und nichts wird mehr so sein wie davor. Auch wenn man es weniger pathetisch mag, was sich in den letzten Jahren schon angedeutet hat, in den letzten Monaten immer deutlicher wurde, muss nun jedem klar sein: Österreich ist nicht mehr Sissi, Mozart und Naturidyll, es ist nicht mehr die Insel der Seligen, Österreich ist in der Realität angekommen.

Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ hat keine neuen Probleme geschaffen, sie hat unbarmherzig all das klar zu Tage gebracht, was in den letzen Jahren immer wieder unter den Teppich gekehrt wurde, worum sich alle immer wieder herumgeschwindelt haben. Der schlampige Umgang mit dem rechten Rand ebenso wie mit den Menschenrechten, die zunehmende soziale Ungleichheit und Abstiegsängste, keine Antwort auf die Frage, wie die Arbeit der Zukunft aussieht und wie soziale Absicherung in Zukunft funktionieren soll. Keine Antwort auf Klimawandel und ökologische Probleme, außer dem ständigen Schulterklopfen, dass Östereich ja eh sooooo ökologisch fortschrittlich ist.

Bei den etablierten Parteien herrscht Wehleidigkeit vor. Wir haben eh so gut für Österreich gearbeitet, die WählerInnen sind schuld. Die SPÖ agiert mit den Themen der 60er und 70er-Jahre. Die Menschen brauchen Arbeit, Bildung ein gutes Gesundheitssystem. Das ist auch heute noch nicht falsch, sind aber nicht die Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen. Keiner glaubt mehr an den Wohlstand für alle, den mehr Wirtschaftswachstum und mehr Wettbewerb bringen sollen, zumindest müsste man einmal definieren, worum es in diesem Wettbewerb überhaupt gehen soll. Fast allen ist inzwischen klar, so kann es nicht mehr weitergehen.

Der Klimawandel wird immer drastischer sichtbar, und auch wenn die vielen Flüchtlinge Angst machen, die wenigsten wollen, dass noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken – aber was tun? In der Politik herrscht Ratlosigkeit. Man solle den Menschen in ihren Ländern helfen. Gute Idee, aber das würde eben auch schon bedeuten, dass WIR unsere Art zu produzieren grundlegend ändern müssten, ebenso wie der Westen seine Geopolitik ändern müsste, denn diese Dinge sind ja die wesentlichen Ursachen dafür, dass die Menschen in vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens und des globalen Südens in ihren Ländern gerade nicht gut leben können.

Große Veränderungen stehen an. Das macht Angst, das ist verständlich. Außerdem wurde die Zukunftsangst ja durch die neoliberale Politik der letzten Jahre (bewußt?) noch geschürt – es ist immer zu wenig von allem da, jeder muss für sich selbst sorgen, … Wenn die etablierten politischen Kräfte keine Antworten auf die drängenden Fragen der Zukunft haben, als immer noch mehr sparen, verstärkt das die Angst. Dann wünschen sich die Menschen einen starken Mann. Einen, der zumindest vordergründig Ursachen benennen kann – die Ausländer – und eine Lösung bieten – die Ausländer müssen raus. Denn dann kann bei uns alles beim Alten bleiben, dann können wir wenigstens das bewahren was wir haben. Auch noch raus aus der EU. Also, einigeln und festhalten was wir haben. Das wird die Verteilungskämpfe auch innerhalb von Österreich sehr bald verschärfen. Es wird den Menschen die Angst auf Dauer nicht nehmen können, denn die Probleme werden weiter anklopfen und das Klopfen wird lauter und dringlicher werden.

Was es braucht sind Menschen, Initiativen – neue Parteien? – die die Angst ernst nehmen, aber weg lenken von den Sündenböcken hin zu den vielen schon vorhandenen Lösungsansätzen. Die sagen, ja, es stehen große Veränderungen bevor, aber wenn wir alle zusammenhelfen, schaffen wir das. Die sagen, ein reiches Land wie Österreich kann ein paar Prozent Zuwanderer aushalten, ohne dass man gleich den Notstand ausrufen muss. Wir müssen Menschen nicht zurück in den Krieg oder ins Meer schicken, damit wir gut leben können (nebenbei: wer lebt schon gut, wenn an den Grenzen Menschen sterben?). Wir können eine Wirtschaftsform entwickeln, die nicht mehr als die vorhandenen Ressourcen verbraucht. Wir können soziale Sicherheit auch mit weniger Lohnarbeit erreichen. Es gibt ein „gutes Leben“ jenseits des Wachstumszwangs und des Konkurrenzdenkens. Es gibt das Wissen dazu und es wird an vielen Orten schon praktiziert. Wir brauchen nur den Mut, anzufangen. Diese Zuversicht, dieses Vertrauen in die Zukunft, das müsste man den Menschen zurückgeben können, wenn man gegen den Rechtsruck etwas unternehmen will. Denn dafür brauchen wir alle Menschen, die in Österreich leben oder das in Zukunft tun wollen und nicht einen starken Führer, dem es ja doch eher darum geht, notwendige Veränderungen hinauszuschieben und Bestehendes „für Österreich“ zu bewahren. Die Probleme werden dann in wenigen Jahren umso schärfer wieder zutage treten und dann wird man nach noch mehr Repression rufen …