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Bachelorstudium – effizient aufs Abstellgleis?

Was ich heuer noch los werden wollte 😉 – umso mehr nach der Diskussion mit dem Dekan der Gewi in der Vorklinik, die all das noch einmal bestätigte:

Die neue Studienordnung – Bachelor – Master – PhD – wurde als Teil des Bolognaprozesses eingeführt. Als Modernisierung des Studiensystems wurde sie angepriesen, die Mobilität in Europa sollte durch Vergleichbarkeit erleichtert werden.

Ein weiteres Anliegen in Österreich war es, die AkademikerInnenquote zu erhöhen, die im europäischen Vergleich sehr niedrig ist. Dieser Vergleich hinkt allerdings ein wenig, weil es in Österreich bis vor kurzem viele Ausbildungen nach der Matura gab, etwa für LehrerInnen oder SozialabeiterInnen, deren AbsolventInnen nicht als „AkademikerInnen“ galten. Außerdem gibt es den Schultyp der berufsbildenden höheren Schule, wo etwa KindergärtnerInnen oder TechnikerInnen auf Maturaniveau ausgebildet werden. Auch dafür gibt es kaum Ensprechungen auf europäischer Ebene. Also wollte man die LehrerInnen- und SozialarbeiterInnenausbildung auf universitäteres Niveau anheben. Ein Bachelorstudium an einer Hochschule stellt für diese Berufsgruppen eine Aufwertung dar. Für bestehende Universitätsstudien ist es jedoch eine Abwertung, sozusagen eine Anpassung zum niedrigeren Niveau.

Bei vielen überwog daher von Anfang an die Skepsis, der Verdacht, dass es hauptsächlich darum gehen sollte, durch Bakk-Studien schneller für die Wirtschaft verwertbare Kompetenzen zu vermitteln um dann den Zugang zu Masterstudien leichter beschränken zu können. Aber auch das erste Ziel konnte bisher nicht erreicht werden. Auch die Wirtschaft braucht keine Leute mit Tunnelblick, räumliche Flexibilität kann geistige Flexibilität – sprich kritisches Denken und Selbstreflexion nicht ersetzen. Abgesehen davon, hat sich auch das Versprechen nicht bewahrheitet, dass die Mobilität innerhalb Europas verbessert werden würde. Für Auslandssemester gibt es weniger Zeit als davor, für Arbeiten im Ausland haben sich die Bedingungen nicht wesentlich verändert. Wer sich, wie von der Wirtschaft immer wieder verlangt, ein individuelles, unverwechselbares Profil aufbauen möchte, kann das nicht durch ein komprimiertes standardisiertes Studium, sondern braucht auch Zeit, sich Wissen und Erfahrungen aus anderen Feldern anzueignen – nicht auswendig zu lernen wohlgemerkt. Besonders stark trifft das auf geistes- und humanwissenschaftliche Studien zu.

Früher waren geisteswissenschaftliche Studien kombinationspflichtig, d.h. mensch musste sich entweder ein zweites Studienfach wählen oder konnte in einem sogenannten Fächerbündel ein individuelles Studienprogramm gestalten und so die Schwerpunkte nach Interessen setzen. Viele Studierende, vor allem der Pädagogik, arbeiten auch schon während des Studiums, um praktische Erfahrungen zu sammeln. Diese praktische Erfahrung zusammen mit dem individuellen Curriculum ermöglichte es, sich wirklich ein spezifisches Bündel an Wissen und Können anzueignen und erhöhte damit auch die Berufschancen. PädagogInnen sind daher in den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern zu finden.

Das trifft noch viel mehr für PhilosophInnen oder SoziologInnen zu, deren Grundstudium noch weniger praxisorientiert ist wie Pädagogik. Mensch konnte Philosophie z.B. mit Rechtswissenschaft oder wirtschaftlichen oder naturwissenschaftlichen Fächern kombinieren und Arbeitgeber aus der Wirtschaft schätzten die Reflexionsfähigkeit und den weiteren Blickwinkel geisteswissenschaftlich gebildeter Führungskräfte.

Durch den Studienplan des Bachelorstudiums wurden die individuellen Wahlmöglichkeiten stark eingeschränkt, die Wahlfächer auf sogenannte Management- und Marktkompetenzen eingeengt, das bedeutet eine Standardisierung der Ausbildung. Der Schulcharakter erschwert die gleichzeitige praktische Tätigkeit. Es werden also lauter standardisierte PädagogInnen, SoziologInnen, PhilosophInnen und andere GeisteswissenschaftlerInnen herangebildet, für die es nicht nur in der Wirtschaft keine Jobs geben kann, sondern die auch keine universitäre – wissenschaftliche – Ausbildung im wahren Sinn des Wortes genossen haben, weil die Zeit für kritische Aneignung, Reflexion und interdisziplinäres Denken nicht ausreicht. So werden diese Studien erst zu dem gemacht, als was sie von vielen schon vorher gesehen wurden: „brotlose“ Studien und „Orchideenfächer“.

Da ist es dann nur konsequent, nach der Einführungsphase Knock-Out-Prüfungen einzuschieben, damit nicht zu viel sinnlos produziert wird. Wenn es sein muss auch mit so absurden Dingen, wie einer elektronischen Multiple-Choice-Prüfung in Einführung in die Geisteswissenschaften, wo dann die Durchfallquote schon auch einmal über 80 % liegt. Kein Wunder, geisteswissenschaftliche Fragen, die über reine Namensnennung hinausgehen, lassen sich nun einmal nicht auf ja – nein – Antworten reduzieren und die Antworten hängen vom Blickwinkel ab, den man einnimmt. Ohne Begründung und Kontextualisierung kann ja wohl nicht einmal gewertet werden, ob eine Frage richtig oder falsch beantwortet ist. Bei uns hieß das damals noch in den Fragestellungen „Diskutieren sie …“. Damals durfte man bei Prüfungen noch denken, nicht nur reflexartig auswendig gelerntes Wissen reproduzieren.

Während man also alles daran setzt, angehende GeisteswissenschaftlerInnen zu vergraulen, versucht man verzweifelt, mehr junge Menschen für technische Studien zu gewinnen, im Kindergarten soll jetzt schon mathematisches Denken gefördert werden. Nichts gegen Förderung im Kindergarten, aber vermutlich wären in unserer Zeit soziale und emotionale Kompetenz um einiges wichtiger. Obwohl mittlerweile schon viele nach sozialer Innovation rufen, will man hauptsächlich ComputerspezialistInnen, Bio- und NanotechnikerInnen heranbilden um wettbewerbsfähig zu bleiben – und man verspricht sich von diesen Fächern auch die Lösung aller anstehenden Probleme. Ich bin der Meinung, dass wir für die derzeitigen Probleme keine technologischen Lösungen brauchen, sondern dass es wirklich sozial- und humanwissenschaftliche Forschung und Innovation brauchen würde. Dies Fächer kämpfen aber mehr denn je um überhaupt Forschungsmittel zu erhalten.

Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass die kritische, solidarische Universität als ihre 5 Säulen

  • lebendige Verbindung und universitas von Forschung, Lehre und Praxis
  • Selbstverwaltung, Feminismus, Antirassismus und Engagement gegen Antisemitismus
  • nicht-kommerzieller Charakter
  • Unabhängigkeit vom Staat
  • Bildung für Solidarische Ökonomie und Aufbau einer Solidarischen Ökonomie der Bildung durch Erforschung, Vermittlung und Entwicklung selbstverwalteter, gemeinwesenorientierter und kooperativer Produktionsweisen.

nennt. Klar ist aber auch, dass diese Ansprüche durch zum Großteil ehrenamtliche Arbeit nicht erfüllt werden können. Darum muss die Forderung weiterhin heißen: auch heterodoxe und kritische Lehre und emanzipatorische Forschung müssen finanziert werden!

Zum Schluss wünsche ich allen Leserinnen und Lesern – studierenden, arbeitenden, suchenden und denkenden – erholsame Rest-Feiertage und uns allen Erfolg im Kampf um gesellschaftliche Veränderungen 2010.

„Bildet euch, denn wir brauchen all eure Klugheit. Bewegt euch, denn wir brauchen eure ganze Begeisterung. Organisiert euch, denn wir brauchen eure ganze Kraft“ (l’Ordine Nuovo, Turin 1919)