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Open Commons Kongress Linz – OC12

Am Dienstag, dem 28. August fand in Linz der erste Open Commons Kongress statt. Im Jahr 2010 startete die Stadt Linz das Projekt „Open-Commons-Region Linz„.

Mit einer europaweit einzigartigen Initiative wird die Stadt Linz Impulse für die frei zugängliche Nutzung und elektronische Verbreitung von Daten, Software, Lehr- und Lernmaterialien und anderen als „Open Commons“ bezeichneten, digital gespeicherten Inhalten geben,

heißt es dazu auf der Webseite. Eine der ersten Aktivitäten bezog sich auf die Offenlegung der Daten durch die Stadtregierung im Sinne von Open Government Data. Das macht aber doch inzwischen fast jede Stadt, die etwas auf sich hält, ebenso kann man Stadtpläne oder Fahrpläne, Veranstaltungskalender und ein Unternehmesregister im Internet finden. Was ist denn nun eigentlich der Unterschied zwischen anderen Städten und einer Open-Commons-Region? Das fragte ich den Projektleiter Stefan Pawel.

Eigentlich ist es ganz einfach. Die Stadt stellt nicht nur Daten zur Verfügung, sie ermutigt BürgerInnen, KünstlerInnen und Unternehmen, Schulen und Studierende die Daten aktiv zu nutzen, zu verändern und selbst Daten ins Netz zu stellen. Freie Unterrichtsmaterialien in Schulen und für Universitätslehrveranstaltungen sind ein besonderer Schwerpunkt. Das bedeutet aber auch, die Menschen zu ermutigen ihre Arbeiten unter eine freie Lizenz zu stellen, denn normale Schulbücher, die mit einem Copyright versehen sind, sind dafür natürlich nicht verwendbar. Die Stadt erleichtert auch den Zugang zum Internet durch zahlreiche Hotspots, die gratis Internetzugang an vielen Stellen der Stadt ermöglichen und dadurch, dass sie „allen interessierten LinzerInnen ab 14 Jahren einen fix definierten Speicherplatz sowie ein persönliches E-Mail-Postfach und Programme für die nichtkommerzielle Veröffentlichung von Inhalten im Internet zur Verfügung“ stellt. Nicht schlecht!

Denn so einfach ist es eben doch nicht. Es erfordert ein Umdenken in vielen Bereichen und Anreize, wie z.B. die Ausschreibung eines App-Wettbewerbs, an dem sich auch Studierende der JKU Linz (die auch als Mitveranstalter des Kongresses fungierte) im Rahmen von Lehrveranstaltungen beteiligten. Die Ergebnisse sind hier zu finden. Bis sich so ein Projekt etabliert und wirklich von den BürgerInnen im geplanten Sinn benutzt wird, vergehen natürlich Jahre. Dass etwa 100 Personen aus der Gruppe der potenziellen NutzerInnen zur Konferenz gekommen waren, ist auf jeden Fall ein ermutigendes Zeichen. Denn das waren keinesfalls lauter „Nerds“, sondern ganz „normale“ LehrerInnen, KünstlerInnen, UnternehmerInnen, VerwaltungsbeamtInnen, StudentInnen, Medienleute und das Binnen-I ist hier wirklich angebracht, nahezu die Hälfte der TeilnehmerInnen waren Frauen – was leider bei den ReferentInnen noch nicht gelungen ist.

Nach der Begrüßung wurde das Projekt kurz vorgestellt. Jeweils drei Workshops liefen anschließen parallel in den Themenbereichen „Bildung & Wissenschaft“, „Wirtschaft & Verwaltung“, „Kunst & Kultur“.

Im ersten Durchgang entschied ich mich für „Offene Wertschöpfungsketten in Wirtschaft, Verwaltung und Politik“. Peter Parycek begann seinen kenntnisreichen und origenellen Vortrag mit einem historischen Rückblick auf Eigentumsrechte und Copyright und vieles klang nicht viel anders, als bei mir ;-). Wir seien derzeit, meinte er schließlich, auf dem Weg von der Informationsgesellschaft, wo Informationen nur in eine Richtung gesendet werden, zur Netzwerkgesellschaft, wo alle Menschen in der Lage seien, miteinander Informationen auszutauschen, weil sich alle die entsprechenden Geräte leisten könnten. Die technische Entwicklung habe das ermöglicht, sie habe eine emanzipatorische Wirkung, weil sie die Organisations- und Kommunikationsfähigkeit der Gesellschaft stärke. Da hat der gute Mann dann doch übersehen, dass es auch andere als finanzielle Zugangshürden zur Techniknutzung und Politikbeteiligung gibt.

Drei Prinzipien ergäben sich für Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Verwaltung aus diesen Veränderungen:

Zusammenarbeit: Der Wunsch zur Zusammenarbeit sei im Menschen angelegt, es brauche dazu keiner besonderen Motivation, meinte er. Eher sei es so, dass die neuen Technologien diese Anlagen in den Menschen zu Tage fördern. Eine klare Absage also an den homo oeconomicus, die von den Anwesenden geteilt wurde.

Transparenz: Auch dazu trügen die neuen Technologien und die Möglichkeit der Zugänglichkeit und schnelle Verbreitung von Informationen bei – ausmauscheln hinter geschlossenen Türen und Geheimhaltung funktionierten nicht mehr. Um diese Transparenz zu gewährleisten, müsste aber erst die Kommunikationsfähigkeit geschult werden, meinte eine Teilnehmerin. Denn Politik und Verwaltung wüssten ja gar nicht, wie sie mit den BürgerInnen reden sollen. Gutes Argument!

Sharing: Hier richtete sich die Aufforderung direkt an Unternehmen: Sie sollten sich überlegen, welches Wissen, welche Daten sie besitzen, die nicht zum Kern ihres Businessmodells gehören. Die sollten sie dann freigeben um daraus möglicherweise wieder Mehrwert generieren zu können. Hoppla! Da ist wohl was daneben gegangen!

Sehr interessant fand ich dagegen die Ausführungen, wie die Idee der Commons die Politik, bzw. das Zusammenwirken von Politik und Zivilgesellschaft verändert. Ähnliches hab ich auch schon öfter gesagt, aber nicht so analytisch dargestellt.

Politikzyklen bestehen in diesem Modell aus vier Phasen: Agenda setting – Formulierung – Implementierung – Evalutaion.
In all diesen Phasen eröffnet die Commons-Idee mit Hilfe der neuen Technologien Möglichkeiten zur Involvierung der BürgerInnen. So bekommen diese die Möglichkeit über offene Plattformen, die von der Regierung betrieben werden, ihre Themen einzubringen. Das Beispiel dafür kam aus den USA: die Plattform „Your Voice in Our Government„.

Auch für den zweiten Schritt, die Formulierung der entsprechenden Gesetzestexte, gibt es Vorbilder. Etwa die neue Verfassung von Island, die von den BürgerInnen formuliert, in einer Volksabstimmung angenommen und dann im Parlament im letzten Abdruck doch verhindert wurde.

Für beide Prozesse ist es wichtig, dass man Mechanismen findet, dass nicht die Stärksten und Lautesten sich durchsetzen. Auch dafür gab es Vorschläge, die ich mir nicht alle im Detail gemerkt habe, bei denen es meist in irgendeiner Weise darum ging, Menschen aus möglichst vielen gesellschaftlichen Schichten und Milieus einzubeziehen. Auf jeden Fall hab ich ein Bewusstsein für diese Problematik wahrgenommen.

Die dritte Stufe, die Implementierung, sei noch nicht so weit fortgeschritten. Er kritisierte, dass Regierung und Verwaltungen hier noch sehr zögerlich seien, Daten wirklich offen zu legen und erzählte ein aktuelles Beispiel aus Linz: in einer Volksschule, die in einer verkehrsreichen Umgebung mit einer gefährlichen Kreuzung liegt, wurden mit SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen gemeinsam die Gefahren erhoben und die sichersten Schulwege ausfindig gemacht. Als es dann aber daran ging, die Vorschläge auch umzusetzen, stieß die Kooperationsbereitschaft der Stadtverwaltung an ihre Grenzen: „Das machen schon meine Beamten“, meinte der Leiter der zuständigen Behörde. Hier wird die Angst vor dem Verlust des Expertenstatus und damit an Macht sichtbar, der mit Kooperation und echter Beteiligung immer einhergeht.

Als Beispiel für eine Evaluation der Politik durch die BürgerInnen wurde eine Aktion der britischen Tageszeitung Guardian herangezogen. Nach mehreren Skandalen legte die Regierung in London die Datenbank mit den Ausgaben der ParlamentarierInnen offen. Die Datenmenge war allerdings so groß, dass sie die Medien überforderte. Der Guardian rief unter dem Motto „Investigate your MP’s espenses“ seine LeserInnen auf, bei der Durchsicht der Daten zu helfen, verdächtige Ausgaben herauszufiltern und erst diese wurden dann von den Redakteuren weiter überprüft.

Wenn die Beteiligung nicht von oben ermöglicht werde, so Peter Parycek, werde sie eben von unten erzwungen.

Grundsätzlich stellte er in der Gesellschaft ein „revival of the common good“ fest, auch für die Wissenschaft sei das Teilen von Forschungsergebnissen besonders wichtig, um Innovation voranzutreiben. Da gehe ich nicht weiter drauf ein, vieles deckte sich mit dem, was in diesem und befreundeten Blogs häufig zu lesen ist.

Im Bereich der Wirtschaft gingen die Sichtweisen dann wieder auseinander, denn da stand wieder das Ziel im Zentrum, durch Offenlegung von Daten neue Geschäftsmodelle zu erschließen. Heute seien Unternehmen als geschlossene hierarchische Einheiten organisiert und als solche innovationsunfähig. Sie müssten sich in offene Netzwerkorganisationen verwandeln, Innovationskraft müsse von außen hereingeholt werden. Es gehe dann darum, herauszufinden, wo an den unterschiedlichen Punkten des Netzwerks Geld zu holen ist. So klingt das also, wenn Unternehmensberater die Commons-Brille aufsetzen – auch interessant zu hören.

Im Workshop „Kooperativer Mathematikunterricht mit Web2.0-Technologien“ hab ich erst einmal den Unterschied zwischen Kooperation und Kollaboration kennen gelernt:

Kooperatives Lernen bedeutet, dass eine Gruppe von SchülerInnen vom Lehrer eine Aufgabe gestellt bekommen, sie teilen dann die Arbeit untereinander auf, jeder arbeitet für sich an seinem Aufgabenpaket und dann werden die Ergebnisse wieder zusammengeführt. Bei Kollaboration hingegen wird auch die Aufgabe von den SchülerInnen selbst gewählt und es erfolgt keine Arbeitsteilung, sondern alle arbeiten gemeinsam und können ihr Wissen einbringen.

Und dafür ist das Wiki ein ideales Instrument, es eignet nicht nur für die Organisation und Dokumentation von Sommerschulen, sondern auch für kollaborativen Mathematikunterricht. Allerdings muss es dafür so adaptiert werden, dass man auch Formeln und Graphen darin abbilden kann. Diese Infrastruktur wurde von der Donau Universität Krems zur Verfügung gestellt. Das gemeinsame Projekt von SchülerInnen der 10. Schulstufe in Berlin und Perchtoldsdorf zum Thema Exponentialfunktionen klang durchaus so, als habe die Mathematik da auch Spass gemacht und am Ende gab es dann auch Besuch und Gegenbesuch, damit zur virtuellen auch die persönliche Bekanntschaft kam.

Der anschließende Workshop „Crowdfunding im Kultur- und Sozialbereich – Eigene Projekte online finanzieren“ brachte nichts wirklich Neues, hat mir aber einmal mehr klar gemacht, dass solche Selbstvermarktungsstrategien nichts für mich sind. Gratulation auf jeden Fall an Johannes Grenzfurthner von der Künsterlgruppe monochrom, die gerade erfolgreich die für österreichische Verhältnisse gigantische Summe von mehr als 50.000$ über die US-amerikanische Crowdfunding-Plattform Kickstarter für ein Filmprojekt aufgestellt haben.

Beim letzten Workshop-Durchgang schließlich hab ich mich wieder dem Themenbereich Wirtschaft & Verwaltung zugewendet, und zwar der Frage: „Open Source – Ausweg aus dem Vergaberecht?“. Nicht nur um meine persönliche Frauenquote von 50% zu erfüllen, sondern auch, weil ich mich im Zusammenhang mit der Anwendung der EU-Vergaberichtlinien im Sozialbereich schon einmal ziemlich ausführlich mit dem Thema beschäftigt hatte und dabei gemerkt hatte, dass das Vergaberecht doch eine wesentliche Steuerungsfunktion erfüllen kann. Außerdem hab ich ein heimliches Hobby: ich versuche Beispiele dafür zu finden, wo durch unser bestehendes Recht die Produktion und Nutzung von Commons erschwert oder sogar verhindert wird. Leider kam der Vortrag nicht wirklich in Schwung, weil sich die Referentin von Anfang an in viele Diskussionen über Nebenschauplätze verwickeln ließ. Da bin ich dann lieber noch einmal in der Sonne an der Donau entlang spaziert und hab die erstaunliche Architektuer des Linzer Rathauses erkundet. Man kann hier die begrünten Dachterrassen bis oben hin erklimmen und dabei den BeamtInnen und PolitikerInnen bei der Arbeit über die Schulter schauen – auch eine Form der Transparenz.

Nachdem wohlverdienten Imbiss kam dann die ans Ende des Tages verlegte Keynote von Tassilo Pellegrini mit dem vielversprechenden Titel „Adieu Netzneutralität – Bedrohungspotenziale für Open Commons“.

Netzneutralität bedeutet die Gleichbehandlung der physikalischen Einheiten beim Datentransport, Daten müssen diskriminierungsfrei befördert werden. Netzneutralität, so der Redner, stärke KundInnen bei der Wahl der Anbieter und Inhalte, habe aber in dieser idealtypischen Form nie existiert. In der Realität ist es so, dass vor allem in Spitzenzeiten manche Daten bevorzugt werden, dann dauern etwa Mails manchmal etwas länger. Solange die Auswahl nur nach technischen und nicht nach wirtschaftlichen Kriterien erfolgt, wird dadurch keine Nutzergruppe systematisch benachteiligt. Nun gibt es aber Netzprovider, die eigene Datendienste anbieten und diese dann bevorzugt behandeln, das ist ein klarer Verstoß gegen das Prinzip der Netzneutralität.

Gesetze wie ACTA oder SOPA sind eine Bedrohung der Netzneutralität in mehrfacher Hinsicht und verstoßen zudem gegen Menschenrechte, weil sie in die Privatsphäre der NutzerInnen eingreifen. Der Vorschlag, nach dreimaligem Verstoß gegen Urheberrechte den Netzzugang zu sperren, stellt ein inhaltsabhängige Diskriminierung aus politischen Interessen dar und einen Verstoß gegen das Recht der Redefreiheit.

Ein wichtiges Thema, das leider in einer hoch wissenschaftlichen, sehr komprimierten Form vorgetragen wurde, mit einer Unzahl von Abkürzungen und Fachbegriffen. Obwohl ich in der Thematik doch einigermaßen drinnen bin, habe ich bei weitem nicht alles verstanden, bzw. habe ich, bis ich einen Satz verstanden hatte, die nächsten drei überhört. Schade!

Trotzdem blieb ein positives Resumé: dass eine Stadtregierung ihren BürgerInnen solche Informationen zukommen lässt ist durchaus nicht selbstverständlich. Eine Wiederholung im nächsten Jahr ist geplant.

Im Netz findet man leider heute (Februar 2018) keine Spuren dieser Veranstaltung mehr. Hier die aktuelle Webseite der Open Commons Region, die Kongresse finden aber weiterhin alljährlich statt.

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