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Mit Commons Armut bekämpfen?

Die 9. Östereichische Armutskonferenz vom 22. – 24. Oktober in Salzburg stand unter dem Motto „Commons oder die Kraft der Zusammenarbeit“. Anstatt einen Redner oder eine Rednerin zur Eröffnung einzuladen hat sich das Organisationsteam etwas anderes einfallen lassen. Mit verteilten Rollen wurden Textabschnitte aus den verschiedenen Commons-Büchern und Blogs vorgelesen. Das war eine nette Überraschung und es fühlte sich auch ein bisschen seltsam an, dort zu sitzen und ganz unvorbereitet die eigenen Texte vorgelesen zu bekommen. Interessant fand ich auch, welche Textstellen den Leuten so wichtig waren, dass sie ausgewählt wurden.

Ich war eingeladen worden, an der Abschlussdiskussion teilzunehmen. Die Themenstellung war „Armut bekämpfen durch Gemeingüter und Kooperation“ und es sollte dabei auch um Umverteilung gehen.

Dazu hab ich mir im Vorfeld einige Gedanken gemacht, weil wir uns in der Commons-Diskussion doch kaum mit dieser Frage beschäftigen. Was eigentlich seltsam ist, waren doch Commons ursprünglich genau für die „ganz unten“ gedacht, für diejenigen, die selber nichts hatten, damit ihr Existenz abgesichert war.

Als erstes ist mir dazu ein Satz eingefallen, den wir immer wieder mal verwenden: „Wohlstand durch Teilen“. Und natürlich ist das so. Dinge gemeinsam zu nutzen erspart Geld (und auch Ressourcen) und macht uns alle reicher. Das geschieht auch häufig, gerade in Notsituationen, wie derzeit z.B. in Griechenland, dass Menschen sich zusammentun, verschiedene Tausch-, Schenk- und Sharinginitiativen starten, um trotz fehlendem Geld genug zum Leben zu haben. Wenn solche Dinge allerdings aus der Not geboren werden, dann erscheinen sie auch so – als „Notlösungen“, von denen man sich wieder abwendet, sobald wieder Geld zur Verfügung steht. Solange Commons Lückenbüßer sind, haben sie kein transformatorisches Potenzial, hat kürzlich jemand gesagt.

Darum ist es notwendig, etwas tiefer zu gehen. Commons sind kein Mittel zur Umverteilung, sondern eine grundsätzlich andere Produktionsweise, in der Armut erst gar nicht entstehen sollte. So wie wir heute produzieren, wird soziale Ungleichheit im Produktionsprozess ständig hergestellt und verstärkt, es kommt zwingend zu einer Ungleichverteilung von Wohlstand und Arbeit, weil Waren produziert werden, die man auf dem Markt kaufen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Daher braucht man erst Geld um seine Grundbedürfnisse zu befriedigen, was dazu führt, dass Menschen zu Lohnarbeit gezwungen sind und wir immer mehr produzieren müssen, um Arbeit für alle zu schaffen. Bezahlt wird aber wieder nur Arbeit, die im finanziellen Sinn profitabel ist, unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Nutzen. Das Preisschild, das auf allem draufklebt, das wir zum Leben brauchen, erzeugt erst die Knappheit, die dann zu Armut führt, trotz der enormen Produktion von Überfluss (und von Überflüssigem), die derzeit geschieht. Das ist ein Teufelskreis, der ständig Menschen ausschließt und so immer weiter in die Ungleichheit hineinführt. Daher braucht man immer den Staat, der für die nachträgliche Umverteilung der Güter und Ressourcen sorgen soll. In Commons wird gleich so produziert, dass nachträgliche Umverteilung nicht notwendig ist.

In Commons wird nicht produziert, um Geld zu verdienen, sondern

  • entsprechend den Bedürfnissen der Commoners,
  • so dass Ressourcen nicht übernutzt werden aber auch nicht durch Unternutzung verschwinden
  • und alle Betroffenen gleichberechtigt mit entscheiden können.

Ein wichtiges Prinzip ist Beitragen statt Tauschen, man muss nicht vorher Tauschmittel anhäufen, um zu bekommen, was man braucht, sondern es kann das Vertrauen entstehen, dass ich bekomme, was ich brauche, wenn ich es brauche. Jeder soll seine Fähigkeiten optimal entfalten können, gerade die Vielfalt an Fähigkeiten und die unterschiedlichen Bedürfnisse zusammen mit einer Einschränkung des ausschließenden Privateigentums machen es möglich, aus der Knappheit in die Fülle zu kommen.

Weitere Prinzipien sind:

Besitz statt Eigentum und eine geeignete Kombination an unterschiedlichen Nutzungsrechten. Dazu gehört, was Alberto Lucarelli in Venedig gesagt hat (Bericht hier): Es braucht eine eigene Rechtsform, die verhindert, dass Regierungen öffentliches Eigentum verkaufen können, denn dieses Eigentum und die dazugehörigen Infrastrukturen sind genau dazu da, Armut gar nicht erst entstehen zu lassen. Unveräußerlichkeit ist ein wesentliches Merkmal der Commons, sie müssen unabhängig vom Wirtschaftswachstum zur Verfügung stehen,

Alle bestimmen mit, das ist mehr als repräsentative Demokratie, das ist auch mehr als Partizipation oder direkte Demokratie, bei der erst jemand Entscheidungen trifft und wir dürfen dann noch ja oder nein sagen. Vielmehr müssten von Anfang an alle Betroffenen die Möglichkeit haben mitzureden, bei der Definition der Probleme, bei der Gesetzesformulierung, bei der Umsetzung und der Evaluierung. Das Internet bietet uns Werkzeuge, die das wesentlich erleichtern.

Aus Sicht der Commons erscheint Armut also vor allem als eine Armut an Beteiligungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten und eine Armut an Möglichkeiten, die eigenen Fähigkeiten zu entfalten.

Commons stehen auch in einem wichtigen Zusammenhang mit den Grundrechten. Das sollte für ein Armutsnetzwerk von besonderer Bedeutung sein, ist doch Armut auch oft mit der Einschränkung von Grundrechten verbunden. Historisch hatte das Recht auf Nutzung von Commons die gleiche Funktion wie das Konzept sozialer Rechte, nämlich die materielle Absicherung der Grundrechte. Im Sozialstaat wurden die sozialen Rechte jedoch durch den Staat garantiert und damit der Kontrolle durch die Commoners entzogen. Wenn der Staat – aus welchen Gründen immer – nicht mehr willens oder in der Lage ist, die soziale Absicherung zu garantieren, stehen Grundrechte und Demokratie auf dem Spiel. Während in unserem Rechtssystem alle Macht beim Staat liegt (obwohl sie laut Verfassung vom Volk ausgeht, dieses hat jedoch seine Macht an den Staat abgetreten) und dieser den BürgerInnen Rechte gewährt, baut das anglikanische Recht auf dem Common Law auf, auf dem Recht zur Nutzung der Commons, das schon vor dem König und dem Staat da war und von diesen respektiert und beachtet werden muss. Das Recht auf Nutzung der Commons schränkt das Recht und die Macht von Regierungen ein.

In der Diskussion kamen dann noch andere Dinge aufs Tapet. Natürlich das bedingungslose Grundeinkommen oder Freifahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln für Menschen mit geringem Einkommen.

Was ich mir denke ist, ein BGE kann ein gutes Mittel sein, um die Menschen von Staat, Markt und Lohnarbeit unabhängiger zu machen und die Schaffung und Erhaltung von Commons zu erleichtern. Es reicht aber nicht aus, solange wir nicht die Organisation der Gesellschaft grundsätzlich verändern. Daher wäre mein Vorschlag ein niedrigeres finanzielles Grundeinkommen zu kombinieren mit Sacheinkommen.

Etwa eine Energiegrundsicherung, d.h. eine bestimmte Mindestmenge an Energie steht allen Menschen gratis zu, Mehrverbrauch könnte dann progressiv besteuert werden. Diese kann als Commons organisiert sein, muss es vermutlich sogar, weil mit dem Marktmodell eine solche Lösung kaum möglich ist.

Oder kostenlose Nutzung des öffentlichen Verkehrs – für alle Menschen, unabhängig vom Einkommen. Denn solange ich eine Bestätigung brauche, dass ich „arm“ bin, um etwas nutzen zu können, solange bleibt die Spaltung der Gesellschaft in arm und reich ebenso aufrecht, wie die Stigmatisierung, die viele Menschen doch wieder daran hindert, Dinge in Anspruch zu nehmen. Da solche Angebote über Steuern finanziert werden müssen, tragen ja die Reicheren sowieso mehr dazu bei, daher spricht nichts dagegen, dass auch sie die öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos nutzen können (eine entsprechende Besteuerung vorausgesetzt natürlich).

Ganz wichtig ist es dann aber noch Institutionen und Mechanismen zu schaffen, die Beteiligung ermöglichen und Kooperation leicht machen. Es geht darum, „strukturelle Gemeinschaftlichkeit“ zu ermöglichen, damit Commons nicht nur im kleinen, persönlichen Kreis funktionieren können, und „strukturelle Verantwortungsfähigkeit“ (wie das Stefan Meretz so schön formuliert hat) herzustellen. Heute wird von uns verlangt, individuelle Verantwortung für Dinge zu übernehmen, die wir nicht beeinflussen können, innerhalb von Strukturen, die oft genug Verantwortungslosigkeit fördern. Nur wenn ich mitbestimmen kann, wie Dinge geschehen und mich auch entsprechend einbringen kann, kann ich auch Verantwortung dafür und für mein eigenes Leben übernehmen.

Zum Schluss hat Uli Brand noch darauf hingewiesen, dass Armut nicht nur als soziale Frage behandelt werden sollte, sondern immer auch der ökologische Aspekt, die Frage der Ressourcennutzung, mitgedacht werden muss. Es gehe also um eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft. Dafür sind die Commons ein gutes Denkmodell, weil sie eben soziale, ökologische und demokratiepolitische Aspekte umfassen.

6 thoughts on “Mit Commons Armut bekämpfen?

  1. Volle Zustimmung – bis auf einen Aspekt: Warum sollte es nicht möglich sein, Sozialtarife und Mindestelektrizitäsmengen im Marktsystem umzusetzen? Der Staat könnte entweder die Energieversorger zwingen, solche Tarife anzubieten oder über die Sozialämter Energiekosten zu einem bestimmten Teil übernehmen (macht er das nicht schon?).

  2. Weil wir gerade erleben, dass eher Unternehmen die Regierungen zu etwas zwingen als umgekehrt. Der Staat ist ganz offensichtlich kein geeigneter Anwalt für solche Dinge. Das heißt nicht, dass er sie nicht verwalten kann, aber eben unter Kontrolle der BürgerInnen, wie z.B. vom Berliner Energietisch vorgeschlagen. Und solange Menschen zum Sozialamt müssen, ist es eben wieder ausgrenzend, was ja im Grunde schon der Begriff sagt. Es geht nicht um etwas, das uns gewährt wird, sondern um Rechte. Genau das sagt ja die Idee des BGE. Weil durch die Besteuerung der Ausgleich hergestellt wird, können alle es bekommen, egal ob als Sach- oder Geldleistung.

  3. Ich will jetzt nicht wieder in die normativ versus positiv – Debatte einsteigen – aber eine Aussage wie

    „Diese kann als Commons organisiert sein, muss es vermutlich sogar, weil mit dem Marktmodell eine solche Lösung kaum möglich ist.“

    und

    „Der Staat ist ganz offensichtlich kein geeigneter Anwalt für solche Dinge.“

    … klingt in meinen Ohren einfach zu ideologisch. Ich verstehe absolut deine Begründungen und stimme ihnen in bestimmten Teilen zu. Aber so vom Staat zu sprechen, so komplett in „Geißel-des-Marktes“-Manier: das widerstrebt mir einfach. Ich kenne genug Beispiele von schlechtem Lobbying, aber eben auch welche von gutem. Und ein gesetzliches System für Mindestenergiemengen als kaum durchführbar zu bezeichnen, grenzt schon ein wenig an unfreiwillige Ironie, wenn im gleichen Atemzug Energiegenossenschaften gepriesen werden (die in einem staatlichen Bieterverfahren mitmischen und ihr gesetzlich verbrieftes Petitionsrecht gebrauchen) und mit dem Ruf nach BGE gespielt wird (das ebenfalls kaum ohne den Staat zu machen sein wird).

    Gerade habe ich im Commonsblog unter einem von Jakobs Beiträgen einen Link zu den Voluntaristen und Libertaristen von freiwilligfrei.info und der Partei der Vernunft gesetzt. Wenn ich jetzt mal polemisch sein will: manche staatskritischen Argumente aus deren Richtung ähneln den commonseigenen relativ stark.

    Hier und in den anderen Blogs wurde doch schon häufiger vom „Partnerstaat“ geschrieben – sich eine solche positive Vision zu erhalten und daran zu arbeiten halte ich für sinnvoller, als die Kompetenz (und Verbesserungsfähigkeit) unserer Staaten in Frage zu stellen.

  4. Erstens kommt hier nirgends was von Energiegenossenschaften vor und zweitens würde ich genau das, was ich hier beschrieben habe, als „Partnerstaat“ bezeichnen. Da steht ja nirgends, dass es keinen Staat geben soll.

  5. Stimmt, Brigitte, mein Fehler. Der Energietisch ist nur die Kampagne für die Überführung der Netze in die öffentliche Hand (was das Argument aber eher bestärkt). Und nach dem ich mir deinen Kommentar noch einmal durch gelesen habe, muss ich meine Kritik auch relativieren – unter Kontrolle der BürgerInnen hat natürlich schon etwas für sich und ähnelt tatsächlich eher dem Partnerstaat 🙂 Bitte verzeih, wenn man sich zu oft auf voluntaristischen Seiten rumtreibt, um sich kritisch an der Diskussion zu beteiligen, sieht man wohl manchmal Geister, wo es keine gibt…

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