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Rezension: Wir steigern das Bruttosozialglück

Ich habe für die Märzausgabe der Contraste eine Buchbesprechung geschrieben, ich hab vor, einige Aspekte demnächst hier noch ausführlicher zu behandeln:

Anette Jensen (2011): Wir steigern das Bruttosozialglück. Von Menschen die anders wirtschaften und besser leben. Herder, Freiburg-Basel-Wien

Anette Jensen hat keine Idylle gezeichnet, wie der Titel vielleicht nahelegen könnte. Im Gegenteil, sie zeichnet ein sehr realistisches Bild der aktuellen Situation – und gerade deswegen gelingt es ihr auf den Punkt zu bringen, wie das Streben nach Wirtschaftswachstum der Notwendigkeit einer nachhaltigen Produktion und einer Senkung des Energie- und Ressourcenverbrauches entgegensteht. Sie geht diesem Problem in fünf Bereichen nach: Energie, Verkehr, Produktion, Landwirtschaft und Banken. Das ausgezeichnet recherchierte Buch bietet eine Fülle von Daten, sowohl über die Auswüchse und Paradoxien des bestehenden Systems als auch über eine große Zahl von Alternativen.

Jensen beschreibt, wie Stromkonzerne mit Megaprojekten wie Desertec oder Offshore Windparks versuchen, die Energieversorgung in ihrer Macht zu behalten, wie die industrielle Landwirtschaft den Hunger fördert, anstatt satt zu machen, wie europäische Saatgutgesetze genau jene genetisch vielfältigen, anpassungsfähigen Sorten – und damit auch deren Produzenten – benachteiligen, deren Förderung der Weltagrarbericht empfiehlt. Jedes für sich genommen keine Neuigkeit, allerdings in dieser kompakten, gut verständlichen, leicht und spannend lesbaren Form in einem Buch zusammengefasst ein echter Glücksfall. Plötzlich leuchtet ein, dass es nie möglich sein wird, den Energieverbrauch zu senken, solange die Energieversorgung in der Hand einiger Großkonzerne liegt, die alljährlich ihren Umsatz steigern müssen, um entsprechende Dividenden an ihre Investoren ausbezahlen zu können.

Das Buch zeigt aber auch an zahlreichen Beispielen, wie Menschen sich den Zwängen des Marktes widersetzen können und die Dinge, die sie brauchen, in ihrer Region selbstbestimmt herstellen. Das reicht von den Schwarzwälder Stromrebellen bis zum Buschberghof, von findigen Technikern, die Plastik aus Gras erzeugen, bis zum Dorfladen, von Gemeinschaftswerkstätten bis zu Tauschkreisen. Die Vielfalt der Beispiele ebenso wie die Vielfalt der beteiligten Menschen motivieren und machen Mut.

Jensen ist dabei keineswegs naiv. Sie weiß, die Durchsetzung zukunftsfähiger Wirtschaftsformen erfordert eine grundlegende Veränderung gesellschaftlicher Besitz- und Machtverhältnisse. Die Fakten über die negativen Auswirkungen des bestehenden Systems sind eindeutig, das Wissen um Alternativen ist da, was jedoch ansteht, um einen Wandel einzuleiten, ist ein Machtkampf. Dieser Prozess ist daher auch eine Herausforderung an die Demokratie. Es geht um eine Dezentralisierung der Produktion, um die Kontrolle der lokalen Bevölkerung über die Produktion und Verteilung der Dinge, die sie zum Leben brauchen. Es geht um die Nutzung der Ressourcen vor Ort, um Transportwege klein zu halten und Kreisläufe schließen zu können. Die Umsetzung dieser Alternativen, so der Haupttenor des Buches, bedeutet jedoch keineswegs Verzicht, sondern einen Zugewinn an Lebensqualität, sie reduziert das Wachstum, aber sie erhöht das Bruttosozialglück.

Das Buch blendet die Probleme nicht aus, die auch mit manchen Alternativen verbunden sind, etwa der Produktion von Energie aus Biomasse. Es zeigt daher keine Patentlösungen auf, sondern jede Lösung muss an die Bedingungen der Region angepasst sein. „Eine auf Dauer tragfähige Wirtschaftsweise muss immer das gesamte System im Blick behalten und darf sich nicht nur auf ein Einzelziel konzentrieren,“ so die Schlussfolgerung der Autorin.

Der einzige Wermutstropfen bei der Lektüre des ansonsten sehr empfehlenswerten Buches: Silvio Gesells Freiwirtschaftslehre und das „Das Wunder von Wörgl“ werden als Vorzeigemodell präsentiert. Nicht nur, dass Gesell dem Nationalsozialismus nahe stand und die Freiwirtschaftslehre sozialdarwinistische Züge trägt – das Geldmodell von Wörgl diente genau dazu, das zu erreichen, gegen das sich dieses Buch wendet: Wirtschaftswachstum durch Ankurbelung des Konsums.

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