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Veränderungen

Gestern hab ich mich mit Andreas getroffen, weil wir bei der Attac Sommerakademie ein Seminar machen wollen über Commons und was dieses Konzept für Städte und Gemeinden bedeutet und dabei geht es auch um die Aneignung des öffentlichen Raumes. Andreas hat dazu eine ausgezeichnete Bac-Arbeit geschrieben, die es hoffentlich auch bald in Buchform geben wird. Und er hat auch die Ausstellung Platz da! gesehen.

Wir haben beide dort gelernt, dass in Österreich der öffentliche Raum für den Verkehr da ist und alles, was nicht Verkehr ist, eine Sondergenehmigung braucht und wir haben gemeint, es ist wichtig, dass Fussgänger wieder mehr Rechte bekommen und der Verkehr zurückgedrängt wird, dass wir uns als Fußgänger also gegen den Verkehr durchsetzen müssten.

Später hab ich mir überlegt, dass da ein Denkfehler drin ist. Ich hab ja erzählt, dass sich in Italien, als ich mit den beiden anderen Steirern auf der Bank bei der Bushaltestelle saß, sich ein sehr alter Mann zu uns setzte. Als er dann aufstand um weiter zu gehen, ging er ohne auf den Verkehr zu achten sehr langsam und in einer zittrigen Schlangenlinie quer über den Platz. Die Frau meinte, ihre Großmutter hätte das auch so gemacht. „Deafn mi eh nit zsomfian“ (für die des Österreichischen nicht mächtigen: Die dürfen mich eh nicht niederführen ;-)) hatte sie gemeint und sei seelenruhig über die Straße gegangen. Da ist mir eingefallen, als ich in der Altenbetreuung gearbeitet hab, da bin ich auch manchmal mit alten Leuten spazieren gegangen. Öfters mussten wir über die stark frequentierte Bundesstraße und ich hatte wirklich Stress, weil wir ja nur langsam voran kamen. Die Leute haben dann genau das gleiche gesagt: reg dich nicht so auf, die dürfen uns eh nix tun. Wenn man das heute beim Verkehrsunterricht in der Volksschule sagen würde!

Abgesehen davon, dass die Leute vermutlich den Bremsweg eines Autos, das mit 120km/h daherkommt, nicht abschätzen können, stecken da zwei Dinge drin die sich verändert haben: erstens das Vertrauen, dass die Anderen mich wahrnehmen und auch auf mich Rücksicht nehmen werden, etwas, das in einer Gesellschaft in der jeder nur für sich selbst verantwortlich ist, selten geworden ist. Und zweitens, das Selbstbewusstsein, dass Fußgänger auf der Straße privilegiert sind gegenüber Autos. Nicht wir gegen den Verkehr – wir sind der Verkehr! Auch Fußgänger gehören zum Verkehr und müssen, verdammt noch mal, nicht wegen jedem Auto auf die Seite springen und sich an die Straßenränder quetschen.

Und es stimmt ja. Als ich in die Volkschule ging, in einem kleinen Dorf mit weniger als 1000 EinwohnerInnen, da gab es nur wenige Autos und wir haben zwar nicht auf der Straße gespielt, weil wir genug andere Spielplätze hatten. Aber auf dem Schulweg war es schon irgendwie selbstverständlich, dass die Autofahrer (-innen gab es damals glaub ich noch kaum) auf uns mindestens genau so aufpassen mussten, wie wir auf sie. Angst hatte ich auf dem Heimweg manchmal vor Hunden, Kühen oder Pferden, wenn sich die in den Kopf gesetzt hatten, dass sie genau da stehen oder liegen wollten, wo ich durch musste. Angst vor Autos hab ich damals nie gehabt.

So sehr haben sich die Zeiten geändert, dass heute FussgängerInnen Menschen zweiter Klasse sind – und so schauen unsere Städte auch aus und dementsprechend dreckig ist unsre Luft. Ich geh wo und wann ich will, die dürfen mich eh nicht niederführen, das ist sicher eine gute Einstellung für die Wiederaneignung unserer Städte, das können wir von unseren Großeltern lernen. Die Idee des shared space geht genau in diese Richtung.

Aber nicht nur die Zeiten ändern sich, auch die Menschen. Zum Beispiel die Grazer BettlerInnen. Seit April gibt es ja ein Bettelverbot. Und weil sich so viele Leute darüber aufgeregt haben, hat sich eine österreichische Lösung gefunden: die BettlerInnen dürfen jetzt Zeitungen verkaufen. Ich hab ja nix dagegen, wenn sie das wirklich wollen, dann sollen sie es tun. Ich hab nur nicht das Gefühl, dass das wirklich menschenwürdiger ist und ich werde den Verdacht nicht los, dass sie vielleicht gar nicht alle so begeistert sind von dieser Lösung und dass sie eigentlich viel bessere Fähigkeiten hätten, die sie in die Gesellschaft einbringen könnten, bei sich zu Hause oder bei uns, wenn man sie nur ließe. Und ich finde, dass diese Lösung doch einige neue Probleme und Fragen aufwirft.

Auf jeden Fall sind sie jetzt adrett gekleidet, die Männer sind rasiert (meistens zumindest) und sie sitzen oder knien nicht mehr am Boden, sondern sie stehen, sie gehen am Gehsteig herum und halten den PassantInnen verschiedene Zeitschriften unter die Nase. Ohnehin war die Dichte an MegaphonverkäuferInnen schon ziemlich hoch, inzwischen ist der Gang durch die Stadt zu einem Spießrutenlauf geworden. Und ich nehm mir jetzt einmal heraus zu sagen, dass ich mich dadurch, dass mir dauernd jemand was verkaufen will, viel mehr gestört fühle, als durch die BettlerInnen, die am Boden saßen.

Ich habe früher das Megaphon, die steirische Straßenzeitung, immer gerne gekauft, nicht nur, weil ich damit die AsylwerberInnen unterstützen konnte, sondern weil es einfach auch eine interessante Zeitschrift ist. Nun muss ich sagen, dass ich es nur mehr sehr widerwillig kaufe, weil es mich einfach nervt. Und weil ich mich immer so wappnen muss, wenn ich auf die Straße gehe, weil ich 17x auf 100m „nein, danke“ sagen muss, ist mir vor Kurzen etwas wirklich Erschreckendes passiert. Zwischen den ganzen Leuten, die mir was verkaufen wollten, hat mich eine alte Frau angesprochen, „bitte…“ hat sie gesagt, ganz leise. Ich bin in meiner Abwehrhaltung einfach schnell vorbei gegangen und erst viel später ist mir aufgefallen: halt, das war jetzt etwas anderes, die wollte mir vermutlich nix verkaufen, die wollte vielleicht wirklich etwas von mir! Ich hab mir vorgenommen, dass mir sowas nie wieder passieren soll, aber ich habe gesehen, wie das funktioniert, wie schnell man so wird, unter diesen Bedingungen, dass man nicht mehr hört, wenn Andere was von einem brauchen, weil man einfach auf Abwehr geschaltet hat!

Aber das sind ja nur meine privaten Probleme. Ich finde, dass die seltsame Verwandlung der Grazer BettlerInnen in smarte VerkäuferInnen auch gesellschaftlich relevante Fragen aufwirft (Ein schöner Satz aus einem Interview – mit der Inderin Anab Jain – in Andreas Arbeit ist: „I’m not sure where we are going, but I don’t think I’m necessarily excited about everything being smart“ – geht mir auch so ;-)).

Auch wenn das Bettelverbot immer hauptsächlich unter dem Aspekt der Armut diskutiert wurde, ging es doch auch darum wer sich im öffentlichen Raum aufhalten darf, was man dort tun darf und was dort verpönt ist. Und da finde ich es schon interessant, dass allein die Tatsache, dass man etwas zu verkaufen hat, den Aufenthalt im öffentlichen Raum legitimiert und offensichtlich gesellschaftlich akzeptabel macht. Wer etwas verkauft, ist in einer Marktgesellschaft angesehen, egal ob es die potentiellen KundInnen wollen oder brauchen. Vermutlich ist man besonders angesehen, wenn man jemandem etwas verkaufen kann, das er oder sie gar nicht will, aber das will ich den Roma, die da jetzt seit Neustem zu Geschäftsleuten geworden sind, gar nicht unterstellen.

Die meisten, so denke ich, kaufen ja doch nur aus Wohltätigkeit, nur ist diese dann als Geschäft getarnt und dadurch ist die schöne heile Warenwelt wieder in Ordnung. Um die Armut zu überwinden reichen die paar Euro, die da zusammenkommen, bestimmt nicht. Und das ist schon mein nächster Kritikpunkt:

Auch wenn die Zahl der ZeitschriftenverkäuferInnen sich verdoppelt hat, nehme ich nicht an, dass doppelt so viele Zeitungen verkauft werden, es dürfte eher so sein, dass das Geld sich auf mehr Menschen verteilt und dadurch alle weniger haben. Das heißt, dass man mit dieser genialen Lösung eine Konkurrenz für die AsylwerberInnen geschaffen hat, die seit Jahrzehnten das Megaphon verkaufen. AsylweberInnen gegen Roma – wer sich das ausgedacht hat kann wirklich stolz darauf sein, so hetzt man diejenigen, die eh schon ganz unten sind, auch noch gegeneinander auf. Es wird gehen, wie es eben im freien Markt so geht, die Besten werden übrig bleiben, die anderen rausfallen – nur kann man dann sagen, sie sind selber schuld.

Selber schuld hat sich wohl auch die Frau gedacht, die heute bei der Straßenbahnhaltestelle aufs Einsteigen wartete, während eine Frau mit Kinderwagen aussteigen wollte. Die Stufe war zu hoch, die Kinderwagen-Frau fragte die einsteigen-wollende Frau, ob sie ihr helfen könne. Diese sagte, nein, ich will nur einsteigen und drängte sich am Kinderwagen vorbei in die Staßenbahn. Mir fehlen die Worte, um da was dazu zu sagen!!!

Und es hat sich natürlich auch einiges im Gesundheitswesen verändert. Früher war es ja so, da waren die Ärzte die Götter in Weiß und PatienInnen mussten kuschen und tun was sie sagten. Zum Glück ist das nicht mehr ganz so, aber das österreichische Gesundheitssystem ist immer noch ziemlich patriarchal. Wer schön tut, was der Arzt oder die Versicherung sagen und zu rauchen aufhört und abnimmt und Sport betreibt (natürlich vorzugsweise in einem von der Versicherung organisierten kostenpflichtigen Kurs), der zahlt weniger Versicherung. Ich find das ziemlich ärgerlich, weil wenn ich Nichtraucherin bin und kein Übergewicht hab und lieber kostenlosen Sport betreibe, kann ich nie in den Genuß von diesem Bonus kommen. Aber das ist ja harmlos gegenüber dem, wie die Deutsche Krankenversicherung mit ihren Versicherten umgeht. Sie hat Supervorschläge für Versicherte mit lebensgefährlichen (aber durch Operation heilbaren) Krankheiten: „Je besser sie über das Krankheitsbild Bescheid wissen, desto besser können sie ihre Erkrankung managen“. Großartig, ich dachte immer, man hätte eine Krankenversicherung um eine angemessen Behandlung zu bekommen und nicht Ratschläge für das Selbstmanagement der Krankheit. Und vermutlich wird vom Krankheits-Selbst-Manager dann erwartet, dass er es so einrichtet, dass er stirbt, bevor die Kosten zu hoch werden. Unnötig zu sagen, dass die Untersuchung, die man braucht um über das Krankheitsbild Bescheid zu wissen, natürlich nicht von der Krankenkasse bezahlt wird!

Höchste Zeit, dass wir Veränderungen in eine andere Richtung auf den Weg bringen!

Ich hoffe ja nur, dass die Ex-BettlerInnen sich nicht so sehr verändern, dass sie den Brauch aufgeben, ihre Einnahmen abends miteinander zu teilen!

1 thought on “Veränderungen

  1. AsylweberInnen gegen Roma – und fuer die,die es dann doch noch nicht begriffen, setzt sich die neue Wohlfahrt ein: http://www.dailymail.co.uk/news/article-1314543/Bonos-ONE-foundation-giving-tiny-percentage-funds-charity.html;
    denn die alte Wohlfahrt hat da Probleme, anerkannt zu bleiben:http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/Richter-verbieten-Obdachlosenheim-des-Diakoniewerks-in-Duisburg-id4719139.html
    – wo kamen wir denn da hin, wenn sich solche Leute in Beruehrungsnaehe befinden wuerden.
    und es hat etwas auch mit der Gesundheitsfreage zu tun – ich erinnere mich an frueher: da gab es den Standardbegriff „Aussaetzige“

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